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reite Stufen führen in die unterirdischen Gartenhallen
des Frankfurter Städel Museums hinab. Unten wartet
eines der vertrautesten Gesichter der Kunstgeschichte,
ein Selbstporträt Vincent van Goghs – und zwar als riesige
Reproduktion an einer 5,50 Meter hohen Wand.
Am ernsten Blick des Malers müssen alle vorbei, die vom
kommenden Mittwoch an eine erhellende Auswahl seiner
Werke sehen wollen. Zwar trägt das Vorhaben den englischen
Titel »Making van Gogh«. Aber es handelt vom Verhältnis
insbesondere der Deutschen zu seiner Kunst.
Tatsächlich wird Deutschland in diesem Herbst sogar zum
Van-Gogh-Land. Wenige Tage nach der Eröffnung im Städel
geht es im Potsdamer Museum Barberini weiter. Dort werden
Stillleben des Niederländers gezeigt. Dabei hatten sich die
Institutionen nicht einmal abge-
sprochen. Die Fans wird es freu-
en – und kaum ein Künstler hat
mehr davon. Das Städel rechnet
mit über 300 000 Besuchern.
Interessanterweise waren es
die Deutschen, die eine beson-
ders intensive Beziehung zu van
Gogh entwickelten. Nicht sofort,
aber vergleichsweise früh. Zwei
Jahrzehnte nach seinem Selbst-
mord 1890 wurde er im wil -
helminischen Deutschland eine
Berühmtheit. Als die Kölner
Sonderbund-Ausstellung 1912
die moderne Kunst zusammen-
fasste, widmeten die Organisa-
toren seinen Werken sogar die
ersten fünf Säle.
Seine Kunst polarisierte
durchaus auch, Ablehnung und
Verehrung klangen ähnlich hit-
zig. Der Kunsthistoriker Julius
Meier-Graefe gehörte zu den
Anhängern und feierte ihn in
einer Monografie, die zum Bestseller wurde. Das Malen sei
für den »Märtyrer« van Gogh ein »Exzess« gewesen, »bei
dem die Farbe wie Blut herumspritzte«. »Lodernde Wolken«
habe er als Abbilder seiner selbst geschaffen und seine reale
»Selbstzerstörung« war »natürliches Opfer«. Vom selben Au-
tor stammt auch der »Roman eines Gottsuchers«, der den
»Wahn« seiner Bilder stilisierte.
Dabei seien die Gemälde eher Ausdruck der Hoffnung
gewesen, sagt Alexander Eiling, Kurator der Ausstellung.
Doch populärer wurde (und blieb) der angeblich dramatische
van Gogh.
Zu Beginn des Frankfurter Rundgangs hängen etliche
Ölbilder, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon einmal
in Deutschland zu sehen waren, etwa die Bildnisse »L’Arlé-
sienne« oder »Der Liebhaber«. Erinnert wird auch an die
Rolle der Schwägerin van Goghs, Johanna van Gogh-Bonger,
die den Bruder ihres Mannes und ihren Mann selbst lange
überlebte. Sie hütete den Nachlass und versuchte, den Nach-
ruhm zu mehren. Der modernere Teil der deutschen Kunst-
landschaft erwies sich als äußerst empfänglich für die Ästhetik
van Goghs – und eben auch für sein Schicksal: Existenz -
sorgen, die in seinen vielen Briefen an den Bruder Theo zur
Sprache kommen, das abgeschnittene Ohr, ein Aufenthalt im
»Irrenhause«, die Selbsttötung in seiner Wahlheimat Frank-
reich. Vincent van Gogh wurde zum Klischee des verkannten
und des von seiner Psyche gequälten Genies.
Erst spät hatte er sich überhaupt entschlossen, Maler zu
werden. Da war er bereits 27 Jahre alt und hatte nur noch
ein Jahrzehnt zu leben, bis zum 29. Juli 1890. In dieser kurzen
Zeit schuf er mehr als 800 Gemälde und etwa 1100 Zeich-
nungen. Als ausgebildeter Kunsthändler besaß er einen ge-
schulten Blick, aber das Handwerk des Malens musste er erst
erlernen, er brachte es sich mehr oder weniger selbst bei. Bis
zu seinem Tod experimentierte er, mit Farben, mit Stilen.
Die Ausstellung zeigt neben 50 Werken van Goghs noch
viele Bilder anderer Maler, die von ihm beeinflusst wurden:
Deutsche Expressionisten beispielsweise hatten nur Augen
für jene Bilder, die einen skizzenhaft dynamischen Duktus
aufwiesen. Die Mitglieder der Dresdner Gruppe »Die Brücke«
versuchten, van Gogh darin noch zu übertrumpfen. Wer ihre
tatsächlich wie im Rausch aufgetragenen Striche neben seinen
sieht, erkennt, dass sein Farbauftrag geradezu besonnen wirkt.
Die deutsche Avantgarde
nannte ihn einen »Vater«. Dann
aber kamen die Nazis. Werke
van Goghs aus jüdischen Samm-
lungen wurden zwangsverkauft
oder beschlagnahmt, etliche Bil-
der in Museen als »entartet«
konfisziert und verkauft, damit
das Reich an Geld kam. Die Aus-
stellung ist auch ein Gedenken
an diesen Verlust. Das Städel
etwa besaß seit 1912 das Bildnis
des Dr. Gachet; van Gogh hatte
sich mit dem Arzt angefreundet.
Ein Mann mit traurigen Augen.
Geblieben ist dem Museum nur
der goldene Rahmen, in dem es
einst eintraf. Der wird nun als
Leerform in einem der Ausstel-
lungskabinette präsentiert.
Das Porträt selbst wurde 1937
eingezogen und gelangte in den
Besitz Hermann Görings. Über
einen Mittelsmann verkaufte
er es dem deutsch-niederländi-
schen Bankier Franz Koenigs, der es wiederum einem jüdi-
schen Kollegen und Kreditgeber in Amsterdam überließ. Ob
es damit auch in dessen Eigentum überging, ist umstritten.
1941 kam Koenigs unter ungeklärten Umständen im Kölner
Hauptbahnhof ums Leben. Seine Enkelin Christine Koenigs
erhebt, wie sie betont, noch immer Anspruch auf das Ge -
mälde, das sich nun laut Kurator Eiling in Schweizer Privat-
besitz befindet. Sicher würden vermögende Sammler Re-
kordsummen dafür ausgeben, sollte es irgendwann wieder
verkäuflich sein.
Das Bildnis ist der abwesende Star der Schau, die Macher
der Ausstellung haben einen fünfteiligen Podcast über seine
Geschichte produziert. Der vermeintliche Wahnsinn van
Goghs, so kann es einem vorkommen, ist schließlich im Irr-
sinn des Kunstmarkts aufgegangen. Ulrike Knöfel
Unser
Lieblingsmaler
AusstellungskritikEine Schau
widmet sich dem besonderen Verhältnis
der Deutschen zu Vincent van Gogh.
DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019
Kultur
KRÖLLER-MÜLLER MUSEUM, OTTERLO, NIEDERLANDE
Van-Gogh-Bild »Weiden bei Sonnenuntergang«, 1888
»Vater« und »Märtyrer« der deutschen Avantgarde