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ie Sonnenblumen,
die Zypressen, der
Melancholiker, der
Ohr-Abschneider,
die Raben über dem
Weizenfeld, der Pis-
tolenschuss am
Abend des 23. Juli 1890. Vielleicht geht
ja Vincent van Gogh wirklich nur noch
im Kino. Willem Dafoe in der Titelrolle.
Regie Julian Schnabel. Auch Kirk Dou-
glas hat sich für den unsterblichen My-
thos die Haare blond färben lassen.
VON HANS-JOACHIM MÜLLER
Und nie ist es gelungen, das Werk oh-
ne die Ergriffenheit zu zeigen, die den
Maler zum wohl populärsten Vertreter
der künstlerischen Moderne gemacht
hat. Zu Cinemascope-mäßig ist seine
Geschichte, zu sehr besetzt mit jenen
dramaturgischen Mustern, die sich den
Künstler nicht anders denn als tragi-
schen Helden vorstellen können, dessen
elendes Leben im ewigen Triumph sei-
ner Bilder münden muss.
„Making van Gogh“ – ein sehr präzi-
ses Arbeitsprogramm für die große Van-
Gogh-Ausstellung, die das Frankfurter
Städel in der kommenden Woche eröff-
net. Angedacht und vorbereitet von Fe-
lix Krämer, der in der Zwischenzeit
nach Düsseldorf an den Kunstpalast ge-
wechselt ist, lässt die von Alexander Ei-
ling mit kuratierte Schau keine Bild-
wünsche offen. Das Panorama ist so
grandios wie der Ruhm, der den Maler
in die Hall of Fame gebracht hat.
Und auch das Barberini in Potsdam
hat Großes vor. In einer sechs Jahre
lang vorbereiteten Ausstellung konzen-
triert es sich ganz auf die Stillleben des
Malers. Beginn ist am 26. Oktober. Und
gleich kramt man im eigenen Bilder-
speicher. Ihn kennt man doch, den Por-
trätisten, den Verehrer abgetragener
Schuhe, den Schilderer zeitlos leuch-
tender Landschaften. Aber den Stillle-
benmaler? Das Thema ist noch nie un-
tersucht, noch nie gezeigt worden.
Doch die 27 Gemälde erweisen sich
als eigentlicher Werkkern. Vielleicht ist
ja die Gattung der Wohlordnung bei
diesem Maler viel mehr als nur Pflege
der Tradition. Vielleicht sind auch diese
Stillleben wie alle Van-Gogh-Bilder in
ihrer unbewussten Anlage Metaphern,
Zeichen für den Rückzug ins Atelier vor
den Tisch mit den fest gefügten Dingen
- wo doch sonst im Werk immerzu der
Boden schwankt, die Luft schwirrt und
die Himmelskörper mit Drohaugen auf
die Welt blicken.
Und so wird nun ganz besonders in
Potsdam deutlich, was die Frankfurter
Ausstellung so programmatisch angeht:
Van Gogh ist immer irgendwie „ge-
macht“ worden. Immer war van Gogh
Opfer übergriffiger Fantasien, die sich
den Künstler nicht anders vorstellen
wollen denn als unangepassten Einzel-
gänger, uneins mit der Welt, in hermeti-
scher Abgeschiedenheit lebend und ar-
beitend, mit sich und seiner Kunst be-
schäftigt und alles andere um ihn he-
rum vergessend.
Dass dieses Klischee vor allem in
Deutschland gehegt wurde, ist ein Erbe
der Romantik, die das bürgerliche Bild
vom verkannten Genie gegen die staats-
tragenden Rollen der französischen
Klassizisten entworfen hat. Weshalb van
Gogh in der Frankfurter Ausstellung vor
allem eine deutsche Liebe ist, noch spür-
bar in der Abwehr, mit der zum Beispiel
die Dresdener Expressionisten auf ihn
reagiert haben. Auch wenn die bildneri-
schen Einflüsse in ihren Frühwerken un-
übersehbar sind, will doch keiner der
„Brücke“-Maler irgendetwas gewusst ha-
ben. Van Gogh? Nie gehört, nix gesehen.
Angeblich auch die fünfzig Gemälde
nicht, die die Dresdener Galerie Arnold
im Brücke-Gründungsjahr 1905 zeigt.
„In der Zeit“, erinnert sich Erich He-
ckel, „in der wir unsere Vorstöße in neue
Gebiete der Malerei machten, haben wir
wirklich keine Bilder der ,Fauves‘ gese-
hen.“ Und Karl Schmidt-Rottluff springt
fürsorglich bei: „Um die Zeit, da die
,Brücke‘ gegründet worden ist, hatten
wir und ebenso andere herzlich wenig
Ahnung, was vielleicht in Frankreich
und anderswo vorging. Van Gogh kam
uns zeitlich zu spät.“ Ernst Ludwig
Kirchner schließlich erfindet einen „Kri-
tiker“ – Louis de Marsalle, „der nach
meiner Meinung einfach ideal schreibt“,
und verfasst unter seinem Namen ver-
ständnisinnige Texte über sich selbst.
Mithilfe dieses Franzosen hoffe er be-
weisen zu können, dass „meine Arbeit
wirklich unabhängig und rein von der
zeitgenössischen französischen Kunst
entstand und sich entwickelt hat“.
Dem steht freilich eine ganze Phalanx
von Sammlern und Museumsleuten ge-
genüber, die vom Jahrhundertbeginn an
ihre schwärmerische Van-Gogh-Vereh-
rung bekunden. Der Berliner Galerist
Paul Cassirer war einer der erfolg-
reichsten Promotoren. Allein bis zum
Ersten Weltkrieg hat man knapp 120
Ausstellungen deutschlandweit gezählt.
An der Kölner Sonderbund-Ausstellung,
an der 1912 auch Kirchner und Heckel
prominent beteiligt sind, ist van Gogh
in fünf eigenen Sälen der Leitstern der
europäischen Malerei.
„Geschichte einer deutschen Liebe“ –
die Unterzeile zur Frankfurter Ausstel-
lung klingt wie „Geschichte eines deut-
schen Missverständnisses“. Aber zu ver-
stehen gibt es bei van Gogh vielleicht
doch nicht so viel. Wie alles an der Lie-
be ist auch die zu van Gogh nicht wirk-
lich rationalisierbar. Der Bann war ja
von Anfang an unbezwingbar, unwider-
stehlich. Irgendetwas muss den Farben
beigemischt sein, das sie zu Drogen
macht. Irgendein Existenzpräparat, ein
psychochemischer Wirkstoff, der das
Auge daran hindert, in der gemalten Zy-
presse und im gemalten Olivenbaum
nur die gemalte Zypresse und den ge-
malten Olivenbaum zu sehen. Unwill-
kürlich, ohne sich wehren zu können,
sieht das Auge das andere mit, den flir-
renden Bedeutungsschatten, den die
Dinge werfen.
1908, der Maler ist gerade achtzehn
Jahre tot, beschreibt der Wiener Dich-
ter Hugo von Hofmannsthal seine Be-
gegnung mit Bildern von van Gogh: „...
Diese da schienen mir in den ersten Au-
genblicken grell und unruhig, ganz roh,
ganz sonderbar, (...) dann aber, dann sah
ich, dann sah ich sie alle so, jedes Ein-
zelne, und alle zusammen, und die Na-
tur in ihnen, und die menschliche See-
lenkraft, die hier die Natur geformt hat-
te, und (...) was hinter dem Gemalten
war, das Eigentliche, das unbeschreib-
lich Schicksalhafte.“
Und so spaziert man auch jetzt wie-
der durch die faszinierende Frankfurter
Ausstellung, durch die Säle in Potsdam
und denkt: Ob es das jemals geben kann,
das zeichenlose Dasein der Van-Gogh-
Baumstämme im Sonnenlicht, den nicht
symbolischen Gewitterhimmel über der
Blumenwiese? Und kann man im Ernst
davon absehen, dass diese seltsam flam-
menden Bäume hinter Mauern gemalt
sind, hinter den Mauern der psychiatri-
schen Anstalt von Saint-Rémy?
Und wenn man nach Gründen sucht
für die unverminderte Strahlkraft die-
ser Bilder, dann liegen sie eben in der
unauflösbaren Bezogenheit von Leben
und Malerei. Wie bei kaum einem zwei-
ten Künstler an der Schwelle zur Mo-
derne spiegelt das Werk die Bereit-
schaft, alles daranzugeben, alles aufs
Spiel zu setzen. Und das schöne leuch-
tende Gelb der Korngarben auf dem
Weizenfeld, die sich ein wenig neigen
wie im Josephstraum, ist nichts weniger
als Schönheit, die dem Leben abge-
trotzt scheint. Es ist von großem Zau-
ber, jemandem zuzusehen, wie er sich
das Unerklärliche malerisch erklärt.
VVVincent van Goghsincent van Goghs
„Der Sämann
(nach Millet“)“
von 1890 (links)
und „Weiden im
Sonnenuntergang“
von 1888 (rechts)
Van Gogh, eine deutsche Fantasie
Geschichte einer unstillbaren Liebe: Frankfurt und Potsdam ergründen unsere Sehnsucht nach den Bildern des Holländers – und deren Missbrauch
ALLEIN BIS ZUM
ERSTEN WELTKRIEG
KNAPP 120
AUSSTELLUNGEN IN
DEUTSCHLAND
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KRÖLLER-MÜLLER MUSEUM, OTTERLO, NIEDERLANDE; KRÖLLER-MÜLLER MUSEUM - RIK KLEIN GOTINK
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MONTAG 21. OKTOBER
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Die Irrfahrt der St. Louis
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