Die Welt am Sonntag - 20.10.2019

(Sean Pound) #1

E


s ist ein kleiner Flach-
dachbungalow mit Ter-
rasse und Vorgarten,
der in einem Hain von
Pinienbäumen liegt.
Die Besitzer des Hau-
ses in der Nähe der sy-
rischen Grenzstadt Ras al-Ain sind ge-
flüchtet. Jetzt nutzt es die christliche
Miliz MFS, deren Geländewagen unter
den Zweigen der Bäume versteckt sind.
„Sie beobachten uns“, sagt Komman-
dant Hawro Simon und zeigt mit dem
Finger nach oben. Nach einer Weile
hört man das regelmäßige, leise Brum-
men einer Drohne am Himmel. „Wir
sind hierhergekommen, um uns ein paar
Tage auszuruhen“, erklärt Simon.
Eine Woche lang hat er mit seiner Sol-
datengruppe in Ras al-Ain gegen die an-
greifende türkische Armee und ihre
üüüberwiegend islamistischen Hilfstrup-berwiegend islamistischen Hilfstrup-
pen der syrischen Rebellen gekämpft.
Seine christliche Miliz ist Teil der von
KKKurden angeführten Syrischen Demo-urden angeführten Syrischen Demo-
kratischen Kräfte (SDF). Die Türkei will
sie zerschlagen und eine Sicherheitszo-
ne in Nordsyrien einrichten. „Nach Be-
ginn des Waffenstillstands am Donners-
tag haben wir uns wie viele andere Trup-
penteile zurückgezogen“, sagt Hawro Si-
mon. Doch dass die Waffenruhe zu einer
Lösung des Konflikts führt, glaubt er
nicht: „Der Krieg geht weiter“, sagt der
erst 21-jährige Kommandant überzeugrst 21-jährige Kommandant überzeugrst 21-jährige Kommandant überzeugtt.

VON ALFRED HACKENSBERGER
UND CHRISTOPH B. SCHILTZ
AUS RAS AL-AIN UND BRÜSSEL

Von der Euphorie, mit der die Bewoh-
ner Nordsyriens die Feuerpause am
Donnerstag begrüßten, ist kaum mehr
etwas zu spüren. Zu Tausenden gingen
die Menschen auf die Straße, nachdem
das Ende der Kämpfe verkündet worden
war. Man feierte bis spät in die Nacht
mit Gewehrsalven und Autokorsos.
Aber schon am Freitag folgte die bittere
Ernüchterung. Zum einen, weil die Tür-
kei sich nicht an die Abmachung hält
und immer wieder bombardiert. Ent-
scheidender ist jedoch, dass die Men-
schen mittlerweile wissen, dass die Be-
dingungen, die an einen dauerhaften
Waffenstillstand geknüpft sind, für die
selbstverwaltete Regierung Nordsy-
riens und die SDF unannehmbar sind.
Denn das käme „einer totalen Kapitula-
tion gleich“, wie der renommierte kur-
dische Politiker Salih Muslim es be-
zeichnete. Auch General Mazloum, der
Oberbefehlshaber der SDF, nannte die
Bedingungen „inakzeptabel“.
Laut der Vereinbarung, die der ameri-
kanische Vizepräsident Pence am Don-
nerstag in Ankara mit Präsident Erdo-
gan ausgehandelt hat, haben die SDF
fffünf Tage Zeit, ihre Truppen aus einer 32ünf Tage Zeit, ihre Truppen aus einer 32
Kilometer tiefen Zone entlang der Gren-
ze abzuziehen, und müssten danach das
Gebiet türkischer Kontrolle überlassen.
Zudem sollen sie ihre Waffen der Türkei
aushändigen. Sollte Nordsyrien dem Ul-
timatum nicht Folge leisten, sind neue
bewaffnete Auseinandersetzungen zu
erwarten. Sie könnten eine gefährliche
AAAusweitung des Konflikts provozieren.usweitung des Konflikts provozieren.
Denn das von den SDF zu Hilfe gerufene
Assad-Regime hat mittlerweile seine
Truppen in Nordsyrien stationiert und
will „jede ausländische Aggression“ ab-
wehren. Der wichtigste Bündnispartner
der syrischen Regierung ist Russland,
das in den Krieg mit hineingezogen wer-
den könnte.

Obwohl der Konflikt also mitnichten
beigelegt ist, feierte der amerikanische
Präsident Donald Trump das Waffen-
stillstandsabkommen als „historischen
Schritt“. Seit zehn Jahren werde eine
Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt
gesucht, sagte Trump, „und nun haben
wir sie gefunden“. In Wirklichkeit je-
doch beinhaltet das Abkommen kaum
Neues. Die Türkei hat bereits vor einem
Jahr die gleichen Forderungen zur Ein-
richtung einer Sicherheitszone gestellt,
mit der sie sich vor den als „Terroris-
ten“ eingestuften syrischen Kurden
schützen will. Schon damals lehnte
Nordsyrien diese Forderungen ab. Was
folgte, waren langwierige Verhandlun-
gen, bei denen die USA als Vermittler
zwischen der Türkei und Nordsyrien
fungierten. Im August war es dann zu
einem Kompromiss gekommen.
Die SDF hatte sogar bereits begon-
nen, sich aus dem ersten, 100 Kilometer
langen Teil der Sicherheitszone zurück-
zuziehen, die nach dem damals ausge-
handelten Kompromiss maximal 14 Ki-
lometer tief sein sollte. Aber Anfang
Oktober gab Trump seinem türkischen
Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan
überraschend grünes Licht für die Of-
fensive und begann amerikanische

Truppen aus Nordsyrien abzuziehen.
Das war ein abrupter Kurswechsel der
Außenpolitik Washingtons, das eigent-
lich die Region zwischen Euphrat und
irakischer Grenze schützen wollte.
Trump ließ damit ausgerechnet den
Partner fallen, mit dem US-Truppen
den IS besiegt hatten: die Kurden.
Die Invasion der Türkei läuft seit dem
9. Oktober und hat wenig Erfolg ge-
bracht – stattdessen aber für Chaos in
der Region gesorgt. Die türkische Armee
und ihre islamistischen Hilfstruppen
konnten bisher nur die Stadt Tal Abjad
einnehmen. Das zweite Ziel der Offensi-
ve, Ras al-Ain, ist zwar umzingelt, aber
der gesamte Stadtkern ist weiter in Hän-
den der SDF. Amnesty International
wirft der Türkei Kriegsverbrechen vor.
Dazu gehören standrechtliche Erschie-
ßungen, Angriffe auf Zivilisten, Kranken-
häuser und Bäckereien. Untersucht wird
derzeit noch, ob sogar verbotene Waffen
wie Phosphor- oder Napalmbomben ein-
gesetzt wurden. Im Krankenhaus von Tal
Tamer, einem Ort etwa 40 Kilometer von
der Frontlinie entfernt, wurden zahlrei-
che Kinder mit verdächtigen Brandver-
letzungen eingeliefert.
Die Offensive der Türkei konzen-
trierte sich nur auf die beiden Städte Tal

Abiad und Ras al-Ain. Von einer umfas-
senden Militäroperation in ganz Nord-
syrien kann kein Rede sein. Dafür sind
die Luftschläge und Artillerieangriffe zu
sporadisch. Selbst Nachschubwege wer-
den kaum bombardiert. Es handelt sich
de facto um eine relativ limitierte Of-
fensive. Die zweitstärkste Armee der
Nato hat ihre Kapazitäten bislang noch
nicht ausgeschöpft. Das könnte sich
aber nach Ablauf des Ultimatums in ei-
nigen Tagen ändern, wenn sich Nordsy-
rien den gestellten Bedingungen wider-
setzt. Die Türkei könnte dann mit aller
Wucht zuschlagen. Die große Frage ist
dann, wie sich die syrische Armee und
ihr Verbündeter Russland verhält.
In den Dörfern rund um Tall Tamer
sind die Assad-Truppen schon von
WWWeitem leicht zu erkennen. Auf deneitem leicht zu erkennen. Auf den
Dächern ihrer Basen flattern große sy-
rische Nationalflaggen, an den Militär-
fffahrzeugen und Notarztwagen klebenahrzeugen und Notarztwagen kleben
riesige Poster von Präsident Baschar
al-Assad. „Ich möchte hier nur schnell
durch“, sagt Baschir, ein junger Kurde.
Er hat Angst vor der syrischen Armee,
und das nicht allein wegen des drohen-
den Militärdienstes. „Das Regime
könnte die Macht übernehmen, und
wir wissen von früher, wie brutal es

ist“, sagt der Student. Es ist eine Be-
fffürchtung, die viele Bewohnern Nord-ürchtung, die viele Bewohnern Nord-
syriens teilen.
Die türkische Luftwaffe dringt seit
Donnerstag nicht mehr in den Luftraum
üüüber Nordsyrien ein, um Ziele zu bom-ber Nordsyrien ein, um Ziele zu bom-
bardieren. Sie vermeidet die Konfrontati-
on mit den russischen Suchoi-Kampfjets,
die regelmäßig unterwegs sind. Die türki-
schen Luftangriffe gehen aber dennoch
weiter. Mit Drohnen beschießen die Tür-
ken Dörfer bei Tall Tamer und Ras al-Ain.
Laut der nordsyrischen Gesundheitsbe-
hörde wurden allein in den letzten bei-
den Tagen acht Menschen getötet.
Wie Russland sich in dem Konflikt
verhalten wird, ist eine Schlüsselfrage
für den weiteren Verlauf. „Jede Militär-
operation auf syrischem Territorium ist
inakzeptabel“, hatte Alexander Law-
rentjew erklärt, der Spezialgesandte des
Kremls für Syrien. Aber eine klare Posi-
tionierung steht noch aus. Russland hat
aber den Hilfsdeal zwischen Nordsyrien
und dem Assad-Regime eingefädelt. In
einigen Städten, wie in Manbidsch und
entlang der Grenze, patrouillieren rus-
sische Soldaten zwischen Truppen der
Türkei und der syrischen Armee, um
Konfrontationen zu vermeiden. Wie
Russland jedoch im Falle eines neuerli-

chen, womöglich weitaus härteren An-
griffs der Türkei reagieren würde, der
auch das verbündete syrische Regime
treffen könnte, ist noch unklar. Der
Kreml hält sich bedeckt, was seine
Nordsyrien-Politik betrifft. Spätestens
am Dienstag, wenn das Ultimatum ab-
läuft, dürfte sich das jedoch ändern.
Unterdessen bemüht man sich im Na-
to-Hauptquartier in Brüssel um Scha-
densbegrenzung. Am Freitagabend, kurz
vor 21 Uhr ist US-Außenminister Mike
Pompeo für eine Kurzvisite eingetroffen.
Nato-Chef Jens Stoltenberg begrüßt
„den lieben Mike“. Dann sagt Stoltenberg
trocken, das Bündnis habe einen gemein-
samen Feind – den sogenannten Islami-
schen Staat (IS): „Wir dürfen die Erfolge,
die wir im Kampf gegen unseren gemein-
samen Feind Daesh (IS) erreicht haben,
nicht gefährden.“ Das ist höflicher Diplo-
matenjargon, aber in Wahrheit eine klare
AAAnsage an Washington und Ankara. Diensage an Washington und Ankara. Die
Botschaft lautet: Bringt die Dinge im
Norden Syriens wieder in Ordnung.
Bereits am Mittwochmorgen hatten
sich die Botschafter der 29 Mitglieds-
länder im sogenannten Nordatlantikrat
(NAC) mehr als zwei Stunden mit der
Offensive des Allianzpartners Türkei
gegen die Kurden befasst. Die Beratun-
gen sind streng geheim. Nach Informa-
tionen dieser Zeitung machten aber vor
allem Deutschland, Frankreich, Alba-
nien, Island, Belgien und Luxemburg
klar, dass Ankara von ihnen „keine Un-
terstützung“ in Zusammenhang mit der
Operation in Nordsyrien erwarten
kann. Auch der deutsche Nato-Bot-
schafter Hans-Dieter Lucas, der zu den
einflussreichsten Diplomaten des
Bündnisses zählt, wählte klare Worte.
Die Nato beschloss, im Hauptquar-
tier eine Art Krisenstab (Taskforce) ein-
zurichten, dem Aufklärungs- und Si-
cherheitsexperten, Fachleute für Militä-
roperationen und politische Berater an-
gehören; sie soll sich mit den Entwick-
lungen vor Ort beschäftigen. Die Türkei
verpflichtete sich offenbar auch, die Na-
to-Partner nahezu täglich über Angriffe,
Flüchtlingsströme und Kriegsschäden
im Kampfgebiet zu unterrichten. Außer-
dem machte Ankara klar, dass die An-
griffe im Norden Syriens laut Plan bis in
die erste Hälfte des Monats November
hinein fortgeführt werden sollen. Das
war allerdings einen Tag vor der Verein-
barung über eine vorläufige Waffenruhe
von 120 Stunden, die US-Vizepräsident
Pence in Ankara erreichte.
Es zeichnet sich auch ab, dass Frank-
reich demnächst anders als geplant keine
Luftabwehrraketen im Süden der Türkei
stationieren wird und die Spanier zu-
gggleich aus der Türkei abziehen werden.leich aus der Türkei abziehen werden.
Das wäre ein Nackenschlag für den türki-
schen Präsidenten Erdogan. Wird er
dann das umstrittene russische Abwehr-
system S-400 gegen mögliche Angriffe
von Scud-Raketen aus Syrien einsetzen?
Klar ist: Sollte die Türkei demnächst
aus Syrien angegriffen werden, wird die
Nato Ankara nicht helfen. „Die Türkei
kann die Nato wegen Nordsyrien nicht
einfach so in einen Krieg hineinziehen“,
sagt der Sicherheitsexperte des German
Marshall Fund, Jan Techau. Dazu werde
es niemals einen einstimmigen Be-
schluss geben. Der Chef des Auswärti-
gen Ausschusses im EU-Parlament, Da-
vid McAllister (CDU), fordert: „Präsi-
dent Erdogan muss signalisiert werden,
dass der Einsatz so nicht akzeptabel ist.
Sonst könnte der Konflikt nach Ablauf
der Waffenruhe weiter eskalieren.“

Der


Bündnisstörfall


Die Waffenruhe in Nordsyrien


ist fragil. Die Nato gibt der Türkei


zu verstehen, dass sie nicht auf


Unterstützung zählen kann


SEBASTIAN BACKHAUS

Bei al-Kahtanija
warten SDF-Kräfte
auf die türkische Armee

WAMS_DirWAMS_DirWAMS_Dir/WAMS/WAMS/WAMS/WAMS/WSBE-HP/WSBE-HP
20.10.1920.10.1920.10.19/1/1/1/1/Pol9/Pol9DSCHWARZ 5% 25% 50% 75% 95%

Abgezeichnet von:
Artdirector

Abgezeichnet von:
Textchef

Abgezeichnet von:
Chefredaktion

Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst

10


20.10.1920. OKTOBER 2019WSBE-HP


  • :----ZEIT:BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ---ZEIT:---BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE:
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10 POLITIK * WELT AM SONNTAG NR.42 20.OKTOBER


T


ränengas wabert die Straße
hoch, auf ihrer Flucht reißen
die Jugendlichen drei Müll-
container um und versuchen,
die so errichtete Barrikade
anzuzünden. Die spanische Nationalpo-
lizei rückt an. Es kann nur sie sein, weil
die katalanische Regionalpolizei kein
Tränengas einsetzt. Nicht der einzige
Unterschied zwischen Spanien und Ka-
talonien, einem Land im Selbstbetrug
und einer Region in Flammen, heftiger
denn je in dieser Nacht zum Samstag.

VON FLORIAN HAUPT
AUS BARCELONA

AAAls ls die vermummten Beamten aus ih-
ren Mannschaftswägen steigen, skandie-
ren Schaulustige von einem Balkon:
„Raus mit den Besatzungskräften“. Auf
der anderen Straßenseite haben Nach-
barn Jugendlichen die Tür geöffnet, da-
mit sie sich im Haus verstecken können.
Die Polizisten fahren weiter. Während so
vvviele Kraftausdrücke von Terrasse zuiele Kraftausdrücke von Terrasse zu
Terrasse fliegen, dass man die „Huren-
söhne“ kaum noch zählen kann, bekom-
men die Jugendlichen von den Nachbarn
eine Standpauke: Sie sollten jetzt endlich
aaabhauen. Dann sind nur noch Polizeihub-bhauen. Dann sind nur noch Polizeihub-
schrauber zu hören, Gummigeschosse
und umfallende Container.
Katalonien zerstört sich selbst, so
kann das dieser Tage wirken. Katalonien

erhebt sich, so sehen es radikale Separa-
tisten. Und die Übrigen hegen gemischte
Gefühle.
Hinter allen liegt eine barbarische
Woche, die alles übertroffen hat, was
vom seit Langem als heikel eingestuften
Moment des Gerichtsurteils gegen Ini-
tiatoren des illegalen Unabhängigkeits-
referendums vom Herbst 2017 befürch-
tet wurde. Schlüsselfiguren wie der da-
malige Vizeregierungschef Oriol Jun-
queras, eher unprominente Ressortlei-
ter wie Sozialministerin Dolors Bassa –
auch den Richtern offenbar so wenig ge-
läufig, dass sie ihr im Urteil fälschlicher-
weise die Hoheit über Bildung zuschrie-
ben – und Aktivisten ohne exekutives
Amt wurden am Montag wegen Auf-
ruhrs relativ undifferenziert zu Haft-
strafen zwischen neun und 13 Jahren
verurteilt. Dass die Richter das noch
härtere Delikt der Rebellion verwarfen,
nutzte der Akzeptanz ihres Spruchs
ebenso wenig wie die Aussicht auf groß-
zügige Hafterleichterung. Nicht nur
Unabhängigkeitsfanatiker werfen dem
spanischen Staat vor, einem politischen
Problem mit Polizei und Justiz zu be-
gegnen, aber ohnepolitische Idee.
Und so schien Barcelona zu Beginn
der vergangenen Woche von den Protes-
ten in Hongkong inspiriert, als Demons-
tranten den Flughafen besetzten. Man-
che fühlten sich wegen der entfesselten
Frustrationen auch an die französischen

Gelbwesten erinnert, und Nacht für
Nacht geht es nun zu wie beim G-20-
Gipfel vor zwei Jahren in Hamburg.
Straßenkampf zwischen Radikalen und
der Polizei mit Feuer, Rauch, Gestank
und einem unendlichen Arsenal von
WWWurfgeschossen. „So etwas hat es hierurfgeschossen. „So etwas hat es hier
noch nicht gegeben“, sagte Kataloniens
Innenminister Miquel Buch. Auch in
den anderen Provinzhauptstädten der
Region, Girona, Lleida und Tarragona,
beginnen mit Anbruch der Dunkelheit
Nacht für Nacht die Unruhen.
In Barcelona spielen sie sich mitten
in der Innenstadt ab, in einem Dreieck
zwischen spanischem Polizeihauptquar-
tier, spanischer Regierungsvertretung
und katalanischem Innenministerium,
das die zentralen Teile des ikonischen
Eixample-Viertels umfasst. Die schach-
brettartigen Straßen mit ihren moder-
nistischen Prachtbauten bieten dieser
Tage ein bisweilen absurdes Nebenher
von Tourismusbetrieb und enthemm-
tem Guerillakrieg. Als schon am frühen
Freitagabend an der Plaça Urquinaona
die Barrikaden brannten wie ein Schei-
terhaufen in der Walpurgisnacht, be-
staunten Gäste eines Luxushotels das
Spektakel beim Warten auf ihren Abhol-
service. Freilich werden immer mehr
Abendveranstaltungen aus Sicherheits-
gründen abgesagt. Zu unvorhersehbar
sind die Orte der Randale, zu unklar ih-
re Strukturen. Medien sprachen am

Freitagabend davon, dass an immer ver-
schiedenen Orten der Innenstadt dir
kurz auftauchende Radikalen Katz und
Maus mit den Polizisten spielten – ver-
gnüglich fand das niemand. Am Sams-
tagmorgen wurde die Gesamtzahl der
Verletzen mit 180 beziffert.
Dabei hatten am Freitag tagsüber
noch 500.000 Menschen am Prachtbou-
levard Passeig de Gràcia friedlich das
Ende eines „Marsches für die Freiheit“
gefeiert – und so für einen Nachmittag
den Herbst 2017 wieder aufleben lassen.
Damals war es trotz Generalstreiks, des
Eingreifens der Madrider Zentralregie-
rung über den Notstandsartikel 155 und
bitterster Wortgefechte zwischen Sepa-
ratisten und Unionisten nie zu Aus-
schreitungen gekommen.
Nun aber bekommen hilflos wirkende
Politiker offenbar die Quittung dafür, in
einem seit Jahren festgefahrenen Kon-
ffflikt die Chance zu schlichten verpasstlikt die Chance zu schlichten verpasst
zu haben. Die spanische Regierung des
Sozialisten Pedro Sánchez beschränkte
sich auf Imagekampagnen im In- und
AAAusland, als ob es gar kein Problem gäbeusland, als ob es gar kein Problem gäbe
und sich Millionen Unabhängigkeitsbe-
fffürworter einfach ignorieren ließen. Ka-ürworter einfach ignorieren ließen. Ka-
taloniens charismafreiem Regionalprä-
sidenten Quim Torra wiederum hört so-
wieso kaum noch jemand zu – er brauch-
te drei Tage, um die Gewalt zu verurtei-
len. Der Substanzverlust, den die katala-
nische Politik durch Inhaftierung ihrer

Führungskräfte erlitten hat, ist über-
deutlich, hat den Separatismus aber
nicht, wie von Madrid erhofft, erledigt,
sondern vor allem unberechenbarer ge-
macht. Am Samstag forderte Torra die
Zentralregierung zu Verhandlungen auf


  • in Madrid will man allerdings, dass
    sich Torra zuvor deutlicher von den ra-
    dikalen Separatisten distanziert.
    WWWährend Torra täglich mit Rücktritts-ährend Torra täglich mit Rücktritts-
    ffforderungen konfrontiert wird, könnteorderungen konfrontiert wird, könnte
    Sánchez das katalanische Labyrinth
    durch Neuwahlen im November sein
    AAAmt kosten. Empathie, Selbstkritik odermt kosten. Empathie, Selbstkritik oder
    Kompromissfähigkeit gehören nicht zu
    den Stärken der spanischen Politikkultur.
    WWWährend die Justiz gegen die anonymeährend die Justiz gegen die anonyme
    Protestplattform „Tsunami Democràtic“
    wegen Terrorismusverdachts ermittelt,
    wwwird die Lage auf den Straßen immer un-ird die Lage auf den Straßen immer un-
    üüübersichtlicher. Aus lokalen Ermittler-bersichtlicher. Aus lokalen Ermittler-
    kreisen heißt es, die Krawalle würden zu-
    nehmend auch durch Autonome von au-
    ßerhalb Kataloniens geprägt. Derweil zie-
    hen Rechtsradikale mit Hitlergruß durch
    die Stadt und machen Jagd auf ver-
    sprengte Separatisten. Bei der Polizei, die
    mit Doppelschichten und Urlaubssperre
    operieren muss, liegen derweil die Ner-
    ven blank.
    Es war zwei Uhr früh, als am Samstag
    etwas Ruhe einkehrte in Barcelona.
    Niemand ging davon aus, dass sie län-
    ger andauern könnte als biszur nächs-
    ten Nacht.


Jeden


Abend ein


Tsunami


Die Unruhen in


Katalonien werden


immer heftiger.


Eine politische Lösung


ist nicht in Sicht


Barcelona brennt jeden Abend

GETTY IMAGES

/JEFF J MITCHELL

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