Handelsblatt - 25.10.2019

(Ron) #1
„Mario Draghi hat vor allem zu Beginn seiner
Amtszeit Mut bewiesen. Die ultraexpansive
Geldpolitik der EZB wird Sparer,
Finanzinstitute und Firmen aber noch
lange belasten.“
Iris Bethge-Krauss, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands
öffentlicher Banken

Worte des Tages


Puma


Mit ruhiger


Hand


E


s sei ja ungewöhnlich, dass
er noch da sei, scherzte der
Vorstandsvorsitzende von
Puma, Bjørn Gulden, am Donners-
tag mit Blick auf zwei seiner wich-
tigsten Konkurrenten. Anfang der
Woche haben sich innerhalb weni-
ger Stunden die Chefs von Under
Armour und Nike verabschiedet.
Gulden hingegen hat nicht den
geringsten Grund zu gehen, im Ge-
genteil. Der Norweger wird gerade
belohnt für seine Geduld während
der vergangenen sechs Jahre. Denn
die neuesten Ergebnisse des Sport-
konzerns zeigen: Es war völlig rich-
tig von ihm, behutsam und Schritt
für Schritt vorzugehen. Auch wenn
das die Investoren lange an seiner
Strategie zweifeln ließ.
Während die Wettbewerber ihre
vermeintlichen Erfolge lautstark fei-
erten, war von dem 54-Jährigen
kaum etwas zu hören. Nun aber hat
Gulden mit Puma hervorragende
Wachstumschancen, wohingegen in
den Zentralen von Under Armour
und Nike Großreinemachen ange-
sagt ist.
Als der ehemalige Fußballprofi
2013 antrat, lag Puma am Boden.
Die modebewusste Jugend hatte
sich abgewandt, für Sportler hatte
der Adidas-Konkurrent wenig im
Angebot. Mit dem richtigen Riecher
für Trends verpflichtete Gulden die
Sängerin Rihanna und zog so wie-
der mehr weibliche Kunden an. Pa-
rallel schloss er Verträge mit promi-
nenten Fußballklubs und stieg wie-
der ins Basketballgeschäft in
Amerika ein. Es waren viele, häufig
wenig spektakuläre Maßnahmen. In
Summe aber gelang es Gulden, wie-
der mehr Platz in den Regalen der
Händler zu erobern und auch in
den Köpfen der Konsumenten.
Ein Selbstläufer ist das Geschäft
trotzdem nicht. Gulden muss den
Konzern weiterentwickeln. Nike hat
gerade einen Internetexperten an
die Spitze berufen, den früheren
Ebay-Chef John Donahoe. Das ist
kein Zufall: Es reicht nicht, einfach
noch mehr Athleten zu sponsern
oder gefällige Designs anzubieten.
Heute entscheiden Algorithmen
über Erfolg oder Misserfolg. Bei die-
ser Herausforderung wird sich der
Puma-Chef noch beweisen müssen.


Das schrittweise, geduldige
Vorgehen von Vorstandschef Bjørn
Gulden zahlt sich jetzt aus,
beobachtet Joachim Hofer.

Der Autor ist Korrespondent in
München.
Sie erreichen sie ihn unter:
[email protected]


E


igentlich hätte es eine Charmeoffensive
werden sollen. Am Dienstag, dem Tag
vor Mark Zuckerbergs großem Auftritt in
Washington, hatte Facebook noch ange-
kündigt, eine Milliarde Dollar zu spen-
den, um bezahlbare Wohnungen in San Francisco zu
fördern. Auch teilte der Konzern mit, iranische und
russische Netzwerke auf der Fotoplattform Insta -
gram aufgedeckt und entfernt zu haben – eigentlich
ein großer Fortschritt, nachdem vor der Präsident-
schaftswahl 2016 Akteure aus Russland ungehindert
US-Wahlkampfwerbung schalten konnten.
Doch die Abgeordneten des demokratisch geführ-
ten Finanzausschusses hatten am Mittwoch vor al-
lem Kritik und Häme für den 35-Jährigen übrig, der
Facebook von einem Studentenprojekt zum größten
sozialen Netzwerk der Welt gemacht hat. Zuckerberg
wurde von den Politikern als profitmaximierender
Lügner dargestellt, der sich um das Wohl seiner Mit-
arbeiter nicht kümmere – und um das Wohl der Welt
schon gar nicht.
Dass Politiker beider Parteien einen der erfolg-
reichsten Unternehmer des Landes so stark in die
Schranken weisen, ist ein längst überfälliger Schritt.
Und es ist eine klare Warnung an andere Unterneh-
mer und Unternehmen nicht nur aus dem Technolo-
giesektor: Das hohe Gut des Vertrauens ist schnell
verspielt, und es ist gefährlich, Politik und Regulie-
rer so gegen sich aufzubringen.
Bei seinem derzeit ambitioniertesten Projekt, der
Einführung der Kryptowährung Libra, hätte Zucker-
berg einen Vertrauensvorschuss dringend nötig.
Schließlich muss dies von einer ganzen Reihe Regu-
lierer genehmigt werden. Libra soll im Idealfall über-
all auf der Welt erhältlich sein, Facebook hat immer-
hin 2,7 Milliarden Nutzer. Und auch wenn die Wäh-
rung von einem Verein in der Schweiz kontrolliert
wird, ist das soziale Netzwerk das wichtigste Glied in
der Kette. Doch schon vom ersten Tag an stieß Libra
auf Widerstand bei der Politik, bei Notenbankern
und Finanzaufsehern. Die Währung hat das Poten -
zial, das globale Finanzsystem aus den Fugen zu he-
ben. Stärker noch als Landesgrenzen ist eine Wäh-
rung Ausdruck nationaler Souveränität. Diese sollen
die USA und andere Staaten einfach so abgeben? An
einen Konzern wie Facebook? Und das, nachdem
erst vor zehn Jahren das Finanzsystem mit einem er-
heblichen Kraftakt gerettet werden musste?
Die Botschaft der Aufseher ist klar: Facebook ist
mit Libra einen Schritt zu weit gegangen. Vorder-
gründig geht es Zuckerberg darum, ein besseres Zah-
lungssystem zu schaffen, das auch den vielen Men-
schen auf der Welt ohne Bankkonto Zugang zu Fi-

nanzdienstleistungen gibt. Doch das wahre Interesse
von Facebook liegt auf der Hand: Der Konzern weiß
heute schon, mit wem wir auf Facebook befreundet
sind, wen und was wir mögen und nicht, wo wir uns
aufhalten, wie wir wählen. Wenn er künftig auch
weiß, wofür wir Geld ausgeben, würde das den Da-
tenschatz komplettieren. Damit könnte Facebook
noch gezielter Werbung schalten und seine Umsätze
noch einmal deutlich steigern.
Libra ist aber nur ein Baustein in der wachsenden
Skepsis gegenüber dem Geschäftsmodell von Face-
book. Die US-Politik geht bisher noch immer nicht
konsequent genug gegen das Gebaren der Online-
plattform vor. Viel zu lange hat sie nur zugesehen,
wie der Konzern immer größer und mächtiger wur-
de, wie er ungehindert unsere Daten absaugt und sie
auf brillante Weise nutzt, um Milliardengewinne ein-
zufahren. Die Liste der Probleme, die Facebook ver-
ursacht, ist dabei lang: der Datenskandal um Cam-
bridge Analytica, Vorwürfe von Wahlmanipulation,
die ungehinderte Verbreitung von Hassreden und
Aufrufen zu Gewalt, die Facebook zulässt, ebenso
wie Kinderpornografie.
Mit den Plänen zur Kryptowährung Libra wird Zu-
ckerberg scheitern. Doch das reicht nicht. Auch un-
abhängig davon muss Facebook stärker reguliert
werden. Zuckerbergs Versprechungen wie „Wir müs-
sen einen besseren Job machen“ und „Wir werden
mehr investieren, um das Problem anzugehen“ klin-
gen leer. Der Konzern darf sich nicht mehr länger
darauf ausruhen, dass Facebook nur eine Plattform
ist und daher nicht verantwortlich für die Inhalte,
die Nutzer dort verbreiten.
Die aktuelle Diskussion über die Frage, ob Politi-
ker in Wahlkampfwerbung auf Facebook lügen dür-
fen, ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Konzern
braucht klare Regeln, wer was auf der Plattform ver-
öffentlichen darf und was nicht – und muss dies kon-
sequent einhalten. Dass das schwierig ist, keine Fra-
ge. Doch wer sollte es schaffen, wenn nicht der Kon-
zern, der sich zutraut, eine globale digitale Währung
in Umlauf zu bringen?
Strengere Regeln werden Auswirkungen auf das
Geschäftsmodell von Facebook haben. Doch nur so
wird man Zuckerberg zu grundlegenden Verbesse-
rungen zwingen. Das Vertrauen, das man dem jun-
gen Innovator einst entgegenbrachte, hat er ver-
spielt. Er wird es – wie gerade in Washington erlebt –
nicht so schnell zurückbekommen.

Leitartikel


Facebook


geht zu weit


Die
Onlineplattform
sollte keine
Kryptowährung
starten dürfen.
Sie braucht
insgesamt mehr
Regulierung,
fordert
Astrid Dörner.

Das Vertrauen,


das man


Zuckerberg


einst


entgegen–


brachte,


hat der junge


Innovator


verspielt.


Die Autorin ist Korrespondentin in New York.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Meinung

& Analyse

WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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