Die Welt am Sonntag - 20.10.2019

(Sean Pound) #1
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12


20.10.1920. OKTOBER 2019WSBE-HP


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12 FORUM * WELT AM SONNTAG NR.42 20.OKTOBER


W


er solche Freunde
hat, braucht keine
Feinde mehr. Seit-
dem der Wüterich
im Weißen Haus
dem starken Mann am Bosporus die
Kurden als Fraß hinwarf, ist im Mittle-
ren Osten Ernstfall, weit über Kurdis-
tan und seine unglücklichen Bewoh-
ner hinaus. Die amerikanische Inter-
position Force zwischen Syrien und
dem Irak wurde, nachdem Trump und
Erdogan am Telefon handelseinig ge-
worden waren, buchstäblich über
Nacht aus ihrer Riegelstellung heraus-
gezogen. Ob die beiden Akteure ahn-
ten, was sie taten?

VON MICHAEL STÜRMER

Eine geopolitische Revolution wur-
de in Gang gesetzt. Folgen und Neben-
wirkungen sind noch lange nicht in
Sicht, so wenig wie Auswirkungen und
Grenzen, weit über die Region hinaus.
Das alles geschah ohne Notwendig-
keit. Es geschah hauptsächlich, um
Trumps republikanische Wähler zu er-
freuen. War es bisher so, dass Amerika
im Mittleren Osten verlässlich vitale
Interessen behauptete – von den Öl-
quellen über die Schiffahrtsrouten bis
zur strategischen Sicherheit des Staa-
tes Israel –, so zählt das auf dem Bo-
den der neuen Tatsachen nicht mehr
viel. Strategie nach Gusto, Krieg nach
Gutsherrenart, Weltpolitik im Experi-
mentiermodus: Das kann nicht gutge-
hen, für niemanden.
Ob Erdogans Türkei noch zum Na-
to-Bündnis gehört, außer dem Namen
nach, oder aber mit ihrem zynischen
Beistandsverlangen gegen die Kurden
das Bündnis bis zum Zerreißen poli-
tisch und moralisch überfordert, ist
derzeit noch offen. Eines jedenfalls ist
sicher. Das nordatlantische Bündnis
wird niemals wieder sein, was es über
lange Jahrzehnte des Kalten Krieges
war: ein Sicherheitsversprechen für
die Europäer, ein Inbegriff der erwei-
terten Abschreckung und für die USA
die militärische Infrastruktur ihrer at-
lantischen Weltstellung.
Noch vor wenigen Monaten hat das
Bündnis sich als die größte und erfolg-
reichste Militärallianz aller Zeiten ge-
feiert. Selbst Trump, der zunächst iso-
lationistische Zweifel hegte und die
Nato-Partner ob ihrer finanziellen
Knauserigkeit kritisierte, fand lobende
Worte. Sie schienen anzuzeigen, dass
er in die Tradition aller seiner Amts-
vorgänger seit Harry S. Truman ein-
treten würde. Dass allerdings den er-
fahrenen Militärs und Diplomaten, die
über Jahrzehnte die westliche Allianz
durch alle Fährnisse gesteuert hatten,
alsbald mitgeteilt wurde, im Dunst-
kreis des Präsidenten sei man ihrer
Einsichten und Erfahrungen nicht be-
dürftig, war ein Warnsignal. Es wurde
im baltischen Quartier des Bündnisses
mit Zagen zur Kenntnis genommen. In

Berlin wurde es weitgehend und un-
verantwortlich überhört.
Militärbündnisse, wenn sie etwas
taugen sollen, gründen auf Berechen-
barkeit und Vertrauen und selbstver-
ständlich zuerst und vor allem auch in
Eigeninteressen. So ging es auch für
die Nato über lange Zeit durch dick
und dünn, eingeschlossen die Krisen
und Kriege der Jugoslawien-Nachfol-
ge. Jetzt wehen noch immer die Flag-
gen aller 27 Nato-Mitglieder vor dem
Nato-Hauptquartier am Boulevard
Leopold III in Brüssel. Aber es ist
nicht mehr klar, was an Kraft und
Macht dahintersteht. Kein Staat ist für
das Bündnis wichtiger als die USA.
Und jetzt? Es war mehr als symbo-
lisch, dass die gemäß dem Befehl des
Commander-in-Chief aus ihren Quar-
tieren abziehenden Amerikaner, zu-
meist Special Forces, den in die Gegen-
richtung fahrenden Russen begegne-
ten. Putin hat das erreicht, wovon klu-
ge Feldherren quer durch die Geschich-
te meist nur träumen: Sieg ohne Krieg.
In der Region zwischen Baltikum und
Schwarzem Meer hat er längst schon
die Kraftlinien der Geopolitik umge-
zeichnet. Nun, nach Donald Trumps
Entscheidung, wird nichts und nie-
mand Putin hindern – China nicht,
Amerika nicht, und auch nicht die Nato


  • , das „große Spiel“ um Macht, um das
    „nahe Ausland“ und um die eurasische
    Sicherheitszone fortzusetzen, ein
    Spiel, das 1989/90 auf alle Zeit für Russ-
    land verloren zu sein schien. Die Lage
    hat sich radikal verändert.


Aber auch Putin ist anfällig für jene
Hybris, die fast unausweichlich mit
dem Triumph kommt. Das Amerika
des Donald Trump kann als Warnung
dienen. Vor zwei Jahrzehnten stand es
unangefochten, seiner selbst gewiss:
Nach dem Sieg am Persischen Golf
1991 war es Verkünder und selbst er-
nannter Hüter der „neuen Weltord-
nung“. Damals schrieb Carters Sicher-
heitsberater Zbigniew Brezinski ein
hellsichtiges Buch über Amerika, „The
Sole Surviving Superpower“ (Deutsch:
„Die einzige Weltmacht“). Was davon
geblieben ist, kann man dieser Tage in
Europas südöstlicher Unsicherheits-
zone beobachten.
Die Nato hat schon bessere Tage ge-
sehen. Was muss noch passieren, bis
die Nato-Regierungen, speziell die
führungslose Führungsmacht in Ber-
lin, den Ernst der Lage begreifen – und
entsprechend handeln?

KOMMENTARE

Trump macht die Nato


fast zur Spielzeugarmee


PUTIN HAT JETZT


FREIE FAHRT.


WANN BEGREIFT


BERLIN DEN ERNST


DER LAGE?


A


m vergangenen Mittwoch schrie
mich eine Horde von Störern im
Agathe-Lasch-Hörsaal der Universi-
tät Hamburg volle 90 Minuten lang
nieder. Nicht nur mich, auch meine
Studenten. Daraufhin erhielt ich ei-
ne Flut von E-Mails, deren Absen-
der mich ihrer Unterstützung versicherten. Einer
schrieb: „Sie wurden in Essen niedergeschrieen, und
Sie wurden in Hamburg niedergeschrieen. Das zeigt,
dass Sie alles richtig gemacht haben.“
Richtig, in Essen wurde ich auch niedergeschrien.
Das war auf einem AfD-Parteitag wenige Tage vor
meinem Austritt. Ich hatte in den Wochen zuvor eine
Richtungsentscheidung der Partei eingefordert, und
mehr als 3000 Parteimitglieder waren dafür in die
Gruga-Halle gekommen. Immer wieder unterbrachen
hasserfüllte Buh- und Protestrufe meine letzte Rede
als Parteichef. Zum Beispiel als ich über den Islam
sprach und mich für die Religionsfreiheit einsetzte.
Der E-Mail-Schreiber fand richtig, was ich damals
sagte. Nun gibt es auch Leute, die nicht finden, dass ich
alles richtig gemacht habe. Das ist in Ordnung. Man
kann mir Fehler vorwerfen, und ich erläutere gern mei-
ne Sicht der Dinge, sei sie ähnlich oder ganz anders ge-
artet. Wichtig ist, dass sachlich argumentiert wird.
Nur ging es weder in Essen noch in Hamburg um
Dialog und Argumentation. Es ging um politische
Herrschaft. Auf einem Parteitag hat dies seinen legiti-
men Platz, im Hörsaal einer Universität jedoch nicht.
Den Störern liegt an der politischen Meinungs-
herrschaft: Siewollen darüber entscheiden, was rich-
tig und was falsch ist. Wird mein politisches Wirken
nicht gutgeheißen, darf ich meinem Beruf nicht nach-
gehen. „So ein Mensch gehört an keine Universität“
wetterte der Vorsitzende des Hamburger AStA. Zu-
dem sei meine Lehre „neoliberal“, und das würde oh-
nehin zu viel gelehrt. Offenbar soll politisch be-
stimmt werden, zu welchen Erkenntnissen die Wis-
senschaft zu gelangen hat.
Dies wäre eine Posse, wenn es nur um die politi-
schen Gehversuche einiger junger Leute ginge. Be-
deutend aber ist, dass am Mittwoch der Mechanis-
mus, mit dem auch andernorts in unserer Gesell-
schaft politische Herrschaftsansprüche durchgesetzt
werden, so stark überdehnt wurde, dass dies endlich
einmal allgemeine Empörung hervorrief.
Dieser Mechanismus besteht darin, dass man die
Positionen von politisch Andersdenkenden vergrö-
bert und verzerrt wiedergibt, um sie möglichst nach-
haltig zu diskreditieren. Wer den Euro kritisiert, ist
ein Antieuropäer, wer das Kopftuch verbieten will, ist
ein Islamfeind, wer Greta kritisiert, ein Klimaleug-
ner. Gewiss, es gibt auch faire Diskussionspartner,
aber sehr oft findet man in der öffentlichen Debatte
die effektvolle Entstellung der gegnerischen Positi-
on: Wer Abtreibungen ablehnt, will die Frauen zurück
an den Herd, wer Seenotrettung nicht mit einer Ein-

trittskarte in die EU verbinden will, ist inhuman, und
wer in der AfD ist, ist ein Rassist.
All das liest man ständig. Man hat sich fast schon
daran gewöhnt. Nur dass ein Professor, der seine Vor-
lesung halten will, ein „Nazischwein“ ist, hatte man
noch nicht so oft gehört. Gewiss, dieser Professor ist
auch ein Übeltäter, weil er die AfD gegründet hat,
aber „Nazischwein“ verbunden mit einem Angriff auf
die Freiheit der Lehre ging dann doch zu weit. Und
mancher erinnerte daran, dass die damals gegründete
Partei politisch ganz anders verortet war als die heu-
tige AfD. Wobei selbst die heutige AfD keine Schlä-
gertrupps durch die Straßen schickt, den Reichstag
nicht anzündet, keinen Weltkrieg anzetteln und kei-
ne Menschen vergasen möchte.
Der Versuch, den politisch Missliebigen zu diskre-
ditieren, ging diesmal gründlich in die Hose: Die Stö-
rer hatten den Bogen überspannt. Bundesweit wur-
den die Ausschreitungen an der Universität sofort
einhellig verurteilt. Ausgenommen der Universitäts-
präsident und die Hamburger Wissenschaftssenato-
rin. Diese gaben zu Protokoll, vor dem Hintergrund
der deutschen Geschichte müssten „diskursive Aus-
einandersetzungen“ ausgehalten werden.

Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen,
wie dieselben Störungen in den schärfsten Worten
verurteilt worden wären, wenn AfD-nahe Studenten
mich als „Vaterlandsverräter“ niedergeschrien hätten.
Das war in Essen eine Wortwahl gewesen.
Von welcher Seite auch immer: Die Verunglimp-
fung des politisch Andersdenkenden ist kein probates
Mittel einer „diskursiven Auseinandersetzung“. Aber
wir begegnen ihr, wo immer die Position eines An-
dersdenkenden ins Negative gezogen, vergröbert und
verzerrt wird. Es sind keineswegs nur die politischen
Ränder, die davon Gebrauch machen („Deutschland-
Abschaffer“ von rechts, „Rassist“ von links). Gerade
die Vertreter der Mehrheitsmeinungen sind sehr
schnell darin, schon bei leichten Abweichungen vom
allgemein akzeptierten Meinungskorridor sehr häss-
liche Begriffe hervorzuholen, um einen Angriff auf
die Meinungsherrschaft abzuwehren. Meinungsherr-
schaft ist zugleich politische Herrschaft, denn wer
die Mehrheitsmeinungen vertritt, gewinnt Wahlen.
Um nicht missverstanden zu werden: Deutschland
ist ein freies Land, und jeder kann seine Meinung –
wie abstrus sie auch sein mag – äußern, wo und wie er

will. Grenzen finden sich erst bei Straftatbeständen
wie Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung,
und das ist auch richtig so.
Trotz dieser Tatsache haben nach einer jüngeren
Allensbach-Studie fast zwei Drittel der Bevölkerung
den Eindruck, ihre Ansichten nicht frei vertreten zu
können. Sie müssten sehr aufpassen, wenn sie sich zu
bestimmten „heiklen“ Themen äußern. Obwohl es
grundsätzlich jedermann freisteht, fürchten sie nega-
tive Folgen, wenn sie zu diesen Themen eine abwei-
chende Meinung haben.
Der Grund für den alarmierenden Befund von Al-
lensbach ist die Furcht, sozial ausgegrenzt und stig-
matisiert zu werden, wenn man andere als die herr-
schenden Meinungen vertritt. Dies kann leicht durch
die schon beschriebene Vergröberung und Verzer-
rung der eigenen Position geschehen. Man möchte
nicht gern ein Etikett verpasst bekommen, das so-
wohl unschön als auch unwahr ist.
Ein solches Etikett kann man aber auch dadurch
bekommen, dass man irgendwo einen kleinen Fehler
macht. In einem längeren Text reicht oft eineun-
glückliche Formulierung, eine etwas zu steile These,
und schon stürzen sich die Medien oder der politi-
sche Gegner auf diesen Fehler und nur auf ihn.
Da hilft es dann wenig, wenn der ganze Rest unan-
stößig und argumentativ hochwertig ist – der Stab
ist gebrochen.
Mit heiklen Themen ist man auf glattem Eis. Das
liegt nicht jedem. Die meisten Bürger können nicht
druckreif sprechen, und sie wollen sich auch nicht da-
rum bemühen müssen. Sie wollen reden können, wie
ihnen der Schnabel gewachsen ist, wissen aber, dass
man dann leicht mal zu einer falschen Formulierung
greift. Im Familien- und Freundeskreis ist das nicht
schlimm, aber am Arbeitsplatz oder in der Öffent-
lichkeit kann es einsam um einen werden. Fast
scheint es, als hätte sich in der deutschen Gesell-
schaft eine hämische Freude daran eingenistet, ir-
gendetwas aufzubauschen, was Menschen mit Min-
derheitenmeinungen in ein möglichst schlechtes
Licht rückt.
Das ist nicht gesund. Es ist nicht gut für die Bürger,
denn sie fühlen sich verunsichert. Es ist nicht gut für
die Gesellschaft, in der gerade über anstößige Mei-
nungen offen und sachlich gesprochen werden müss-
te, um sie (und die Mehrheitsmeinung) hinterfragen
und gegebenenfalls ändern zu können. Und es ist
nicht gut für die Politik.
Denn auch Politiker verspüren den Druck, unan-
greifbar reden zu müssen. Ein falscher Satz in einem
sensiblen Feld kann der Karriere beträchtlichen
Schaden zufügen. Deshalb wird an den Formulierun-
gen geschliffen, bis sie rund und glatt wie Seifenbla-
sen sind. Nicht zu greifen, nahezu inhaltsleer und mit
ebenso flüchtigem Erinnerungswert. Das aber führt
zur Entfremdung gegenüber den Wählern.
Hier schließt sich der Kreis. Die führenden Politi-
ker sind stets zugleich die Vertreter der herrschen-
den Meinung. Sie versuchen, ihre Meinungsherr-
schaft zu erhalten, indem dissentierende Stimmen
ins Abseits geschoben werden – oft absichtlich wei-
ter, als es inhaltlich gerechtfertigt ist. Und um dem
politischen Gegner nicht dieselbe Blöße zu bieten,
betreiben sie eine weitgehende inhaltliche Entker-
nung ihrer eigenen Äußerungen. Große Teile der poli-
tischen Rhetorik erstarren zu Floskeln und Phrasen.
Damit wächst die Distanz zwischen Wählern und Ge-
wählten, denn die gewählten Politiker bieten den
Wählern wenig, woran diese sich festhalten können.
Hier geht der Schuss nach hinten los. Mit wachsen-
der Distanz erodiert die Meinungsherrschaft. Für die
Wähler steigt die Versuchung, sich anderen Politi-
kern zuzuwenden, die unkonventionelle Meinungen
vertreten. Wer abtrünnige Wähler zurückgewinnen
will, muss andere Meinungen respektieren. Verzer-
ren und diskreditieren geht leicht und schnell. Aber
es ist feige. An dieser Feigheit krankt unser Land.

An der Feigheit


krankt das Land


Ich bin also ein „Nazischwein“ und außerdem noch „neoliberal“?


Wer andere Meinungen niederschreit, um zu herrschen,


gefährdet die Freiheit, schreibt der frühere AfD-Chef Bernd Lucke


ESSAY

AUCH POLITIKER VERSPÜREN


DEN DRUCK, UNANGREIFBAR


REDEN ZU MÜSSEN. DAS


GEHT AUF DAUER NICHT GUT


I


m kommenden Jahr wird mit 5G in
Deutschland der Nachfolger des
LLLTE-Mobilfunknetzes eingeführtTE-Mobilfunknetzes eingeführt
werden. Der Wechsel ist nicht irgendein
technisches Update. Mit der 5G-Tech-
nik werden Daten erstmals so schnell
üüübertragen, dass neue Anwendungsfällebertragen, dass neue Anwendungsfälle
möglich werden. Dazu gehören Techno-
logien, die unser Leben verändern wer-
den: Autos ohne Fahrer, die Vernetzung
von nahezu allen Geräten, die uns um-
geben, Telemedizin, mit künstlicher In-
telligenz optimierte Energieversorgung
und Landwirtschaft.

VON JOHANNES BOIE

Deutschland hat nicht die Fähigkei-
ten, diese Technik allein umzusetzen.
Im digitalen Zeitalter hinken wir an-
deren Ländern hinterher. Wie stets
sind die Chinesen zur Stelle, die die
Schwäche anderer Staaten gezielt zum
Ausbau der eigenen Dominanz nut-
zen. Der Konzern Huawei könnte uns
mit moderner Technik helfen. In Chi-
na sind Staat und Wirtschaft eng ver-
woben. In der vergangenen Woche
schwächte die Bundesregierung Si-
cherheitsbestimmungen ab, die den
Ausschluss Huaweis ermöglicht hät-

ten. So kommt es, dass eine digitale
Überwachungsdiktatur am Bau der in
Zukunft wichtigsten deutschen Infra-
struktur beteiligt sein wird.
In Hongkong haben derweil die ver-
zzzweifelten Jugendlichen, die sich demweifelten Jugendlichen, die sich dem
aaautoritären Griff der chinesischen Dik-utoritären Griff der chinesischen Dik-
tatur durch Protest entziehen wollen,
Straßenlampen umgetreten. In ihrem
Inneren fand sich Überwachungstech-
nik aus China. Das Land ist die perfekte
digitale Kontrollmaschine. Wer sich
nicht systemkonform verhält, be-
kommt keine Zug- oder Flugtickets.
Der Staat sieht alles, weiß alles, lenkt
alles. Presse- und Meinungsfreiheit
existieren nicht. Das versucht die Dik-
tatur auch in anderen Ländern durch-
zusetzen. Gerade erst hat das chinesi-
sche Fernsehen alle Verträge mit der
amerikanischen Basketballliga NBA ge-
kündigt, weil ein Vereinschef Unter-
stützung für die Demonstranten in
Hongkong geäußert hatte.
AAAber keine Sorge: In Deutschlandber keine Sorge: In Deutschland
droht uns kein Ärger aus China. Nicht
nur kuscht die Regierung brav beim
Thema Netzausbau, auch die meisten
Firmen üben bereits regelmäßig den
Kotau vor der jungen, brutalen Welt-
macht. Seite 36

Der große Bruder China


baut mit am Handynetz


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