Die Welt Kompakt am Sonntag - 20.10.2019

(Rick Simeone) #1

8 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.42 20.OKTOBER


in kleiner Flachdachbungalow mit Terrasse
und Vorgarten in einem Hain von Pinien-
bäumen. Die Besitzer des Hauses in der Nä-
he der syrischen Grenzstadt Ras al-Ain sind
geflüchtet. Jetzt nutzt es die christliche Mi-
liz MFS. „Sie beobachten uns“, sagt Kommandant
Hawro Simon und zeigt mit dem Finger nach oben.
Nach einer Weile hört man das leise Brummen einer
Drohne am Himmel. Eine Woche lang hat er mit seiner
Soldatengruppe in Ras al-Ain gegen die angreifende
türkische Armee und ihre überwiegend islamistischen
Hilfstruppen der syrischen Rebellen gekämpft. Seine
christliche Miliz ist Teil der von Kurden angeführten
Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Die Türkei
will sie zerschlagen und eine Sicherheitszone in Nord-
syrien einrichten. „Nach Beginn des Waffenstillstands
am Donnerstag haben wir uns wie viele andere Trup-
penteile zurückgezogen“, sagt Hawro Simon. Dass die
Waffenruhe zu einer Lösung des Konflikts führt,
glaubt der 21-jährige Kommandant nicht.

VON ALFRED HACKENSBERGER
UND CHRISTOPH B. SCHILTZ
AUS RAS AL-AIN UND BRÜSSEL

Von der Euphorie, mit der die Bewohner Nordsy-
riens die Feuerpause am Donnerstag begrüßten, ist
kaum mehr etwas zu spüren. Zu Tausenden feierten

die Menschen auf den Straßen, mit Gewehrsalven und
Autokorsos bis spät in die Nacht. Aber schon am Frei-
tag folgte die Ernüchterung. Zum einen, weil die Tür-
kei sich nicht an die Abmachung hält und immer wie-
der bombardiert. Entscheidender ist jedoch, dass die
Menschen mittlerweile wissen, dass die Bedingungen,
die an einen dauerhaften Waffenstillstand geknüpft
sind, für die selbstverwaltete Regierung Nordsyriens
und die SDF unannehmbar sind. Denn das käme „einer
totalen Kapitulation gleich“, wie der renommierte
kurdische Politiker Salih Muslim es bezeichnete. Auch
General Masloum, der Oberbefehlshaber der SDF,
nannte die Bedingungen „inakzeptabel“.
Laut der Vereinbarung, die US-Vizepräsident Mike
Pence am Donnerstag in Ankara mit Präsident Recep
Tayyip Erdogan ausgehandelt hat, haben die SDF fünf
Tage Zeit, ihre Truppen aus einer 32 Kilometer tiefen
Zone entlang der Grenze abzuziehen, und müssten da-
nach das Gebiet türkischer Kontrolle überlassen und
ihre Waffen der Türkei aushändigen. Sollte Nordsy-
rien dem Ultimatum nicht Folge leisten, sind neue
Auseinandersetzungen zu erwarten. Sie könnten eine
gefährliche Ausweitung des Konflikts provozieren.
Denn das von den SDF zu Hilfe gerufene Assad-Re-
gime hat nun seine Truppen in Nordsyrien stationiert
und will „jede ausländische Aggression“ abwehren.
Der wichtigste Bündnispartner der syrischen Regie-
rung ist Russland, das in den Krieg mit hineingezogen

Der Störfall im


Nato-Bündnis


Die Waffenruhe in


Nordsyrien ist fragil.


Die Nato hat der Türkei


klargemacht, dass sie


nicht auf Unterstützung


zählen kann. Und dann


gibt es noch die


entscheidende Frage:


Wie wird Russland


vorgehen?


GETTY IMAGES

/BYRON SMITH

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