Die Welt am Sonntag - 20.10.2019

(Sean Pound) #1
Verzahnung ist noch heute die beliebteste Methode, das
Vorspannproblem elegant zu umschiffen – doch nicht
mehr Stand der Kunst. David Fincher beginnt „Se7en“
mit Aufnahmen von einem Arbeitstisch, wo Hände ma-
nisch kritzeln, Fotos entwickeln und Artikel aus Zeitun-
gen schneiden. Es ist ein Videoclip, der sich erst entzif-
fern lässt, wenn man den Mörder kennt, ein von dem
Grafikdesigner Kyle Cooper angerichteter Appetithap-
pen, der Schule gemacht hat, vor allem in Serien-Intros.
Der bekannteste deutsche Titelgestalter, der Berliner
Darius Ghanai, zeigt am Anfang von „Good Bye, Lenin!“
Super-8-Clips aus der Kindheit von Daniel Brühl.

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Der Clip-Vorspann

Der neuste Schrei sind Zeitsprungvorspanne. Zu Beginn
von „Casino“ steigt Robert De Niro in seine Limousine,
dreht den Zündschlüssel – und verschwindet in einer ro-
ten Explosionswolke, die am Vorspannende in das Las-
Vegas-Casinorot mündet; wir haben einen Blick in die
Zukunft geworfen, werden aber lernen, dass De Niro
überlebt. Es ist ein Zeitfenster in die Zukunft, wie die ra-
sante Fahrt durch das Gehirn von Brad Pitt unter dem
„Fight Club“-Vorspann, die bei seinem zweiten Ich Ed-
ward Norton herauskommt – eigentlich dem Filmende.

Der Zeitsprungvorspann

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Damit näherte sich der Vorspann der selbstständigen
Kunstform, doch populär wurde er erst mit dem „Rosa-
roten Panther“, als Animation. Paulchen spielt mit
Buchstaben und Namen. Er pfeift hinter Claudia Cardi-
nale her (bis sich aus deren „e“ eine Hand materialisiert
und ihn k. o. schlägt), er tippt auf der Drehbuchschreib-
maschine, bis ihm ein Holzhammer auf die Pfoten haut.
Und er setzt, Buchstabe für Buchstabe, den Namen des
Regisseurs: „Elabk Sdrawed“ – bis ihn eine Hand mit Pis-
tole zwingt, sich zu korrigieren: „Blake Edwards“. Dies
war wohl der glücklichste Moment der Filmvorspann-
kunst, Pflicht und Jux in völliger Harmonie. Der Anima-
tionsvorspann war auch der teuerste, und die wenigsten
Produzenten wollten (und konnten) sich das leisten, ei-
ner der letzten war Spielberg bei „Catch me if you can“.

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Der Spaßvorspann

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20.10.1920. OKTOBER 2019WSBE-VP1


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2 0.OKTOBER2019 WELT AM SONNTAG NR.42 KULTUR 61


O


lga Tokarczuk trägt Big-Bird-
gelbe Strümpfe unter einem
luftigen, armeegrünen Rock,
der Pulli wie auch die Ohrringe, die we-
gen der hochgesteckten Dreadlock-Fri-
sur recht gut aus der Entfernung zu er-
kennen sind, sind eine Nuance dunkler.
Tannengrün wäre vielleicht das richtige
WWWort. All das wäre wohl nicht eine Er-ort. All das wäre wohl nicht eine Er-
wähnung wert, höbe sich diese Beobach-
tung nicht wohltuend vom Anblick des
wild gemusterten Hemds des Modera-
tors ab. Manchmal fällt es schwer, nicht

üüüber das Aussehen einer Autorin oderber das Aussehen einer Autorin oder
eines Autors zu schreiben, wenn man
üüüber Literatur schreiben will. Es ist derber Literatur schreiben will. Es ist der
erste Eindruck, den man gewinnt, und er
ist in gewisser Weise genauso unüber-
hörbar wie die brachialen politischen
ÄÄÄußerungen, die in den Echoraum derußerungen, die in den Echoraum der
öffentlichen Meinung hineinposaunt
werden. Die Frankfurter Buchmesse ist
hierfür jedenfalls ein beliebter Ort.
Die in Grün gekleidete und gerade für
das Jahr 2018 nachträglich gekürte No-
belpreisträgerin Olga Tokarczuk sitzt
auf dem blauen Sofa. Wirkliche Unruhe

VONPHILIPP HAIBACH

hat sich vor dem kurzfristig anberaum-
ten Fernsehauftritt der Autorin des Ro-
mans „Unrast“ in Halle 3 nicht breitge-
macht. Die Zahl der Zuschauer hat sich
auch nicht verdoppelt. Ein tosender Ap-
plaus, den man erwarten würde, ist aus-
geblieben, als hätte es diese höchste
Auszeichnung, mit der sich ein Schrift-
steller schmücken darf, nie gegeben.
Über die politische Haltung der No-
belpreisträgerin ist sicher mehr be-
kannt als über ihr literarisches Werk,
das in Deutschland noch seiner Entde-
ckung harrt. Die Polin hat zu Beginn der
Buchmesse gesagt, sie fürchte sich vor
den Auswirkungen einer zweiten Legis-
laturperiode mit absoluter Mehrheit für
die Partei Recht und Gerechtigkeit
(PiS) – besonders für das Theater und
die Museen, die häufig in staatlicher
Hand seien. So ahnt man, welche Rich-
tung das Gespräch nehmen wird.
Es geht um Europa, über die „Absur-
dität von Grenzen“, die nur dafür be-
stimmt seien, sich gegeneinander abzu-
schotten. Aus Angst vor dem Fremden.
Es sei, so Tokarczuk, als stehe man im
Wald, durch den eine Grenze verlaufe.
An den Bäumen merke man das nicht,
die seien doch alle gleich. Das ist ein

poetisches, ein metaphorisch aufgelade-
nes Bild. Und Gleiches gilt wohl auch
für die Pilze. Auf ihr Werk wird Olga To-
karczuk vom Moderator mit dem bun-
ten Hemd nicht angesprochen.
Vielleicht werden das die Kollegen
von „aspekte“ nachholen, die sie nach
der Sendung sogleich abfangen. Doch
Tokarczuk antwortet auf Polnisch in
die Kamera, und die Übersetzerin
haucht so leise ins Mikrofon, das man
sie als Nebenstehender nicht verstehen
kann. Auch das Kulturmagazin „ttt“
will mit ihr reden, und zwar sofort. Da-
für muss Olga Tokarczuk aber erst ein-
mal durch die Messehalle jagen, um in
die nächste zu gelangen. Dorthin, wo
ihr Zürcher Verlag seinen – im Ver-
gleich zu anderen Giganten der Bran-
che – kleinen Stand hat. Da ist er end-
lich, der tosende Applaus. Verlagsmit-
arbeiter und zufällig Herumstehende
klatschen in die Hände.
Die Kamera läuft. Für einen Einspieler
mimt sie zusammen mit ihrem Verleger
Daniel Kampa ein freudig erregtes Ge-
spräch. Nahtlos wird ein Interview vor-
bereitet. Vielleicht sprechen sie jetzt
endlich über ihr Werk und nicht über Po-
litik. Die selbst ernannte „Psychothera-

peutin der Vergangenheit“ hat bei dieser
Sitzung aber ein Polnisch sprechendes
Gegenüber. Verstehen kann man nur ihr
Gesicht, in dem sich eine Engelsgeduld
spiegelt – handelt nicht auch ein Buch
von ihr von Engeln? Während einer kur-
zen Unterbrechung – eine Lampe im Re-
gal muss gerichtet werden – hat sie sogar
die Kraft für ein Lächeln. Doch als Rau-
cher spürt man, dass sie sich endlich eine
anstecken will, hierfür muss man seit ei-
nigen Jahren auch auf dem weltgrößten
Literatentreff vor die Tür. Die Zigarette
des Buchmesse-Chefs Juergen Boos
glimmt schon, als Olga Tokarczuk eine
Slim-Variante aus der Packung zieht.
Wir nähern uns ihr und stellen uns als
Journalist vor. „I am not the queen of
my time“, sagt sie charmant abwehrend,
als fürchtete sie das vierte Interview
binnen einer Stunde. Wir haben ver-
standen und hören sie ihren Verleger
fragen, ob sie mit dem, was sie gerade
trage, zum Festdinner der Buchmesse
gehen könne oder ob sie sich im Hotel
umziehen solle. „You look wonderful“,
sagt er. Und so entschwindet die Nobel-
preisträgerin in den vernieselten Abend.
Ihr grünes Outfit wirkt in der Ferne auf
einmal wie ein elegantes Schwarz.

Ein Nobelpreis


für eine Zigarette!


Auf der Frankfurter


Buchmesse wollen


sich alle von der


polnischen Autorin


ihr Land erklären


lassen. Aber es gibt


doch noch andere


wichtige Dinge


TÄTIGKEITSPROFIL
INTERVIEWS ABSOLVIEREN MIT OLGA TOKARCZUK

PHILIPP HAIBACH

B


eginnen wir mit dem Vorspann in
seiner extremsten Form: „Lawrence
von Arabien“. Woran erinnern wir
uns? Peter O’Toole in Beduinenkluft.
Die Cinemascope-Wüste. Die wilde
Horde von Pferden und Kamelen, die sich in die
Straßen von Aqaba ergießt. Und die Musik. Der
Film beginnt mit Maurice Jarres Musik. Wir hö-
ren seine Ouvertüre, aber es bleibt dunkel im Ki-
no, und erst nach viereinhalb Minuten öffnet sich
der Vorhang, und wir sehen Bilder: die Columbia-
Statue, den Filmtitel und Lawrence, der auf sein
Motorrad zugeht.

VON HANNS-GEORG RODEK

Diese viereinhalb Minuten sind ein Rückgriff
auf die Tradition der Ouvertüre in der Oper und
des Prologs im Theater. Sie lassen die Nachbilder
von draußen auf der Netzhaut verglimmen, stim-
men ein auf das, was kommt. Vorspanne sind
auch Orte, wo sich Egos materialisieren. Die ers-
ten 15 Kinojahre verliefen anonym. Niemand
kannte die Namen jener, die auf der Leinwand
umherhampelten. Als Erste sah die Amerikanerin
Florence Lawrence 1910 ihren Namen auf der
Leinwand, und deshalb war sie der erste Kino-
star. Bald begann bei jedem Film der Streit, wer
zuerst und wie groß und wie lang genannt wurde.
„Der Name über dem Titel“ war das Höchste, was
ein Star erreichen konnte.
Bis in die Fünfzigerjahre regierte der „Gestat-
ten, mein Name ist ...“-Vorspann. Bei dem be-
rühmtesten aller Stummfilme erfahren wir zuerst,
dass es sich um eine Ufa-Produktion handelt, der
Regisseur Fritz Lang und die Autorin Thea von
Harbou heißt, es folgen die Techniker, die „Gestal-
ten des Films“ und ihre Darsteller, ein Sinnspruch
(„Mittler zwischen Hirn und Händen muss das
Herz sein!“) und schließlich, triumphal von Licht-
strahlen umspielt, der Titel: „Metropolis“! Damit
war das Muster etabliert: Titel, Namen, Funktio-
nen (Sinnsprüche wurden schnell aussortiert). Die
Damen stopften unterm Vorspann das Erfri-
schungstuch ins Täschchen, die Herren schnäuz-
ten sich ein letztes Mal. Eine Minderheit des Pu-
blikums jedoch saugte jeden Namen auf, denn zur
Filmsozialisation gehörte unabdingbar das Wis-
sen, wer wann mit wem was gemacht hatte.
Im Lauf der Filmgeschichte hat sich der Vor-
spann zu einer Miniatur-Subkunstform gemausert


  • und sieht sich trotzdem heute wieder geringge-
    schätzt. Einst erlaubte Orson Welles in einem ju-


gendlichen Anfall von Größenwahn nur einen ein-
zigen Namen im „Citizen Kane“-Vorspann, näm-
lich den eigenen – aber das war im Vergleich zu
heute noch informativ. Der frugale Clint East-
wood zeigt grundsätzlich lediglich den Titel, wie
aaauch George Lucas bei allen „Star Wars“-Folgen,uch George Lucas bei allen „Star Wars“-Folgen,
wo nichts von der Grandiosität seiner Raumflotte
aaablenken darf; Schauspieler sind bei ihm eh Verfü-blenken darf; Schauspieler sind bei ihm eh Verfü-
gggungsmasse.ungsmasse.
Früher hat sich ein Film per Vorspann vorge-
stellt. Jetzt sagt er sofort „du“ und packt dich an
der Gurgel. Christopher Nolans „Batman Begins“
startete den Trend, dass nicht einmal mehr der Ti-
tel eingeblendet wird; man könnte sich im Multi-
plex ins falsche Kino verirren und wundern, wa-
rum im neuen Woody Allen so viel geballert wird.
Steven Spielberg hat einmal gesagt, Statistiken
zeigten, dass das Publikum Vorspanne für über-
ffflüssig halte; kompletter Nonsens, niemand ver-lüssig halte; kompletter Nonsens, niemand ver-
lässt das Kino wegen eines Vorspanns (erst recht
nicht wegen eines reizvollen), und Sender hacken
die Spanne sowieso brutal ab, vorne und hinten.
Zunehmend werden sie durch etwas wirklich Läs-
tiges ersetzt, kleine Logofilme der Geldgeber,
manchmal ein gutes halbes Dutzend hintereinan-
der, die sollte Spielberg verbannen.
Nun hat man eine Zeit lang seine Hoffnung in
Serien gesetzt, die – damit Kinoprestige auf sie ab-
fffärbt – in originelle Vorspanne investierten. Dochärbt – in originelle Vorspanne investierten. Doch
vor zwei Jahren führte Netflix die „Skip Intro“-
Option ein, womit Zuschauer beim Komaglotzen
zu Beginn jeder neuen Folge den lästigen Vor-
spann überspringen können. Einige Titelkünstler
haben sich ins Abspannexil gerettet, doch das ist
noch verlorenere Liebesmüh, schieben sich doch
im Kino nach dem „Ende“ (das auch zunehmend
aaausstirbt) sofort Köpfe ins Sichtfeld, und im Fern-usstirbt) sofort Köpfe ins Sichtfeld, und im Fern-
sehen wird der Abspann in ein Minikästchen ver-
bannt, um der nächsten Folge oder der Werbung
fffür die neue Serie Platz zu machen. ür die neue Serie Platz zu machen.
Bei Filmen zählt nicht mehr der Star oder der Re-
gisseur, nur noch die „Marke“, ob sie nun Harry Pot-
ter oder Batman heißt. Der langsame Tod des Vor-
spanns ist ein Indiz dafür. Wir nähern uns dem Zu-
stand, in dem die Kreativen einer Kreation unsicht-
bar werden. Ganz wie in des Filmes Kindertagen.
PS: Vorspannsüchtigen wird empfohlen, sich
„Das winkende Mädchen“ zu beschaffen, einen
deutschen Kurzfilm aus den Achtzigerjahren.
Der verbringt die ersten sieben Minuten damit,
im Vorspann jede noch so kleine Position aufzu-
zählen. Dann winkt das titelgebende Mädchen.
Dann: Schluss.

In 125 Jahren Kinogeschichte


entwickelte sich der Vorspann zu


einer eigenen Attraktion innerhalb


des Hauptfilms. Nun wird immer


häufiger auf diese Bildouvertüren


verzichtet. Typologie einer


sterbenden Kunstform


Das Ende


vom


Anfang


Ziemlich lange dachte man, Vor- und Abspanne seien wie
die Deckel eines Buches. In Idealfall jedoch sind sie für
den Film wie der erste, so ungemein wichtige Satz eines
Romans. „Nenne mich Ismael“ leitete Herman Melville
unvergesslich seinen „Moby Dick“ ein; die Verfilmung
mit Gregory Peck setzte bloß die Namen vor ein Wal-
fanggemälde. „Lolita, Licht meines Lebens, Feuer mei-
ner Lenden. Meine Sünde, meine Seele“, beginnt Vladi-
mir Nabokov seine Erzählung. Stanley Kubrick eröffnet
deren Verfilmung mit einem langen, nackten Bein, das
sich ins Bild schwingt, und mit einer Hand, die vorsichtig
Wattebäuschchen zwischen die Zehen schiebt, um dann
zärtlich die Nägel zu lackieren. Welch erster Filmsatz!
Da nimmt man die vielen Namen, die um das Bein dra-
piert werden, gern in Kauf.

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Der Verführvorspann

Stattdessen begann in den Sechzigern die Ära der ver-
zahnten Vorspanne, wo unter den Titeln die Handlung
bereits einsetzt. Am Anfang von Robert Altmans „The
Player“ wandert die Kamera acht Minuten ohne Schnitt
durch das Gewimmel eines Filmstudios, trifft praktisch
alle Figuren und platziert die Namen der Stars unauffäl-
lig in die Ecken. Der berühmteste verzahnte Vorspann
eröffnet Stanley Kubricks „Shining“: Ein gelber VW Kä-
fer fährt am steilen Abhang eines Tals entlang, ein winzi-
ger, einsamer Fleck in einer majestätischen Landschaft.
Ein grummelndes Synthesizer-„Dies Irae“ ertönt, und
die Titel rollen in einer grässlich-blauen Helvetica-
Schrift über die Leinwand. Jack Nicholson fährt mit sei-
ner Familie in das einsame Hotel, und das Unbehagen
greift von der ersten Sekunde an nach uns.

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Der verzahnte Vorspann

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet der Standardvor-
spann aus den Fugen – denn die Filmgewerkschaften
wollten möglichst viele ihrer Mitglieder im Vorspann le-
sen. Saul Bass, ein Werbegrafiker, erfand den Typovor-
spann. Für „Der Mann mit dem goldenen Arm“ entwarf
er 1955 erst nur das Plakat, dann auch den Vorspann, in
dem Bass auf schwarzem Hintergrund abstrakte weiße
Arme tanzen ließ, mit den Namen der Beteiligten dazwi-
schen. Für Alfred Hitchcocks „Aus dem Reich der Toten“
erhöhte er den Abstraktionsgrad erheblich. Die Kamera
fährt auf das Auge von Kim Novak zu, hinein in die Pupil-
le, und dort drehen sich Spiralen jeder Art, sodass es ei-
nem ganz schwummerig wird. Die Namen ploppen dane-
ben auf, aber ins Auge winden sich die Drehwürmer und
ins Ohr die hypnotische Musik von Bernard Herrmann.

Der Typovorspann

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