Der Spiegel - 19.10.2019

(John Hannent) #1

tern. Wie sich rausstellte, hatte der Fahrer
mich gesehen. Er hielt danach nämlich an
und sagte, dass ich die Luft nicht wert sei,
die ich atme, weil ich eh nur ein schwuler
Radfahrer sei. Danach habe ich mich an
den Straßengraben gesetzt und meine Frau
angerufen. Wir hatten gerade unser erstes
Kind bekommen. Da war ich richtig fertig.
SPIEGEL:Klingt nach einer Grenzerfah-
rung.
Frodeno:Absolut. Und dann habe ich mir
das mit dem Memento mori ausgetüftelt.
Ich kann nur jedem raten, sein eigener
Mentalcoach zu werden.
SPIEGEL:Ihr Körper und Ihr Geist sind per-
manent in Bewegung. Wie schalten Sie ab?
Frodeno:Ich fahre ein paar Tage
in die Berge.
SPIEGEL:Ohne Fahrrad?
Frodeno:Nein, das kommt im-
mer mit. In der Bewegung kom-
men mir die schönsten Gedan-
ken. Bewegung gehört zu meiner
DNA. Ich brauche sie täglich,
auch im Urlaub, und wenn es nur
20 Minuten sind.
SPIEGEL:Was war für Sie auf Ha-
waii eigentlich wichtiger: zum
dritten Mal den Ironman zu ge-
winnen oder den Hattrick Ihres
Konkurrenten Patrick Lange zu
verhindern?
Frodeno:(lacht)Ich glaube fest
an die Regel 98 zu 2. Ich mache
98 Prozent der Sachen in mei-
nem Leben aus positiver Motiva-
tion. Ich wollte einen perfekten
Tag auf Hawaii erleben. Und das
habe ich. Ich war in absoluter
Topform und in einem mentalen
Zustand, in dem man meint, im-
mer weitermachen zu können.
SPIEGEL:Sie hätten also noch
ewig weiterlaufen können?
Frodeno:Nein, das auch nicht.
Es war wie so oft im Leben: Es
ist auch so schön, weil man weiß,
dass es einen Schluss gibt.
SPIEGEL:Ein Triathlon tut weh.
Wie gehen Sie mit Schmerzen
um?
Frodeno:Schmerz ist ein sehr weiter Be-
griff. Im Sport gibt es guten und schlechten
Schmerz. Wenn ich umknicke, und mir tut
der Knöchel weh, ist ein Schaden entstan-
den. Dann ist es nicht gut weiterzumachen.
Brennt mir der Oberschenkel, wenn ich
den Berg hochfahre, dann ist das für mich
ein guter Schmerz, der in meinem Beruf
notwendig ist. Weil er mir anzeigt, dass ich
gerade fitter werde. Im Wettkampf weiß
ich, dass ich gerade eine gute Leistung brin-
ge. Und natürlich ist dabei auch immer die
Hoffnung, dass der Schmerz bei den ande-
ren halt noch ein bisschen höher ist.
SPIEGEL:Der Brite Alistair Brownlee und
Sie scheinen keine Freunde zu sein. Wäh-


rend eines Interviews hat er Sie vor lau-
fender Kamera angerempelt. Der war
schon immer ein Penner, sagten Sie.
Frodeno:Nach acht Stunden in der Hitze
kann einem das schon mal rausrutschen,
denn die Aktion war auch – na ja ... Aber:
Er hat sich im Nachhinein dafür entschul-
digt, was ich ihm niemals zugetraut hätte.
Insofern ist das gegessen.
SPIEGEL:Sind Triathleten Egomanen?
Frodeno: Ich bin grundsätzlich kein
Freund von Verallgemeinerungen. Aber
ja: Profisport ist immer mit einem gewis-
sen Egoismus verbunden.
SPIEGEL:Wie vereinbar ist das mit Ihrem
Familienleben?

Frodeno: Meine Frau war selbst Triathle-
tin, insofern hat sie Verständnis. Wir ha-
ben eine Aufgabenverteilung, und die
funktioniert momentan wunderbar. In vie-
len Berufen hätte ich auf einem vergleich-
baren Niveau weniger Zeit für meine Fa-
milie. Was auch ein Grund ist, warum ich
noch nicht bereit bin, meinen Sport auf-
zugeben.
SPIEGEL:Sie positionieren sich gegen Do-
ping. Ist Ihnen dennoch mal was angebo-
ten worden?
Frodeno:Ein einziges Mal, vor vielen Jah-
ren. Da wurde mir aufgezeigt, was damit
möglich wäre. Ich war damals völlig per-
plex. Ich habe meinen Vater angerufen.

Der sagte: Wenn du zu verbotenen Sub-
stanzen greifst, wirst du dich immer
fragen, was deine Leistung war und was
die Chemie. Für jemanden, der sich über
Leistung definiert, eine sehr schwierige
Frage.
SPIEGEL:Sie starten für das Bahrain Elite
Endurance Triathlon Team. In dem Land
wird gegen Menschenrechte verstoßen.
Verstehen Sie die Kritik an diesem Team?
Frodeno:Jede Kritik, die ich zu diesem
Thema höre, folgt einer vorgefertigten
Meinung. Es wird nie geschaut, warum es
dieses Team gibt, dass es Menschen Mög-
lichkeiten verschafft, die sie sonst nicht
hätten. In welchem mittelöstlichen Land
gibt es Wettbewerbe, bei denen
Frauen und Männer gleichzeitig
in Sportkleidung durch die In-
nenstadt laufen können? Letztes
Jahr waren von den knapp 1500
Teilnehmern beim Triathlon in
Bahrain mehrere Hundert Star-
ter und Starterinnen aus dem
eigenen Land. Und diese Men-
schen verändern auch wieder in
ihrem Umfeld sehr viel. Sport
kann Barrieren brechen, die man
anders kaum brechen kann.
SPIEGEL:Finanziell ist es sicher
auch nicht uninteressant.
Frodeno:Das gehört dazu. Ich
bin nicht Mutter Teresa, will
nicht nur die Welt verbessern. Es
ist aber ein Projekt, das ich gut
mit meinem Gewissen vereinba-
ren kann.
SPIEGEL:Das Rennen auf Ha-
waii haben Sie in Rekordzeit be-
wältigt. War das Ihr persönlicher
Zenit?
Frodeno:Das frage ich mich seit-
dem permanent und kann es
nicht sorglos beantworten. Ich
weiß nicht, wie ich es besser hät-
te machen können. Ich werde es
probieren, allein, weil ich es wis-
sen will.
SPIEGEL: Was macht ein Extre-
mist wie Sie, wenn er seine Kar-
riere beendet hat?
Frodeno:Ich halte mich nicht für einen
Extremisten. Aber auch das kann ich nicht
beantworten. Mir stehen viele Optionen
offen, aber es wird die größte Herausfor-
derung, noch mal etwas zu finden, dem
ich mit einer solchen Leidenschaft nach-
gehe wie jetzt meinem Sport.
SPIEGEL:Ich sehe Sie schon mit dem Rol-
lator eines Nachts um halb eins irgendwo
ins Ziel kommen.
Frodeno:Definitiv nicht! Ich werde nie-
mals, niemals im Amateursport unterwegs
sein. Und das möchte ich auch genau so
gedruckt sehen.
Interview: Antje Windmann

98 DER SPIEGEL Nr. 43 / 19. 10. 2019


Sport

TINO POHLMANN
Sieger Frodeno mit Medaille: »Ein perfekter Tag«
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