Neue Rechte praktiziert einen sehr intel-
lektuellen Rechtsextremismus. Vorder-
gründig distanziert sie sich von Gewalt,
aber sie befördert die Verschwörungstheo-
rie der »Umvolkung« und vermittelt das
Gefühl, dass etwas geschehen muss, um
solche vermeintlichen Entwicklungen zu
stoppen. Das ist der geistige Nährboden
für solche Taten.
SPIEGEL:Ein Protagonist der Bewegung
ist Thüringens AfD-Landeschef Björn Hö-
cke. Ist er für Sie ein Rechtsextremist?
Haldenwang:Ich bitte um Verständnis,
dass ich mich kurz vor einer Landtagswahl
aus rechtlichen Erwägungen nicht zu ei-
nem Spitzenkandidaten äußern kann.
SPIEGEL:Was macht für Sie einen Rechts-
extremisten aus?
Haldenwang:Beispielsweise, wenn das
Wording Analogien zum Nationalsozialis-
mus aufweist. Wenn geschichtsrevisionis-
tische, völkische und fremdenfeindliche
Positionen nicht nur vertreten, sondern
letztlich auch entsprechende Ziele verfolgt
werden. Wenn die Menschenwürde weiter
Teile der Bevölkerung mit Migrationshin-
tergrund in Abrede gestellt wird.
SPIEGEL:Ein anderer prominenter Vertre-
ter ist Andreas Kalbitz, der Brandenburger
AfD-Vorsitzende. Hat er sich glaubhaft
von seiner rechtsextremen Vergangenheit
distanziert?Haldenwang:Herr Kalbitz hat Äußerun-
gen getätigt, die man unter das eben Ge-
nannte einordnen kann. Für mich ist
nicht erkennbar, dass er sich von seiner
Vergangenheit distanziert hat. Er ist wie
Höcke ein führender Kopf des »Flügels«
innerhalb der AfD, den wir vor mehreren
Monaten als Verdachtsfall eingestuft haben.
Wir sehen nichts, was uns von dieser Ein-
schätzung abbringen würde, im Gegenteil:
Der »Flügel« wird immer extremistischer.
SPIEGEL:Es gibt andere einflussreiche
Gruppen oder Publikationen der Neuen
Rechten, etwa den Verlag des Höcke-Ein-
flüsterers Götz Kubitschek oder das »Com-
pact«-Magazin. Prüfen Sie die auch?
Haldenwang:Es gibt viele Organisatio-
nen, die wir uns intensiv ansehen. Zum
Beispiel »Reconquista Germanica«, ein
Projekt von Netzaktivisten. Seit einigen
Wochen steht für uns fest: Das sind ein-
deutig Rechtsextremisten. Bei solchen Be-
obachtungsobjekten können wir nachrich-
tendienstliche Mittel einsetzen.
SPIEGEL:Auch innerhalb von Bundes-
wehr oder Polizei tauchen immer wieder
Rechtsextreme auf. Sprechen wir von Ein-
zelfällen oder von Strukturen?
Haldenwang:Die überwältigende Mehr-
heit der Beschäftigten in deutschen Sicher-
heitsbehörden steht mit beiden Beinen fest
auf dem Boden des Grundgesetzes. Aber
es gab Fälle, wo rechtsextremistisch agiert
wurde. Man könnte sagen, das sind Ein-
zelfälle. Man kann aber auch sagen, und
der Auffassung bin ich: Das sind mir zu
viele Einzelfälle, als dass ich sie mir nicht
doch mal systematisch anschaue. Deshalb
tragen wir im Verbund mit den Ländern
unter Federführung des Bundesamts für
Verfassungsschutz alle Informationen
hierüber zusammen. Und wir werden ein
Hinweistelefon einrichten, das dann aber
nicht nur für den öffentlichen Dienst da
sein wird, sondern für alle Hinweise zum
Rechtsextremismus. Bei der Bekämpfung
des islamistischen Terrorismus ist das ein
wirkungsvolles Mittel.
SPIEGEL:Ihr Vorgänger Hans-Georg Maa-
ßen macht kein Geheimnis daraus, dass er
als eine Ursache der Hasskultur die Flücht-
lingspolitik der Kanzlerin sieht. Teilen Sie
diese Ansicht?
Haldenwang:Ich habe die Politik der Bun-
desregierung unterstützt, auch im Jahr- Zu meinem christlichen Weltbild ge-
hört es, dass man Menschen in Not hilft.
Da hat Deutschland 2015 Beachtenswer-
tes geleistet. Es war allerdings dann auch
richtig, dass man die Zuwanderung wie-
der in geregelte Prozesse überführt hat.
Nein, die Kritik meines Vorgängers teile
ich nicht.
Interview: Martin Knobbe, Wolf
Wiedmann-Schmidt
DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019 27
HC PLAMBECK
Behördenleiter Haldenwang: »Der ›Flügel‹ der AfD wird immer extremistischer«