Die Welt Kompakt am Sonntag - 20.10.2019

(Rick Simeone) #1
eginnen wir mit dem Vor-
spann in seiner extremsten
Form: „Lawrence von Ara-
bien“. Woran erinnern wir
uns? Peter O’Toole in Bedui-
nenkluft. Die Cinemascope-Wüste. Die
wilde Pferde- und Kamelhorde, die
sich in die Straßen von Aqaba ergießt.
Und die Musik. Der Film beginnt mit
Maurice Jarres Musik. Wir hören seine
Ouvertüre, aber es bleibt dunkel im Ki-
no, und erst nach viereinhalb Minuten
öffnet sich der Vorhang, und wir sehen
Bilder: die Columbia-Statue, den Film-
titel und Lawrence, der auf sein Mo-
torrad zugeht.

VON HANNS-GEORG RODEK

Diese viereinhalb Minuten sind ein
Rückgriff auf die Tradition der Ouver-
türe in der Oper und des Prologs im
Theater. Sie lassen die Nachbilder von
draußen auf der Netzhaut verglimmen,
stimmen ein auf das, was kommt. Vor-
spänne sind auch Orte, wo sich Egos
materialisieren. Die ersten 15 Kinojah-
re verliefen anonym. Niemand kannte
die Namen jener, die auf der Leinwand
umherhampelten. Als Erste sah die
Amerikanerin Florence Lawrence 1910
ihren Namen auf der Leinwand, und
deshalb war sie der erste Kinostar.
Bald begann bei jedem Film der Streit,

wer zuerst und wie groß und wie lang
genannt wurde. „Der Name über dem
Titel“ war das höchste, was ein Star er-
reichen konnte.
Bis in die Fünfzigerjahre regierte der
„Gestatten, mein Name ist ...“-Vor-
spann. Bei dem berühmtesten aller
Stummfilme erfahren wir zuerst, dass
es sich um eine Ufa-Produktion han-
delt, der Regisseur Fritz Lang und die
Autorin Thea von Harbou heißen, es fol-
gen die Techniker, die „Gestalten des
Films“ und ihre Darsteller, ein Sinn-
spruch („Mittler zwischen Hirn und
Händen muss das Herz sein!“) und
schließlich, triumphal von Lichtstrah-
len umspielt, der Titel: „Metropolis“!
Damit war das Muster etabliert: Titel,
Namen, Funktionen (Sinnsprüche wur-
den schnell aussortiert). Die Damen
stopften unterm Vorspann das Erfri-
schungstuch ins Täschchen, die Herren
schnäuzten sich ein letztes Mal. Eine
Minderheit des Publikums jedoch saug-
te jeden Namen auf, denn zur Filmso-
zialisation gehörte unabdingbar das
Wissen, wer wann mit wem was ge-
macht hatte.

EINE KLEINE KUNSTFORMIm Lauf
der Filmgeschichte hat sich der Vor-
spann zu einer Miniatur-Subkunstform
gemausert – und sieht sich trotzdem
heute wieder geringgeschätzt. Einst er-

44 KULTUR WELT AM SONNTAG NR. 42 20. OKTOBER 2019


Das Ende


vom VVVorspielorspiel


Stattdessen begann die Ära der verzahnten Vorspänne, wo
unter den Titeln die Handlung bereits einsetzt. Am Anfang von
Robert Altmans „The Player“ wandert die Kamera acht Minu-
ten ohne Schnitt durch das Gewimmel eines Filmstudios, trifft
praktisch alle Figuren und platziert die Namen der Stars un-
auffällig in die Ecken. Der berühmteste verzahnte Vorspann
eröffnet Stanley Kubricks „Shining“:Ein gelber VW-Käfer
fährt am steilen Abhang eines Tals entlang, ein winziger, einsa-
mer Fleck in einer majestätischen Landschaft. Ein grummeln-
des Synthesizer-„Dies Irae“ ertönt, und die Titel rollen in einer
grässlich-blauen Helvetica-Schrift über die Leinwand. Jack Ni-
cholson fährt mit seiner Familie in das einsame Hotel, und das
Unbehagen greift von der ersten Sekunde an nach uns.

Der verzahnte Vorspann

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet der Standardvorspann aus
den Fugen – denn die Filmgewerkschaften wollten möglichst viele
ihrer Mitglieder im Vorspann lesen. Der Grafiker Saul Bass erfand
den Typovorspann, erstmals für den Film „Der Mann mit dem gol-
denen Arm“ (1955): Auf schwarzem Hintergrund ließ er abstrakte
Arme tanzen, dazwischen las das Publikum die Namen der Betei-
ligten. Für Alfred Hitchcocks „Aus dem Reich der Toten“schuf
Bass noch mehr Abstraktion. Die Kamera fährt auf das Auge von
Kim Novak zu, hinein in die Pupille, und dort drehen sich Spiralen
jeder Art. Die Namen ploppen daneben auf, aber ins Auge winden
sich die Drehwürmer und ins Ohr einee hypnotische Musik.

Echt abstrakt: der Typovorspann

Ziemlich lange dachte man, Vor- und Abspänne seien wie die De-
ckel eines Buches. In Idealfall jedoch sind sie für den Film wie der
erste, so ungemein wichtige Satz eines Romans. „Nenne mich Is-
mael“, leitete Herman Melville unvergesslich seinen „Moby Dick“
ein; die Verfilmung mit Gregory Peck setzte bloß die Namen vor
ein Walfanggemälde. „Lolita, Licht meines Lebens, Feuer meiner
Lenden. Meine Sünde, meine Seele“, beginnt Vladimir Nabokov
seine Erzählung.Stanley Kubrick eröffnet deren Verfilmung mit
einem langen, nackten Bein, das sich ins Bild schwingt, und mit ei-
ner Hand, die vorsichtig Wattebäuschchen zwischen die Zehen
schiebt, um dann zärtlich die Nägel zu lackieren. Welch erster
Filmsatz! Da nimmt man die vielen Namen, die um das Bein dra-
piert werden, gern in Kauf.

Das Vorwort des Verführers

Damit näherte sich der Vorspann der selbstständigen Kunstform,
doch populär wurde er erst mit dem „Rosaroten Panther“,als
Animation.Paulchen spielt mit Buchstaben und Namen. Er pfeift
hinter Claudia Cardinale her (bis sich aus deren „e“ eine Hand ma-
terialisiert und ihn K. o. schlägt), er tippt auf der Drehbuch-
schreibmaschine, bis ihm ein Holzhammer auf die Pfoten haut.
Und er setzt, Buchstabe für Buchstabe, den Namen des Regis-
seurs: „Elabk Sdrawed“ – bis ihn eine Hand mit Pistole zwingt,
sich zu korrigieren: „Blake Edwards“. Dies war wohl der glücklichs-
te Moment der Filmvorspannkunst, Pflicht und Jux in völliger Har-
monie. Der Animationsvorspann war auch der teuerste, und die
wenigsten Produzenten wollten (und konnten) sich das leisten, ei-
ner der letzten war Spielberg bei „Catch Me If You Can“.

Spielerisch geht es auch

B


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