Die Welt am Sonntag - 20.10.2019

(Sean Pound) #1
WAMS_DirWAMS_DirWAMS_Dir/WAMS/WAMS/WAMS/WAMS/WSBE-HP/WSBE-HP
20.10.1920.10.1920.10.19/1/1/1/1/Pol3/Pol3SPROBST 5% 25% 50% 75% 95%

Abgezeichnet von:
Artdirector

Abgezeichnet von:
Textchef

Abgezeichnet von:
Chefredaktion

Abgezeichnet von:
Chef vom Dienst

4


20.10.1920. OKTOBER 2019WSBE-HP


  • ZEIT:----ZEIT:BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -ZEIT:-BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ---ZEIT:---BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: :BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: ZEIT:BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE: -BELICHTERFREIGABE:
    BELICHTER: BELICHTER: FARBE:BELICHTER:


4 POLITIK WELT AM SONNTAG NR.42 20.OKTOBER


Was war denn


das jetzt?


Im Jahr 1950 unternahm das Frank-
furter Institut für Sozialforschung
ein Gruppenexperiment. Man las
Grüppchen von zehn bis zwölf Deut-
schen den fingierten Brief eines
amerikanischen GIs namens Joe Col-
burn vor, den dieser angeblich am
Ende seines Einsatzes als Besat-
zungssoldat in Deutschland ge-
schrieben hatte. Der GI zog ein ge-
mischtes Fazit: Manche Deutsche
hätten Entnazifizierungsfortschritte
gemacht, aber ob wirklich alle die
Kurve bekommen hätten, da war sich
Colburn nicht so sicher. Der Brief
löste in den Gruppen heftige Diskus-
sionen aus, deren Protokolle zeigen,
dass bei dem einen oder anderen
doch noch ein paar größere Krümel
Nazigedankenungut im Hirn hafte-
ten. Eine bei Deutschen im Jahr 1950
beliebte Argumentationslinie war,
die überlebenden Juden nachträglich
für den Antisemitismus verantwort-
lich zu machen. Gern wurde auch
vorgebracht, es müsse jetzt auch mal
gut sein mit dem Gerede von der
Schuld. Im Jahr 2019 finden Grup-
penexperimente in Form von Talk-
shows wie „Plasberg“ in der ARD
statt. Dort diskutierte man am Mon-
tag die zeitlose Frage „Wie stark ist
der Antisemitismus in Deutsch-
land?“ und verlas die „Zuschauerre-
aktion“ einer gewissen Gisela Holl,
die den Standpunkt vertrat, man sol-
le „das Judenthema“ etwas zurück-
nehmen, denn „genau das“ schüre
den Hass. Die Kinder bekämen „es“
in der Schule „auch eingetrichtert,
und gut ist’s“. Den sich anbahnen-
den Widerspruch seines Gastes Mi-
chel Friedman unterband Frank
Plasberg mit der flapsigen Bemer-
kung „Ich weiß, dass sie jetzt gerade
schwer atmen, wir lassen es einfach
mal stehen, das ist eine Zuschauer-
diskussion. Mitten aus Deutschland
an einem Montagabend.“ Dass mit-
ten in Deutschland montagabends
munter mit antisemitischen Tropen
operiert wird, ist tristerweise wenig
überraschend. Dass Moderatoren an-
tisemitischen Quatsch in öffentlich-
rechtlichen Talkshows einfach ste-
hen lassen, ist allerdings eher neu.
Wir lassen das mal so stehen.
Am Dienstagnahm der Literatur-
nobelpreisträger Peter Handke in
seinem Heimatort Griffen an einem
spontanen Poetry-Slam teil. Kritik
an seiner etwas zu wohlwollend ge-
ratenen Prosa über den serbischen
Genozid-Künstler Slobodan Milose-
vic in den 90er-Jahren konterte
Handke mit einer seiner beliebten
Journalisten-Beschimpfungen und
deklarierte dann: „Ich bin ein
Schriftsteller, ich komme von Tols-
toi, ich komme von Homer, ich kom-
me von Cervantes, und lasst mich in
Frieden und stellt mir nicht solche
Fragen.“ Nun ist dies eine etwas be-
queme Art die Verantwortung für
selbst geschriebenen Unfug von sich
zu weisen, aber man kann von Hand-
ke auch schlecht erwarten, dass er
sich vor sein Gartentor stellt und
schreit: „Ich komme von Milosevic,
ich komme von Pol Pot, ich komme
von Idi Amin. Hier habt ihr euren
Nobelpreis zurück.“ Gute Literatur
ist ohne moralische Zwiespältigkeit
selten zu haben, daher ist die Zahl
benimmpreiswürdiger Autoren, die
politisch noch alle Tassen im
Schrank haben und privat einfach
nur total nett sind, traditionell eher
gering.
Die Zivilisation ist unterdessen
„sehr froh“, denn dem amerikani-
schen Präsidenten Donald Trump ist
es nach eigenen Angaben gelungen,
den von ihm selbst losgetretenen
Einmarsch der türkischen Armee in
Syrien vorübergehend bremsen zu
lassen. Am Donnerstag fffeierteeierte
Trump die Übereinkunft mit der
Türkei als „großartigen Tag“ für die
Türken, für die Kurden und für die
Zivilisation. Die Türken seien sehr
froh, die Kurden seien sehr froh, und
die Zivilisation sei auch sehr froh.
Denn die Türken müssten jetzt nicht
„Millionen von Leuten umbringen“
und „Millionen von Leuten“ müss-
ten auch nicht die Türken umbrin-
gen. Wir lassen das, also die Zivilisa-
tion, jetzt einfach mal so stehen.

CHRONIK

VONSASCHA LEHNARTZ
Obgleich erst wenige Wochen im Amt,
hat Rolf Mützenich als Fraktionsvorsit-
zender der Sozialdemokraten im Bun-
destag schon mit zahlreichen Krisen zu
tun, auf die er reagieren muss – vom An-
schlag in Halle bis zum Einmarsch der
Türkei in Syrien.

WELT AM SONNTAG: Herr Mützenich,
was sind für Sie die Konsequenzen
aus den Ereignissen von Halle, die
über die „Nie wieder“-Phrasen hi-
nausgehen?
ROLF MÜTZENICH: Ich habe mir nicht
vorstellen können, dass wir nach den
NSU-Morden und dem Mord am Regie-
rungspräsident Walter Lübcke vor der
Situation stehen, dass ein jüdisches Ge-
betshaus angegriffen wird und jemand
versucht, Menschen im Gebet umzu-
bringen. Offenbar haben wir in
Deutschland eine Atmosphäre, in der
Hass und die Gewaltbereitschaft gegen-
über Andersdenkenden zugenommen
haben. Ein bloßes „Nie wieder“ genügt
tatsächlich nicht. Es muss jetzt umso
mehr um eine breite gesellschaftliche
Auseinandersetzung mit diesen Proble-
men gehen. Es mag sein, dass es sich in
Halle um einen Einzeltäter handelte,
aber diese Tat fand in einem System
statt. Für den Staat heißt das auch,
nicht nur neue Schutzmaßnahmen für
jüdische Gemeinden zu ergreifen, son-
dern zu überlegen, wie man solche Ge-
waltbereitschaft frühzeitig identifizie-
ren kann.

Der Antisemitismusbeauftragte der
Bundesregierung Felix Klein fordert
eine Strafverschärfung für antisemiti-
sche Straftaten.
Wir sollten erst einmal prüfen, ob die
vorhandenen Gesetze auch wirklich an-
gewandt wurden, ehe wir nach Strafver-
schärfungen rufen. Die Bundesjustizmi-
nisterin ist im Gespräch mit dem In-
nenminister, um die Bekämpfung des
Rechtsradikalismus effektiver zu gestal-
ten. Lassen Sie uns abwarten, zu wel-
chen Ergebnissen sie kommen. Ich kann
nur vor Schnellschüssen warnen. Für
mich ist schon jetzt klar, dass wir Pro-
gramme fördern müssen, die die Demo-
kratie stärken. Die Demokratie wird an-
gegriffen, ist aber wehrhaft. Ich halte
viel von einem Demokratieförderge-
setz. Das würde helfen, Projekte in der
Extremismusprävention dauerhaft för-
dern zu können.

Inwieweit machen Sie die AfD für das
rechtsextreme Klima, das in einigen
Milieus herrscht, mitverantwortlich?
Die AfD ist zu großen Teilen für das
rechtsradikale, völkische und antisemi-
tische Klima bestimmter Milieus mit-
verantwortlich. Wenn das AfD-Mitglied
Stephan Brandner als Vorsitzender des
Rechtsausschusses ganz bewusst einen
Tweet verbreitet, der sich abfällig über
die Opfer von Halle äußert, dann zeigt
es, dass es überhaupt keine Schranke
des Anstandes in der AfD gibt. Solange
Alexander Gaulands Begriff des „Vogel-
schisses“ für die zwölf Jahre der Nazi-
Diktatur nicht öffentlich zurückgenom-
men wird, so lange kann die AfD nicht
erklären, sie wolle jüdisches Leben in
Deutschland. Das ist schlicht nicht
glaubhaft. In den Reihen der AfD lassen
sich ohne Weiteres rechtsextremes Ge-
dankengut und die Bereitschaft zur Ge-
walt verorten.

Sollte Herr Brandner zurücktreten?
Die AfD sollte Brandner zum Rücktritt
bewegen. Das hat sie nicht. Der Druck
kam von allen anderen Fraktionen und
hat dazu geführt, dass sich Brandner im
Plenum entschuldigen musste. Brand-
ner steht unter Bewährung.

Ihr Generalsekretär hat gefordert, die
AfD als Gesamtpartei vom Verfas-
sungsschutz überwachen zu lassen.
Ist das auch ein Schnellschuss?
Angesichts der gegenwärtigen Lage wä-
re es angebracht, dass der Verfassungs-
schutz alle seine Möglichkeiten einsetzt,
um zu berichten, wo Verfassungsfeindli-
ches, Völkisches und Antisemitisches
vor sich geht. Wo es da Anhaltspunkte
bei der AfD gibt, muss sich der Verfas-
sungsschutz das genau anschauen.

Folgt man den Umfragen, hat die AfD
gute Chancen, in Thüringen zweit-

stärkste Partei zu werden – ausge-
rechnet die völkisch gesinnte AfD des
Björn Höcke. Wie erklären Sie sich ih-
re Stärke?
Ich kann mir das nicht erklären. Ich bin
nicht nur überrascht, sondern geradezu
auch verzweifelt, dass offensichtlich
nicht wenige Menschen dazu bereit
sind, diese Partei zu wählen, obwohl sie
wissen, was für ein Gedankengut ihre
Spitzenpolitiker vertreten. Ich hoffe,
dass die Ereignisse, die sich in Halle zu-
getragen haben, dazu führen werden,
dass mehr und mehr Menschen über-
denken, welchen Personen sie ihre
Stimme geben.

Themenwechsel: Seit Jahren beobach-
ten wir eine Entwestlichung der Tür-
kei. Welchen Schluss sollte die deut-
sche Außenpolitik daraus ziehen?
Erdogan handelt derzeit klar völker-
rechtswidrig. Er führt einen Angriffs-
krieg. Sein Verhalten müsste Konse-
quenzen vor dem Internationalen Straf-
gerichtshof haben. Eine Anklage hätte
seine Wirkung auf der Ebene der inter-
nationalen Diplomatie, selbst wenn die
Türkei nie das Rom-Statut ratifiziert
hat. Natürlich ist die Türkei Teil der Na-
to. Wir wissen aber auch, dass nach dem
Putsch Militärs in hohe Ränge gelangt
sind, die sich andere Bündnisse als das

westliche vorstellen können. Das sind
alles Dinge, die uns sicherlich noch Sor-
gen bereiten werden. Gleichzeitig zeigt
der deutliche Erfolg des CHP-Bürger-
meisters in Istanbul, dass ein maßgebli-
cher Teil der türkischen Gesellschaft
westorientiert ist und auch bleiben will.

Welche Konsequenzen ergeben sich
aus dem Einmarsch der türkischen
Truppen für den Einsatz der Bundes-
wehr-Tornados in Jordanien?
Nachdem die ehemalige Verteidigungs-
ministerin Ursula von der Leyen ihre
Zusagen gegenüber dem Bundestag ge-
brochen hat, nach Ersatz für die deut-
schen Tornados und das Tankflugzeug
zu sorgen, müssen wir im Bundestag die
Möglichkeit einer Mandatsverlänge-
rung sehr kritisch überprüfen. Wir müs-
sen auch wissen, ob von Deutschland
ausgebildete irakische Soldaten an der
Erschießung friedlicher Demonstranten
beteiligt waren.

Wie es heißt, sollen Hunderte, wenn
nicht Tausende von IS-Kämpfern aus
den Gefangenenlagern geflohen sein.
Wie hoch schätzen Sie die Gefahr,
dass sich der IS als schlagkräftige Ter-
rororganisation zurückmeldet?
Der IS ist noch immer da. Er hat in den
letzten Monaten versucht, sich neu auf-

zustellen. Die Quellen für die Stärke des
„Islamischen Staates“ sind innergesell-
schaftliche im Irak und in Syrien. Des-
wegen ist seine Bekämpfung besonders
eine innergesellschaftliche Herausfor-
derung. Vor allem braucht es besseres
Regierungshandeln, Einbindung aller
gesellschaftlichen Gruppen, Bekämp-
fung der Korruption. Ich warne davor,
militärische Möglichkeiten gegen den IS
überzubewerten.

Das löst aber nicht das Problem, was
mit den aus Deutschland stammen-
den IS-Kämpfern geschehen soll, be-
vor die sich auf den Weg zurück nach
Europa machen. Sollen wir die deut-
schen IS-Kämpfer zurückholen?
Wir sind weiterhin bereit zur Rücknah-
me von deutschen Familienangehörigen
von IS-Kämpfern. Wir sind auch bereit,
deutsche IS-Kämpfer vor Gericht zu
stellen. Nur: Gegenwärtig ist eine Rück-
holung aufgrund verschiedener Bedin-
gungen nicht möglich. Die Bundesregie-
rung stand in diesen Tagen vor der Mög-
lichkeit, weitere Kinder von IS-Angehö-
rigen zurückzuholen. Es ist ein Drama,
dass die gegenwärtige Kriegssituation
diese Möglichkeit versperrt.

Wäre es nicht angebracht, den Kur-
den zu helfen, nach allem, was sie er-
litten und für den Westen getan ha-
ben?
2014 haben wir uns nach einer schwieri-
gen Debatte dazu durchgerungen, Kur-
den im Irak Waffen zu liefern. Ganz be-
wusst haben wir nicht die YPG, also die
Kurden in Syrien, beliefert, obwohl
auch sie die Jesiden geschützt hatten.
Was wir vor allem brauchen, sind politi-
sche Lösungen. Wenn es jemals zu ei-
nem politischen Ausgleich kommen
soll, dann sind Gespräche unerlässlich.
Deutschland wäre beispielsweise jeder-
zeit bereit, die Gespräche zwischen der
Türkei und der PKK zu unterstützen.

Ist die Türkei noch ein verlässlicher
Nato-Partner?
Was heißt heute noch verlässlich ange-
sichts der allgemeinen weltweiten Ent-
wicklung? Die Türkei ist noch immer
ein wichtiger Nato-Partner, auch ein
wichtiger Akteur in der Region. Ob sie
noch immer der Akteur ist, mit dem wir
vor 20 Jahren zu tun hatten, bezweifle
ich. Ich hätte mir jedenfalls vor einigen
Jahren nicht vorstellen können, dass
das Nato-Mitglied Türkei russische Ab-
wehrraketen kauft.

Erdogan hat Europa immer wieder
damit gedroht, die Tore für die
Flüchtlinge zu öffnen. Hat uns die
Türkei in der Hand?
„In der Hand“ ist zu viel gesagt. Aber ich
nehme Erdogan ernst. Vieles, was er
sagt, tut er auch. Allerdings wäre ein sol-
cher Beschluss, Flüchtlinge aus der Tür-
kei zu vertreiben, für ihn folgenschwer.
Die Türkei ist nach wie vor daran inte-
ressiert, dass die EU ihr bei der Bewälti-
gggung ihrer Flüchtlingskrise hilft. Derung ihrer Flüchtlingskrise hilft. Der
Konflikt geht unter anderem darum,
dass die Türkei die europäischen Gelder
selbst in die Hand bekommt. Gegenwär-
tig sind sie ja an konkrete Projekte ge-
bunden. Ich warne davor, der Türkei in
dieser Frage entgegenzukommen.

Bei den Regionalkonferenzen schim-
merte in vielen Beiträgen der Kandi-
daten der Wunsch durch, die Koaliti-
on vorzeitig zu beenden. Warum wer-
den deren Leistungen, die ja in weiten
Teilen die Handschrift der SPD trägt,
in Ihrer Partei so wenig gewürdigt?
Mein Eindruck ist ein anderer: Vor al-
lem lag das Interesse in den Regional-
konferenzen bei der Frage: Was wollen
wir in dieser Koalition noch alles bewe-
gen? Es ging oft um den Klimaschutz
und um die Grundrente. Ich bin zuver-
sichtlich, dass meine Partei danach
schaut, was sie für die Menschen tun
kann. Wir haben viel auf den Weg ge-
bracht. Wir arbeiten hart und unermüd-
lich daran, dass die Grundrente reali-
siert wird. Wir haben das Klimapaket
geschnürt. Wir haben noch viel vor.

Haben wir gerade ein Plädoyer für die
Fortsetzung der großen Koalition ge-
hört?
Es war ein Plädoyer dafür, mit Realis-
mus zu prüfen, ob die SPD noch genü-
gend Ideen hat, den Sozialstaat für die
nächsten Jahre zu schützen und auszu-
bauen. Die SPD ist die Partei für Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir
sind ihre Stimme – auch in dieser Koali-
tion.

Wäre es nicht unverantwortlich, so-
gar töricht, die Regierungsverantwor-
tung preiszugeben? Martin Schulz
und Christine Lambrecht haben sich
dahingehend geäußert.
Ich bin schon so lange in der SPD, dass
ich weiß, wie klug meine Partei ist,
wenn es um die Frage geht: Wollen wir
mitgestalten, oder wollen wir im Zwei-
felsfall nur beobachten?

AMIN AKHTAR

„Die Tat fand in


einem System statt“


Nach dem Terror von Halle verlangt SPD-Fraktionschef


Rolf Mützenich eine bessere Förderung der Extremismusprävention


und ein neues Demokratiefördergesetz. „Nicht glaubhaft“ sei das


Bekenntnis der AfD zum jüdischen Leben in Deutschland


VONRICARDA BREYTON
UND JACQUES SCHUSTER

O


Dass Rolf Mützenich, 1 959 in
Kölngeboren, noch in dieser
Legislaturperiode Vorsitzen-
der der SPD-Bundestags-
fraktion werden würde, hätte
er nach der Bundestagswahl
wohl selbst niemals für mög-
lich gehalten. Seit 2002 sitzt
der promovierte Politikwis-
senschaftlerim Parlament.
In der Fraktion gehörte er
zum linken Flügel.Mützenich
war bis zur Übernahme der
Fraktionsspitze am 24. Sep-
tember einer der außen-
politischen Sprecherseiner
Partei.

Rolf Mützenich
SPD-Fraktionschef

© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung WELT am SONNTAG-2019-10-20-ab-24 2898cb0280bb024e054657108500450c

UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws

Free download pdf