Die Welt am Sonntag - 20.10.2019

(Sean Pound) #1

I


n einem VVVorort von Berlin sitzt Ca-orort von Berlin sitzt Ca-
rolina Eyck in einem Keller, den ihr
VVVater vor vielen Jahren in ein Ton-ater vor vielen Jahren in ein Ton-
studio verwandelt hat. Alles um sie
herum glimmert, glüht, blinkt: ein
Mischpult, Fußpedale, ein Notebook,
selbst ihr Fingerring an der linken Hand
gibt kleine Signale über ein Display ab.
Ein Ruhepol ist dagegen die Künstlerin.
Sie atmet ein, aus, immer sanfter, ihr
Oberkörper ist jetzt ganz ruhig. Vor ihr
stehen ein Mikrofon und eine Art Holz-
kasten, an dem, von ihr aus gesehen, eine
gebogene Antenne an der linken Seite
und eine vertikale Antenne an der rech-
ten Seite befestigt sind. Der Kasten ist
ein Theremin, eines der jüngeren Musik-
instrumente dieser Welt. Es wurde erst
vor 100 Jahren von Lew Sergejewitsch
Termen erfunden, einem Russen, der
später in die USA auswanderte und sich
Leon Theremin nannte. Nach seiner
RRRückkehr wurde er in ein Gulag verbanntückkehr wurde er in ein Gulag verbannt
und geriet für Jahrzehnte in Vergessen-
heit. Das nach ihm benannte Instrument
erfand er früher in seinem Leben, er war
damals gerade mal 24 Jahren alt.

VON JOHANNES BOIE

Carolina Eyck beginnt zu summen,
sie schließt die Augen. Ihre Hände
schweben über der linken und hinter der
rechten Antenne des Theremins. Man
berührt das Instrument beim Spielen
nicht. Wenn man so will, bespielt Eyck
den Raum zwischen ihrem Körper und
dem Instrument. Indem sie die linke
Hand nach oben und unten bewegt, ver-
ändert sie die Lautstärke. Indem sie die
Finger der rechten Hand bewegt, ent-
lockt sie dem Theremin unterschiedli-
che Töne. Der Klang lässt sich mithilfe
der übrigen Technik im Raum anpassen.
Jetzt gerade klingt das Instrument sphä-
risch, elektrisch. Das passt zu der Art,
wie es gespielt wird. Sanft, im leeren
Raum, eine Symbiose der Künstlerin mit
etwas, das anders als eine Geige, ein Kla-
vier oder ein Synthesizer für sie spürbar,
aber nicht berührbar ist, wie ein Gedan-
ke oder ein Gefühl.
Mit 31 Jahren ist Eyck eine Virtuosin
auf dem Theremin. Anders als bei be-
kannteren Instrumenten gibt es nicht

viele Künstler, die das von sich sagen
können. Der Erfinder selbst ist zu Be-
ginn des vergangenen Jahrhunderts mit
Clara Rockmore getourt, einer jungen
Frau, die aus Litauen in die USA emi-
griert war und dort maßgeblich beein-
flusste, wie das Instrument gespielt
wird. Sie starb 1998. Dann ist da noch
Lydia Kawina, eine Russin, von der man
nicht genau weiß, ob sie nun mit There-
min verwandt ist oder nicht, die einen
sagen so, die anderen so. Sicher ist, dass
Eycks Familie Kawina auf einem Kon-
zert ansprach und dass die Russin Eyck
in deren Kindheit unterrichtete.
Ihre Musik, mit der sie alleine in die-
sem Herbst Hallen in unter anderem New
YYYork, Los Angeles, Boston, Chicago, Alba-ork, Los Angeles, Boston, Chicago, Alba-
nnny füllt, sonst aber auch in Asien, Europay füllt, sonst aber auch in Asien, Europa
und Lateinamerika, ist sanft, oft melan-
cholisch, manchmal düster, fast immer
elegisch. Das entspricht dem manchmal
klagenden, entrückten Klang ihres In-
struments. Wer Eyck zuhört, mag auch an
die von Zauber, Sagen und Märchen
durchdrungene Kultur der Sorben den-
ken, der sie entstammt. Auf ihren Reisen
begleitet sie ihr Bruder, der als eine Art
Manager ihr Leben organisiert.
Eyck komponiert ihre Musik selbst,
ihr erstes Stück drehte sich um einen
Hasen, sie schrieb es mit sieben Jahren.
Ihr Glück ist das digitale Zeitalter, aus
zwei Gründen. Einerseits wird das The-
remin wohl in absehbarer Zeit kaum die
Violine oder das Klavier an Popularität
überholen, aber durch die globale Ver-
breitung ihrer Musik im Netz findet
Eyck rund um die Welt die Fans, die sich
für das Theremin begeistern. Alleine auf
YouTube hat sie knapp 100.000 Abon-
nenten. Außerdem ist das digitale Blin-
ken und Flimmern um sie herum für
Eyck eine Verheißung. Mithilfe der Tech-
nik kann sie seit Kurzem in einem ent-
sprechend ausgestatteten Raum Musik
durch den Raum schicken, gefühlt auch
durch die Körper der Hörer. Sie mischt
live auf der Bühne, wie ein DJ verändert
und verwendet sie die Klänge, die sie ge-
rade erst geschaffen hat, in Schleifen, bis
ein Klangteppich entsteht. Sie improvi-
siert gerne. Wer ihr zuhört, bekommt
den Eindruck, dass sie die Technik auch
für die Freiheiten liebt, die sich mit je-

dem neuen Gerät bieten: so viel mehr als
vier Saiten, Bogen und ein Klangkörper.
Dabei ist Eyck klassisch ausgebildet.
Sie lernte erst Klavier und Geige, bis die
Eltern in ihrer frühen Kindheit ein The-
remin besorgten. Die Familie ist musika-
lisch, Eycks Vater spielte lange in einer
Band. Nur den Tonstudiokeller hat mitt-
lerweile die Tochter übernommen. Das
Theremin war für Eyck in ihrer Kindheit
ein besonderer Segen. Schnell entdeckte
sie, dass sich auf Konzerten das Interes-
se des Publikums an ihrem Instrument
die Waage hielt mit der Unwissenheit.
Ganz anders, als wenn sie mit Klavier
oder Violine vor Zuhörern spielte. Beim
Geigenkonzert war sie aufgeregt, beim
Klavierkonzert zitterten ihr die Knie.
Beim Theremin hingegen dachte sie
sich: „Ich kann da jetzt hingehen, die
Leute wissen nicht, was ich da mache.“
Etwas selbst zu entdecken, sich zu eigen
machen, das Instrument für sich defi-
nieren zu können, „das hat mich mental
unterstützt, das hat mir Freiheit gege-
ben“. Sie besuchte ein Musikgymnasium
und studierte an der Königlichen Musik-
hochschule Stockholm. „Ich weiß nicht
ob’s so ein langer Umweg hätte sein
müssen“, sagt sie über ihre Zeit mit der
klassischsten der klassischen Musik.
Aber es sei natürlich immer gut, ein
Handwerk von der Pike auf zu lernen.
Und zu beherrschen.
Längst ist Eyck selbst zur Lehrerin
geworden, für einige wenige Glückliche,
denen sie Stunden gibt, auch aus der
Ferne über Skype oder in Workshops
rund um die Welt. Und für Tausende, die
das Buch übers Thereminspielen lesen,
das Eyck mit 17 Jahren geschrieben hat.
Weil das Instrument so jung ist, gab es
keine klare Systematik. Während jeder
Geigenschüler in der dritten, vierten
Unterrichtsstunde lernt, dass es nach
der ersten Lage für die linke Hand noch
die zweite, dritte, vierte Lage gibt, war
das Theremin für Jahrzehnte für seine
Spieler vor allem ein Experiment.
Damals sei es so gewesen, dass man
beim Spielen den Ton ungefähr anpeilte
und dann, wenn man ihn hörte, blitz-
schnell nachjustierte, erinnert sich
Eyck. „Ich wollte aber wissen, dass ich
einen Ton sauber spielen werde, bevor
ich ihn höre.“ In ihrer Methode nun
wird die Distanz zwischen Gerät und
Körper in klare Abschnitte unterteilt,
die der Spieler mit der eigenen Hand de-
finieren kann. Daraus ist ihre erste um-
fassende Systematik geworden. Jetzt
schreibt Eyck ein zweites Buch, es wird
um Körperhaltung und die richtige At-
mung beim Thereminspielen gehen und
besonders um die linke Hand, mit der
die Lautstärke reguliert wird. Man wird
das Thereminspielen also nach Anlei-
tung lernen können, wie alle anderen In-
strumente auch. Eyck läuft damit Ge-
fahr, dass ihr Publikum eines Tages sehr
genau weiß, was auf der Bühne vor sich
geht. Es wird sie kaum mehr beunruhi-
gen; wie früher, als sie ein Kind war. Sie
ist wohl die beste Thereminspielerin der
Welt. Am Sonntag spielt sie in den Civic
Center Studios in Los Angeles.

Völlig


losgelöst


Carolina Eyck brilliert auf einem Instrument,


das man beim Spielen nicht berührt.


Sie übt bei ihrem Vater im Keller.


Und füllt Konzertsäle rund um die Welt


DDP/INSIGHT MEDIA; JOHANNES BOIE

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Artdirector


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Chefredaktion


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Chef vom Dienst


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20.10.1920. OKTOBER 2019WSBE-VP1


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2 0.OKTOBER2019 WELT AM SONNTAG NR.42 KULTUR 59


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© Asja Caspari

rowohlt.de

«Ein erzählerisches Meisterstück.»
Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung

«Ein Pageturner ... ein atemberaubendes Stück Zeitgeschichte ... Ein großer Roman.»

Carsten Otte, SWR 2 «Lesenswert»

«Schon die wahre Geschichte klingt so spektakulär, als wäre sie erfunden ...

Ein ebenso klug komponiertes wie spannendes Buch.»
Martin Doerry, Der Spiegel

«In der Belletristik gibt es erstaunlich wenig Vergleichbares.»

Cornelia Geißler, Berliner Zeitung

Nach dem internationalen Erfolg von «In Zeiten des


abnehmenden Lichts» kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte


seiner Familie – in einem herausragenden neuen Roman.


Mit diesem
Ringsteuert
man durch
Gesten diverse
Parameter

Speziell ange-
fertigter Joystick,
mit dem der
Klang im Raum
bewegt wird

Mit diesem
Gerät werden
per Fuß Looper
mit Klängen
gestartet

Diesen
Controller
benutzt Eyck, um
Clips zu starten
und zu mischen

Gitarreneffekt-
pedal, das dem
Theremin zur
Mehrstimmig-
keit verhilft

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