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s ist ein Sonntagmittag im Septem-
ber, als sich Justin Trudeau in der
Nähe von Toronto zwischen einem
Gasgrill und einem Blumenbeet aufbaut
und über seine vermeintlichen rassisti-
schen Fehltritte spricht. Hinter ihm stehen
Unterstützer aller Hautfarben, Männer,
Frauen, Kinder, als wollten sie sagen: Die-
ser Mann ist unser Freund.
Trudeau ist nach Brampton gekommen,
einem Vorort von Toronto, um die Wähler
von sich zu überzeugen. Am kommenden
Montag findet in Kanada die Parlaments-
wahl statt, Brampton, das geprägt ist von
Bürgern südasiatischer Herkunft, zählt zu
den heiß umkämpften Bezirken. Eigentlich
wollte Trudeau hier seinen Wirtschafts-
plan für die Mittelschicht ankündigen,
aber der Plan gerät bald in Vergessenheit.
Die Sonne brennt, der Schweiß rinnt
ihm am blauen Hemdrücken hinab, wäh-
rend im Hintergrund ein Junge mit einem
Kinderbuch herumzappelt. Dann kommt
die erste Frage zu den Bildern, die den
Wahlkampf überschatten. Die Bilder aus
seiner Vergangenheit.
Tage zuvor gerieten sie an die Öffent-
lichkeit, sie zeigen Trudeau als jungen
Mann bei einer Kostümparty im Jahr 2001,
verkleidet als Aladin, der junge Mann
aus den »Märchen aus Tausendundeiner
Nacht«. Der Skandal lag darin, dass Tru-
deau für die Party sein Gesicht und seine
Hände mit dunkler Farbe geschminkt hat-
te, was ihm den Vorwurf einbrachte, ras-
sistische Klischees zu bedienen.
In Brampton sagt Trudeau: »Ich weiß,
dass ich mit diesen Bildern Menschen ver-
letzt habe, Menschen, die täglich Diskri-
minierung aufgrund ihrer Hautfarbe erfah-
ren.« Er stockt, dann blickt er voller Reue
in die Kamera. Er sei doch ein Verbündeter
im Kampf gegen Hass und Fremdenfeind-
lichkeit. Trudeau wirkt in diesem Moment
selbst überrascht. Ausgerechnet er, der pro-
gressive Heilsbringer, muss sich gegen Ras-
sismusvorwürfe verteidigen. Die Aladin-
Fotos sind deshalb so heikel für ihn, weil
sie den Kern seiner Politik torpedieren, die
auf den Versprechen von Gleichberech -
tigung und Multikulturalismus aufbaut.
Es ist nicht die einzige Episode, in der
Trudeaus hoher moralischer Anspruch mit
der Wirklichkeit kollidiert. Umfragen zu-
folge spricht sich mittlerweile eine deut -
liche Mehrheit der Kanadier gegen eine
zweite Amtszeit Trudeaus aus. Seine Zu-
stimmungswerte sind niedriger als die von
Donald Trump in den USA. Noch vor ei-
nem Jahr schien die Wahl für den Sonny-
boy des liberalen Westens zum Spazier-
gang zu werden, jetzt wird es eng. In Um-
fragen liegen die Konservativen praktisch
gleichauf mit seiner Partei, den Liberalen.
2015 trat Trudeau als Hoffnungsträger
der Liberalen an, die Partei befand sich
nach der letzten Unterhauswahl in einem
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Ausland
Aladins Talfahrt
KanadaPremierminister Justin Trudeau galt als
Ikone des liberalen Westens, ein cooler
Gegenentwurf zu Donald Trump. Nun kämpft er
um sein politisches Überleben.
STEPHANE MAHE / REUTERS
Wahlkämpfer Trudeau: »Star Wars«-Socken und progressive Identitätspolitik