Die Welt am Sonntag - 20.10.2019

(Sean Pound) #1
schiedliche Erwerbsbeteiligung von
Frauen in der DDR und der Bundesre-
publik lebe offenbar in den Köpfen der
heutigen jungen Generation fort, heißt
es dazu in der Studie.
Ein Befund, den man auch im Deut-
schen Jugendinstitut in München teilt.
In dem Projekt „Entwicklung von Fami-
lienbildern“ untersuchen die Forscher
dort, welchen Einfluss Rolleneinstel-
lungen und Arbeitsteilungsmuster der
Eltern auf die Vorstellungen ihrer Kin-
der über Partnerschaft, Elternschaft
und Arbeitsteilung haben. „Erste Ergeb-
nisse zeigen einen robusten Zusam-
menhang zwischen dem elterlichen Er-
werbsarrangement und den Vorstellun-
gen ihrer Kinder“, heißt es dort.

J


ugendliche, deren Eltern die Er-
werbsarbeit egalitär aufteilten,
befürworten ein höheres Er-
werbsarbeitszeitvolumen für Mütter als
jene, die in einem männlichen Allein-
verdienermodell groß wurden. Im
Schnitt hätten die 15 bis 28 Jahre alten
Befragten sich für ein Modell ausge-
sprochen, in dem die Mutter 20 und der
Vater 30 Stunden in der Woche arbeitet,
wenn ein Kleinkind zu betreuen ist, sagt
Janine Bernhardt, die das Projekt wis-
senschaftlich betreut. „Dies spricht aus
meiner Sicht für ein modernisiertes
männliches Hauptverdienermodell mit
einem deutlich geringeren Stundenum-
fang für Väter.“
Tatsächlich hatten sich auch in der
Shell-Studie viele junge Männer für ei-
ne leicht reduzierte Arbeitszeit ausge-
sprochen, wenn ein kleines Kind im

Die Shell-Jugendstudie ist so etwas wie
ein Seismograf für die Befindlichkeit
der nachwachsenden Generation. Seit
1 953 erkundet sie alle vier Jahre die Le-
benswelt der Zwölf- bis 25-Jährigen in
Deutschland. Sie fragt nach Meinun-
gen und Werten, Hoffnungen und
Träumen, politischem Engagement
und der Einstellung zum Leben. In die-
ser Woche haben die Wissenschaftler
um den Bielefelder Sozialforscher Ma-
thias Albert die 18.Ausgabe des Ju-
gendreports vorgelegt.

Unter dem Titel „Eine Generation
mischt sich ein“ zeichnen sie das Bild
einer Jugend, die leistungsbereit und
flexibel ist, selbstbewusst und politisch
engagiert; getragen von einem Gefühl
der Achtsamkeit gegenüber der Um-
welt, der Gesellschaft und der Zukunft.
Und nicht zuletzt gegenüber sich selbst:
Arbeit und Leistung ja, aber es soll eben
auch Zeit für die anderen wichtigen
Dinge des Lebens sein – für Freizeit,
Freunde und vor allem Familie.
Und just dort warten die Forscher
mit einer Überraschung auf: Wenn es

Und just dort warten die Forscher
mit einer Überraschung auf: Wenn es

Und just dort warten die Forscher

ums Kinderkriegen geht, ticken die Ju-
gendlichen erstaunlich konservativ.
Erstmals hatte das an der Studie betei-
ligte Umfrageinstitut Kantar den Ju-
gendlichen die Frage gestellt, wie sie
sich mit ihrem Partner die Arbeitszeit
aufteilen würden, wenn sie 30 wären
und ein zweijähriges Kind zu betreuen
hätten. Erwartet hatten die Wissen-
schaftler eine Mehrheit für gleichbe-
rechtigte Arbeitszeitmodelle.

S


tattdessen aber sprachen sich 54
Prozent der Jugendlichen für ein
„männliches Versorgermodell“
aus, in dem also der Vater mit 30 bis 40
Stunden Arbeitszeit pro Woche den Lö-
wenanteil zum Haushaltseinkommen
beiträgt und die Mutter nur in maximal
20 Wochenstunden etwas dazuverdient.
Für Studienleiter Mathias Albert von
der Universität Bielefeld ist es das be-
merkenswerteste Ergebnis: „Jungen
und Mädchen haben einen großen Kon-
sens, wie sie sich die Aufteilung von Er-
werbsarbeit untereinander vorstellen.“
Dem Ideal des „männlichen Allein-
versorgers“, bei dem die Frau ganz zu
Hause bleibt, hängen zwar nur zehn
Prozent der jungen Leute an. Für 44
Prozent aber ist mit einem kleinen
Kind im Haus die auch bei der heutigen
Elterngeneration beliebte Vollzeit/Teil-
zeit-Kombination ideal. Gleichberech-
tigte Modelle, in denen beide Vollzeit
oder beide gleichermaßen reduziert ar-
beiten, werden nur von einem guten
Drittel favorisiert.
„Es ist schon sehr überraschend für
uns und auch eine erstaunliche Ent-
wicklung, dass so viele junge Leute sich
auf den Weg einer Re-Traditionalisie-
rung machen“, sagte eine konsternierte
Familienministerin Franziska Giffey
(SPD) bei der Vorstellung der Studie.
Schließlich versuche sie mit ihrer Poli-
tik, Vereinbarkeit und Rahmenbedin-
gungen für eine partnerschaftliche Er-
ziehungswahrnehmung zu schaffen.
„Als Familienministerin sage ich: Je-
der soll mit der Familie nach seiner Fas-
son leben können“, so Giffey. „Aber als
Frauenministerin sage ich: Wir müssen
dafür sorgen, dass es eine gute Er-
werbsquote von Frauen gibt, dass sie
VVVorsorge treffen können, um Renten-orsorge treffen können, um Renten-
ansprüche zu erwerben und Altersar-
mut entgegenzuwirken.“ Ein Mantra,
das auch Giffeys Vorgängerinnen aufge-
sagt haben. Wenn Frauen sich weiter
auf ihre Männer verlassen, so die Bot-
schaft, dann wird das nie was mit der
AAAbschaffung der Lohnlücke zwischenbschaffung der Lohnlücke zwischen
Männern und Frauen.

Haus ist. Nur 41 Prozent wollen 40
Stunden arbeiten, 37 Prozent finden
einen Umfang von 30 Stunden ange-
messen (siehe Grafik). Interessanter-
weise ist das vielen Mädchen sogar
noch zu wenig: 51 Prozent von ihnen
wollen, dass der Vater ihrer Kinder
richtig ranklotzt, mit 40-Stunden-Wo-
che. Allerdings stellten die Wissen-
schaftler auch Unterschiede nach Her-
kunft und Bildungsstand fest. Die Ju-
gendlichen aus den oberen sozialen
Herkunftsschichten sind weniger tra-
ditionell als die aus den unteren, kon-
fffessionslose weniger als religiöse. Amessionslose weniger als religiöse. Am
konservativsten sind die muslimi-
schen Jugendlichen eingestellt.
„„„Wir beobachten bei den jungenWir beobachten bei den jungen
Leuten ein großes Streben nach Si-
cherheit, vor allem in beruflicher Hin-
sicht. Möglicherweise assoziieren sie
auch die traditionelle Arbeitsteilung
mit Sicherheit. Vielleicht können sie
sich auch nicht vorstellen, ein kleines
Kind schon in einem so hohen Maße
outzusourcen“, vermutet Studienlei-
ter Albert. Zudem hätten die Jugend-
lichen einen großen Wunsch nach
Freizeit. Steckt also hinter der Ableh-
nung des Zwei-Vollzeitjobs-plus-
Kind-Modells womöglich einfach nur
der Wunsch, nicht im Hamsterrad zu
landen? „Ich will nicht ausschließen,
dass dabei auch eigene Erfahrungen
eine Rolle spielen“, sagt Albert.
„„„Wenn sie erleben, dass ihre eigenenWenn sie erleben, dass ihre eigenen
Eltern vor lauter Arbeit zu wenig Zeit
fffür ihre Kinder hatten, könnte dasür ihre Kinder hatten, könnte das
durchaus ein Motiv dafür sein, es an-
ders zu machen.“

Die Shell-Jugendstudie zeigt: Mit ihren Vorstellungen zu Arbeit und Kindererziehung


sind heutige Jugendliche traditioneller, als die Politik sich das bisweilen wünscht


GETTY IMAGES/TETRA IMAGES RF

/KATERYNA SOROKA

VONSABINE MENKENS

Gar nicht Ca. �� Ca. �� Ca. �� Ca. �� Wochenstunden k.A.

Gewünschte Aufteilung der Erwerbstätigkeit

Quelle: Shell Jugendstudie ����

Angaben in Prozent*
Stell dir vor, du wärst �� Jahre alt und hast mit deiner Partnerin / deinem Partner
ein zweijähriges Kind ...
... wie viele Stunden würdest du dann am liebsten arbeiten?

... wie viele Stunden möchtest du, dass deine Partnerin/ dein Partner
dann arbeitet?

Männer



Frauen

Männer
Frauen





   

   

      

   

*Befragte: Jugendliche im Alter von �� bis �� Jahren

D


Alles wie gehabt?


AAAuch Studienleiter Albert will nichtuch Studienleiter Albert will nicht
verhehlen, dass er davon ausgegangen
ist, dass Gleichberechtigung und Part-
nerschaftlichkeit mit Blick auf die Ar-
beitsverteilung in der Familie schon wei-
ter ausgeprägt seien, wie er im Gespräch
mit dieser Zeitung sagt. „Ich würde aber
nicht von einer Re-Traditionalisierung
sprechen wie die Familienministerin. Es
ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass tra-
ditionelle Familienformen definitiv noch
nicht am Aussterben sind. Sie mögen po-
litisch nicht immer erwünscht sein, man
darf ihnen aber nicht die gesellschaftli-
che Legitimität absprechen.“

D


er Politikwissenschaftler will
es lieber positiv formulieren:
„Es gibt heutzutage eine viel
größere Vielfalt der Lebensgestal-
tung.“ Viele Jugendliche orientierten

sich sehr an dem, was ihnen die Eltern
vorleben, so Albert. „Insofern spiegeln
die Aussagen auch die gesellschaftliche
Realität wider.“

W


ie sehr die Vorstellungen der
Jugendlichen von gesell-
schaftlichen Normen beein-
flusst werden, zeigen die frappierenden
Unterschiede zwischen West- und Ost-
deutschland. Während Jugendliche in
den östlichen Bundesländern in der
Mehrzahl gleichwertig aufgeteilte Mo-
delle bevorzugen, dominiert in den be-
völkerungsreicheren West-Ländern das
klassische Versorgermodell. Im Osten
können sich mehr als die Hälfte der
Mädchen und jungen Frauen auch mit
Kleinkind eine Arbeitswoche von 30
Stunden und mehr vorstellen, im Wes-
ten hingegen nur 26 Prozent. Die unter-

WAMS_DirWAMS_DirWAMS_Dir/WAMS/WAMS/WAMS/WAMS/WSBE-HP/WSBE-HP
20.10.1920.10.1920.10.19/1/1/1/1/Aaw1/Aaw1MPOLLMAN 5% 25% 50% 75% 95%

Abgezeichnet von:
Artdirector

Abgezeichnet von:
Textchef

Abgezeichnet von:
Chefredaktion

Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst

17


20.10.1920. OKTOBER 2019WSBE-HP


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WELT AM SONNTAG NR.42 20.OKTOBER2019 SEITE 17

LEBEN & WISSEN


Volles Risiko:Warum Menschen für ein Selfie ihr Leben riskieren S. 22


Automatisch


unautoritär


Gerne wäre ich ein Bestimmer, so wie
Pep Guardiola oder Helmut Schmidt.
Klappt aber nicht. Keine Ahnung, was
Helmut Schmidt zu seinem Friseur
gesagt hat, vermutlich nichts weiter
als „Guten Tag, wie immer.“ Auf je-
den Fall sah er anschließend aus wie
immer. Bei mir ist das anders. Ich ge-
he seit 20 Jahren zu einer Dame, die
mir jedes Mal eine neue Frisur andre-
hen will. Und immer möchte sie mir
am Ende fettiges Zeug in die Haare
kneten. Ich möchte aber mit 52 nicht
mehr aussehen wie ein holländischer
Drittliga-Fußballer. Dennoch schafft
sie es jedes Mal, mir irgendeine stin-
kende Paste auf die Rübe zu schmie-
ren. Ich gehe dann wasserfest nach
Hause und ärgere mich über meine
fffehlende Autorität.ehlende Autorität.
Dasselbe gilt im Café. Neulich in
Berlin bestelle ich einen doppelten
Espresso. Ich mag die italienische
Sitte, dazu ein kleines Glas Wasser zu
trinken, was aber hierzulande nicht
automatisch mit serviert wird. Also
ordere ich den Kaffee und dazu ein
Glas Wasser, bitte. Danke. Es kommt
also der doppelte Espresso sowie ein
Halbliter-Bierhumpen mit Sprudel,
auf dem eine Zitronenscheibe he-
rumdümpelt. Es handelt sich um Mi-
neralwasser mit extragroßen Bläs-
chen, die im Hals kratzen, als würde
man Stacheldraht runterwürgen. Das
mögen nur die Deutschen, glaube ich.
Ich sage zur Kellnerin, dass ich ei-
gentlich an ein kleines Gläschen Lei-
tungswasser gedacht habe, und sie
patzt mich an, dass ich ein Glas Was-
ser bestellt hätte, und dies sei ein
Glas Wasser. Ich könne aber gerne
noch ein kleines Glas Leitungswasser
dazu haben. Das große Wasser lässt
sie stehen und geht weg. Ich schmirg-
le meinen Hals damit, trinke den Es-
presso und frage mich, ob Pep Guar-
diola jemals einen halben Liter deut-
sches Mineralwasser zum Käffchen
getrunken hat. Bestimmt nicht.
Zu Hause bemühe ich mich hier
und da um enorm strenge Ansagen,
aaaber auch da kam es jüngst wieder zuber auch da kam es jüngst wieder zu
einer fundamentalen Untergrabung
meiner fehlenden Autorität durch
meinen Sohn. Nick hatte am vergan-
genen Wochenende drei Freunde zu
Besuch. Riesen-Lulatsche mit Hun-
ger. Ich wollte um Viertel vor eins ins
Bett und traf die Truppe in der Küche
an, wo sich aber nichts befand, das sie
gerne essen wollten. Also verkündete
Nick, man werde jetzt noch mal raus-
gehen und einen Döner besorgen.
Ich sah auf die Uhr und sprach:
„„„Tut mir leid, es ist Viertel vor eins,Tut mir leid, es ist Viertel vor eins,
du gehst jetzt nirgends mehr hin, au-
ßer ins Bett.“ Nick reagierte bockig
und erklärte, er werde einfach so lan-
ge warten, bis ich eingeschlafen sei,
und dann mit den Jungs einen Döner
holen gehen. Ich sah ihn recht lange
und wie ich fand ausgesprochen
grimmig an und erwiderte, dass nie-
mand mehr um diese Zeit aus dem
Haus gehe. Und damit basta. Und es
werde sich daran gehalten. Kein
Mensch muss um ein Uhr Döner es-
sen. Gute Nacht.
Gegen drei Uhr hörte ich die Woh-
nungstür. Ich habe eine Art Ammen-
schlaf, wenn es um Nick geht. Ich
stand auf, nahm meine Brille und ta-
pertein sein Zimmer. Dort saßen er
und seine Jungs auf dem Fußboden
und aßen. „Habe ich nicht gesagt,
dass keiner mehr das Haus verlässt
und kein Döner mehr gegessen
wird?“, donnerte ich leise, weil müde.
Darauf sprach mein Sohn, dass man
sich ausdrücklich an diese Regeln ge-
halten habe. Es handele sich bei dem
Essen nämlich nicht um Döner, son-
dern um Curry vom Thai-Imbiss. Au-
ßerdem habe man das Essen nicht ge-
holt, sondern sich bringen lassen.
Niemand sei weg gewesen. Man habe
es mit meiner Karte bezahlt, und ob
ich eine Frühlingsrolle wolle. Nein.
WWWollte ich nicht. Und ich fühle michollte ich nicht. Und ich fühle mich
ffflächendeckend nicht ernst genom-lächendeckend nicht ernst genom-
men, verdammt noch mal.

MEIN LEBEN ALS
MENSCH

JAN WEILER

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