Die Welt Kompakt am Sonntag - 20.10.2019

(Rick Simeone) #1
durch. Er akzeptiert keine Fakten. Das finde ich so er-
schreckend, ja beängstigend.“
Tomlinsonzählt sich zu den „48 Prozent“, die 2016
für den Verbleib in der EU stimmten. „Das war übri-
gens meine allererste Wahl“, sagt sie stolz, bevor sie in
der Menge verschwindet, die gleich zum Marsch Rich-
tung Parlament startet. Mit dabei ist auch Hugo Di-
xon, stellvertretender Vorsitzender von „People’sVo-
te“, der Kampagne für ein zweites Referendum. Als im
Parlament die Zustimmung für den Letwin-Antrag
kommt, bricht auf dem Platz vor dem Parlament fre-
netischer Jubel aus.
„Jetzt haben die Abge-
ordneten die Gelegen-
heit, Johnsons Geset-
zespläne mit Anträgen
für ein zweites Refe-
rendum zu versehen.
Und den Wählern die
Option zu geben, in der
EU zu bleiben. Das Par-
lament kann nicht
ignorieren, was hier auf
der Straße los ist“,
freut sich Dixon.
Auch Meddy Mark-
ham steht vor dem
Parlament, in der
Hand ein Schild mit
den Worten „Leave
means Leave“. „Das
Brexit-Votum muss
endlich umgesetzt
werden“, sagt die
Rentnerin. „Es hat so
viele Menschen ent-
zweit. Familien sind
zerstritten, die Stim-
mung auf der Straße
ist giftig geworden.“ Sie
zeigt auf an ihr vorbei-
gehende Brexit-Gegner,
die blaue Europaflag-
gen mit sich tragen.
„Was ich mir hier heute
Morgen schon anhören
musste, das ist wirklich
nicht schön.“ Dann fol-
gen die vielen Argu-
mente, warum das Vereinigte Königreich ihrer Mei-
nung nach nicht in die EU gehört.
Beide Seiten haben sie schon tausend Mal vorge-
bracht, und trotzdem geht es nicht weiter. Dass Boris
Johnsons neuer Deal die Wunden verheilen lässt, da-
ran glaubt an diesem Samstag in London und anders-
wo im Land wohl kaum jemand. Und das Brexit-Drama
ist noch lange nicht zu Ende.

6 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR. 42 20. OKTOBER 2019


tere Verzögerung geben sollte, „damit Brexitam 31.
Oktober kommt und unser Land ein neues Kapitel be-
ginnen kann“.
Brüssel gab sich am Samstag zurückhaltend. „Es ist
an der britischen Regierung, uns so schnell wie mög-
lich über die nächsten Schritte zu informieren“, er-
klärte eine Sprecherin der EU-Kommission. Sie unter-
strich, dass über das Austrittsabkommen selbst noch
nicht abgestimmt
worden sei.


ZWEITE LESUNG
Genau das will
Johnson bereits An-
fang nächster Wo-
che erneut versu-
chen. Am Dienstag
schon geht der Pla-
nung nach die na-
tionale Gesetzge-
bung in die zweite
Lesung. Diese Ab-
stimmung plant
Downing Street
nun zum Votum
über den Deal zu er-
klären. Doch die
Stunden seit der Ei-
nigung in Brüssel
haben gezeigt, dass
an einem Tag in der
Politik sehr viel
passieren kann. Vor
allem dann, wenn
die eine Seite der
anderen nicht traut.
Das Misstrauen
ist massiv, im Par-
lament, aber ge-
nauso tief und
schmerzhaft ist es
draußen auf der
Straße. AbbyTom-
linson steht am
Samstagmorgen in
der Oktobersonne
am Wellington
Arch. Hier haben sich die Anhänger für ein zweites
Referendum versammelt. Die Studentin hat gerade
an der Universität York ihren Abschluss in Politik-
wissenschaften gemacht. „Die Woche habe ich mich
mit meinem Vater im Auto über Brexitgestritten. Er
will kein zweites Referendum, er will sogar einen ,No
Deal‘“, erzählt die 21-Jährige. Was sie besonders be-
lastet: „Ich komme mit Argumenten bei ihm gar nicht


FORTSETZUNG VON SEITE 5

Ich komme mit Argumenten bei


meinem Vater gar nicht durch.


Er akzeptiert keine Fakten


ABBY TOMLINSON, 2 1, EU-Anhängerin

,,,,


Das Brexit-Votum


muss endlich umgesetzt


werden


MEDDY MARKHAM,Rentnerin und Leave-Anhängerin

,,,, STEFANIE BOLZEN


(2); GETTY IMAGES

23.1.
Premierminister
Cameron sagt, im
FFFalle eines Wahlsiegalle eines Wahlsieg
der Tories werde es
ein Referendum zum
EU-Austritt geben. PA/DPA/MATT DUNHAM

7.5.
Die Konservativen
gewinnen die Par-
lamentswahl deutlich.
Cameron will das
Referendum wie ver-
sssprochen abhalten.prochen abhalten.

23.6.
Die Briten stimmen
entgegen aller
Prognosen mit 52
Prozent für den Aus-
tritt aus der EU. Nigel
FFFarage freut sich.arage freut sich. GETTY

/AFP/

GLYN KIRK

10.4.
Der Europäische
Rat beschließt eine
VVVerlängerung dererlängerung der
Austrittsfrist bis
zum 31. Oktober.
GETTY IMAGES

/LEON NEAL

23.5.
Bei den Europa-
wahlen legt Nigel
FFFarage mit seinerarage mit seiner
Brexit-Partei stark
zu.
GETTY

/P. SUMMERS

24.5.
Theresa May kün-
digt ihren Rücktritt
fffür den 7. Juni an.ür den 7. Juni an.

GETTY/AFP/

D. LEAL-OLIVAS

GETTY IMAGES

/AFP

Brexit -


Was


bisher


geschah

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