S
ie sind entkommen. Monatelang
wurden die Frauen und Kinder im
Lager Ain Issa festgehalten, etwa
45 Kilometer von der tür kischen
Grenze entfernt. Doch jetzt ist das Inter-
nierungscamp aufgelöst – und Hunderte
Anhängerinnen der Terrormiliz IS sind
frei, darunter mindestens vier Frauen aus
Deutschland mit ihren Kindern.
»Es bombt die ganze Zeit«, schrieb eine
der deutschen IS-Frauen via WhatsApp,
kurz bevor die Kurden ihren Posten auf-
gaben. Nun will sie sich angeblich über die
Grenze in die Türkei durchschlagen – und
von da aus weiter nach Hause, nach
Deutschland.
Eine andere Islamistin soll es mit ihrer
Tochter bis in ein kleines Dorf in Grenz-
nähe geschafft haben. Auch sie will wohl
zurück, nach Hessen.
Während die Familien der deutschen IS-
Frauen auf die Rückkehr ihrer Töchter und
Enkelkinder hoffen, ist für die Sicherheits-
behörden ein Albtraumszenario wahr
geworden. Die Militärinvasion der Türkei
führt dazu, dass die Kontrolle über Tau-
sende IS-Kämpfer, die bislang von kurdi-
schen Kräften in Lagern und Haftanstalten
in Nordsyrien festgehalten wurden, zu ent-
gleiten droht.
In Berlin wächst die Sorge, dass nach
den Frauen auch Männer in größerer Zahl
aus den Gefängnissen entkommen könn-
ten – um sich womöglich unerkannt nach
Europa aufzumachen. Im schlimmsten Fall
mit der Absicht, Anschläge zu begehen.
Nun rächt sich, dass die Bundesregie-
rung so lange zögerlich war. Fast zwei
Jahre lang drängten die Kurden sowie
ihre einstige Schutzmacht USA Deutsch-
land und die anderen EU-Staaten, die
IS-Anhänger aus ihren Ländern zurück -
zunehmen.
Das Auswärtige Amt redete sich damit
heraus, dass die Bundesrepublik wegen
des Bürgerkriegs in Syrien keine kon -
sularische Vertretung mehr habe. Doch
andere Staaten zeigten sich trotzdem
in der Lage, IS-Anhänger zurückzu -
nehmen. Etwa Kasachstan oder das
Kosovo.
In Berlin war in Wahrheit niemand be-
reit, das Risiko zu tragen. IS-Anhänger nach
Deutschland auszufliegen wäre für sich
DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019 19
»Mama, hol uns hier raus«
TerrorDie Bundesregierung hat es lange gescheut, deutsche IS-Kämpfer aus Syrien zurückzuholen.
Seit dem türkischen Einmarsch steigt jetzt die Sorge vor einer unkontrollierten Rückkehr.
DELIL SOULEIMAN / AFP
IS-Anhängerinnen im Lager al-Haul, kurdische Sicherheitskräfte: »Keiner will sie hier haben«
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