J. Mallien, F. Wiebe Frankfurt
Z
um Abschluss seiner acht-
jährigen Amtszeit hat Ma-
rio Draghi einige Ratschlä-
ge, Beurteilungen und
Klarstellungen parat. Sei-
ne wichtigste Botschaft: „Gib niemals
auf!“ Stolz ist er darauf, dass die Eu-
ropäische Zentralbank (EZB) unter
seiner Präsidentschaft „unablässig ihr
Mandat“ der Preisstabilität verfolgt
hat. Er betonte später noch einmal:
„Über allem steht, das Mandat zu ver-
folgen, für das diese Institution ge-
schaffen wurde.“ Preisstabilität, das
einzige offizielle Ziel der EZB, defi-
niert sie selbst als eine Inflationsrate
von knapp zwei Prozent. Dem ist die
EZB in Draghis Amtszeit kaum näher
gekommen – zuletzt lag die Inflation
bei 0,8 Prozent.
Draghi sieht in den letzten Jahren
eine deutliche Stabilisierung der Si-
tuation in Italien. Noch mehr lobte er
den Fortschritt in Griechenland und
würdigte die Politik der Regierung
und das „schreckliche Leid“ der Be-
völkerung, mit dem dieser Fortschritt
erkauft wurde. Ansonsten schaut er
nicht gern zurück: „Nur Historiker
können die Vergangenheit ändern.“
Über persönliche Pläne für die Zu-
kunft gibt er keine Auskunft: „Fragen
Sie meine Frau, die weiß das wahr-
scheinlich besser als ich.“
Draghi wird am Montag offiziell
verabschiedet. Bei seiner letzten
Pressekonferenz am Donnerstag ließ
er sich häufiger als gewohnt ein Lä-
cheln entlocken. Ganz brav leitete er
sie mit einem Statement ein, das
weitgehend dem der vorherigen Sit-
zung im September glich. Durch die
letzten wirtschaftlichen Daten, die
ein Übergreifen der Schwäche von
der Industrie auf Dienstleistungen
anzeigen, sieht er sich bestätigt, dass
die umstritten Beschlüsse von Sep-
tember richtig waren. Die EZB hatte
damals die negativen Zinsen noch
weiter auf minus 0,5 Prozent gesenkt
und neue Zukäufe von Wertpapieren
für monatlich 20 Milliarden Euro be-
schlossen. „Alles, was seit September
passiert ist, hat unsere Entscheidun-
gen bestätigt“, betonte er. Er ließ sich
zu keinem harten Wort wegen der
zum Teil öffentlich geäußerten Kritik
an diesen Beschlüssen hinreißen.
„Ich habe das als Teil der fortwähren-
den Diskussionen angesehen“, sagte
er. Bundesbank-Präsident Jens Weid-
mann hatte sich in der „Bild“-Zeitung
kritisch geäußert, wobei der Artikel
mit einer Darstellung Draghis als
Vampir illustriert war. Draghi mahnte
allerdings, die nationalen Notenban-
ken, zu denen die Bundesbank ja ge-
hört, seien sehr wichtig, um die Geld-
politik der EZB einer breiteren Öf-
fentlichkeit zu erklären.
Die letzte EZB-Sitzung seiner Präsi-
dentschaft ist nach seiner Darstellung
relativ harmonisch verlaufen. „Einer
der Abweichler hat gefordert, die Be-
schlüsse konsequent umzusetzen“,
sagte er. „Ein anderer hat gesagt: ‚Die
Vergangenheit ist vergangen.‘“
Draghi hat keinen Ratschlag für sei-
ne Nachfolgerin Christine Lagarde:
„Sie weiß selbst am besten, was sie
zu tun und zu sagen hat.“ Isabel
Schnabel, die auf Vorschlag der deut-
schen Regierung neu ins EZB-Direk-
torium einrückt, lobte er als „ausge-
zeichnete Ökonomin, die die inter-
nen und externen Diskussionen
bereichern wird“.
Regierungen sollen helfen
Ein letztes Mal wiederholte er auch
seine Mahnungen an die Regierun-
gen, Strukturreformen voranzutrei-
ben. Eine Unterstützung durch die
Finanzpolitik könne der EZB helfen,
„ihr Ziel schneller und mit weniger
Nebenwirkungen zu erreichen“, be-
tonte er. Als wichtigste Neuerung in
der Euro-Zone mahnte er die Schaf-
fung einer „finanziellen Kapazität“
auf europäischer Ebene an, „sei es
als eigenen Haushalt oder als eine
Versicherungslösung“. Diese müsse
allerdings so konstruiert sein, dass
sie nicht von einzelnen Staaten ein-
seitig ausgenutzt werden könne.
In einem wichtigen Punkt versuch-
te er eine Klarstellung. Viele externe
Ökonomen haben errechnet, dass die
EZB mit neuen Anleihekäufen rasch
an selbst gesetzte Grenze stoßen wer-
de. Danach darf sie nicht mehr als
ein Drittel der Staatsanleihen eines
Landes besitzen, außerdem soll die
Verteilung der Käufe die Größe der
jeweiligen Euro-Länder widerspie-
geln. Die Sorge ist, dass danach den
Geldpolitikern vor allem in Deutsch-
land bald der Spielraum ausgeht.
Draghi sagte, bei derartigen Kalku-
lationen könnten unterschiedliche
Annahmen über die künftige Ausga-
be von Staatsanleihen getroffen wer-
den. Philip Lane, der Chefökonom
der EZB, hatte zuvor allerdings er-
klärt, in dem Punkt rechne er nur
mit nach heutiger Beschlusslage zu
erwartenden Emissionen. Damit
bleibt unklar, wo die EZB anders
rechnet als externe Ökonomen. Au-
ßerdem, betonte Draghi, beziehe sich
die Gewichtung der Käufe auf den ge-
samten Bestand und nicht auf neue
Zukäufe. Drittens deutete er an, dass
die EZB, wenn es doch nötig sei, die
Möglichkeit habe, ihre selbst gesetz-
ten Grenzen zu verschieben.
Frederik Ducrozet von der Schwei-
zer Bank Pictet hat folgende Bilanz
für die Amtszeit des dritten EZB-Prä-
sidenten seit Gründung der Noten-
bank 1998 aufgemacht: acht Zinssen-
kungen, keine Zinserhöhung, zehn
Ankündigungen in Zusammenhang
mit Anleihekäufen, sechs Ankündi-
gungen zu längerfristigen Krediten an
Banken, 2,6 Billionen Euro an Anlei-
hekäufen, Bilanzsumme verdoppelt.
EZB
Mario Draghi:
„Gib niemals auf! “
Bei seiner letzten Pressekonferenz zeigt der scheidende
EZB-Präsident robustes Selbstbewusstsein.
Mario Draghi: Der schei-
dende EZB-Chef gibt sei-
ner Nachfolgerin Christine
Lagarde öffentlich keine
Ratschläge.
Boris Rössler
Facebook-Coin
Abgeordnete
kontrollieren
Libra
A. Dörner, F. Holtermann
New York, Frankfurt
D
ie politische Kritik an Face-
books Projekt einer globalen
Kryptowährung wächst. In
einer gemeinsamen Anhörung be-
schäftigten sich der Bundestagsfi-
nanz- und -digitalausschuss am Mitt-
wochabend mit der Idee. Geladen
waren Bertrand Perez, Chief Opera-
ting Officer der derzeit 21 Mitglieder
umfassenden Libra Association sowie
Tomer Barel von Calibra, der Krypto-
Verwahrfirma, die Facebook aufbau-
en will. Die Abgeordneten hatten zu-
vor einen 40 Fragen umfassenden
Katalog vorgelegt. Im Zentrum stand
die Sorge, Libra könnte ohne euro-
päische Freigabe starten und die Fi-
nanzstabilität beeinträchtigen.
Die Anhörung verlief für Bundes-
tagsverhältnisse kritisch. Die Parla-
mentarier zeigten sich bissig, quer
durch die Fraktionen. „Viele Fragen
blieben unbeantwortet“, kritisiert et-
wa Linken-Fraktionsvize Fabio De
Masi. „Die Libra-Manager gaben
kaum Einblick in ihre Pläne. Und ich
fürchte, das hatten sie auch gar nicht
vor.“ Facebook gehe es vor allem da-
rum, Zahlungsdaten der Bürger ab-
zugreifen. „Das können sie natürlich
nicht offen zugeben“, so De Masi.
Auch Thomas Heilmann, CDU-
Kryptoexperte, empfand die Antwor-
ten „professionell unscharf “. Auf die
Frage, ob die Währung auch dann
startet, wenn Europas Regulierer
kein grünes Licht geben, hätten Pe-
rez und Barel „maximal auswei-
chend“ geantwortet. Offen blieb laut
Heilmann auch, wie verhindert wer-
den soll, dass Libra die Finanzstabili-
tät beeinträchtigt – etwa im Fall eines
Hacks oder Runs auf die Coins, in de-
ren Folge die Libra Association die in
Währungen und Staatsanleihen ge-
haltene Reserve auflösen müsste.
Zuckerberg zeigt auf China
Positiv vermerkt FDP-Parlamentarier
Frank Schäffler, dass Libra sein
Schweigen gebrochen habe. „Der
Start von Libra wird wahrscheinli-
cher. Er darf nicht verhindert, aber
muss genau reguliert werden.“ Die
FDP hat hierzu einen eigenen Antrag
eingebracht.
Auch im US-Kongress stand Face-
book am Mittwoch unter Druck.
Sechs Stunden musste sich Gründer
Mark Zuckerberg den Fragen der Ab-
geordneten stellen. Die digitale Wäh-
rung, Branchenkennern zufolge eine
Herzensangelegenheit Zuckerbergs,
stand im Mittelpunkt der Anhörung,
in der es auch um Faktenchecks für
Anzeigen und Wählerbeeinflussung
in dem sozialen Netzwerk ging. Zu-
ckerberg machte eine wichtige Klar-
stellung: Facebook werde Libra nir-
gendwo auf der Welt starten, wenn
alle relevanten US-Regulierer nicht
vorher ihr Okay geben.
Der Facebook-Chef appellierte, In-
novationen nicht zu sehr mit neuen
Gesetzen einzuschränken. Schließ-
lich plane China bereits eine eigene
Kryptowährung. Gleichzeitig räumte
er ein, dass Libra aufgrund des ho-
hen Widerstands später als geplant
starten könnte. Ursprünglich sollte es
im ersten Halbjahr 2020 losgehen.
„Ob Libra wirklich funktionieren
wird, weiß ich nicht“, so Zuckerberg.
Nur Historiker
können die
Vergangenheit
ändern.
Mario Draghi
EZB-Präsident
Finanzen & Börsen
WOCHENENDE 25./26./27. OKTOBER 2019, NR. 206
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