Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1
Braun. Auch die Deutsche Prüfstelle
für Rechnungslegung habe bereits
mehrfach in der Vergangenheit Wire-
card-Jahresabschlüsse geprüft. „Kei-
ne der abgeschlossenen Prüfungen
führte in den letzten Jahren zu der
Feststellung, dass eine fehlerhafte
Rechnungslegung vorliegt.“

Kritische Analysten


Selbst Wirecard wohlgesinnte Beob-
achter halten den Verweis auf ver-
gangene Audits angesichts der jüngs-
ten Vorwürfe nicht mehr für ausrei-
chend. „Als Dax-Konzern kann
Wirecard nicht auf jeden neuen Arti-
kel der ,FT‘ mit einer Gegenattacke
antworten“, sagt ein gut vernetzter
Investor. „Die Vorwürfe sind zu gra-
vierend, als dass man hier Aussage
gegen Aussage stehen lassen könnte.
Wirecard muss die Vorwürfe inhalt-
lich widerlegen.“
Auch unter Analysten, die den
Konzern bisher aufgrund des starken
Wachstums regelmäßig mit Kaufemp-
fehlungen und hohen Kurszielen be-
dachten, regt sich Unmut am Krisen-
management. Am Freitag empfahlen
von 32 untersuchten Analysten gro-
ßer Finanzhäuser noch 22 die Aktie
zum Kauf, nur zwei rieten zum Ver-
kauf. Drei Analysten haben nach Er-
scheinen der jüngsten „FT“-Berichte
jedoch ihr Kursziel gesenkt.
HSBC-Analyst Antonin Baudry
schrieb, er sei von den starken Fun-
damentaldaten zwar weiter über-
zeugt, wolle nun aber die Schwan-
kungsanfälligkeit berücksichtigen
und empfehle einen „Governance
Day“ mit Fokus auf Marktbedenken,
Unternehmensführung und auf die
Beziehungen zu Partnern. Deutsche-
Bank-Analystin Nooshin Nejati forder-
te, dass Wirecard-Auditor EY einen
Sonderbericht über die Vorwürfe
vorlegen solle. Und der Analyst einer
internationalen Großbank erklärte,
der Wirecard-Aufsichtsrat müsse nun
schnellstmöglich Transparenz her-
stellen, auch, um einen „Steinhoff-
Verdacht“ auszuräumen. Bei dem
südafrikanischen Möbelkonzern mit
deutschen Wurzeln hatte eine PwC-
Untersuchung Scheintransaktionen
im Milliardenumfang gefunden.


Kommentar Seite 29



Markus Braun:
„Nichts an diesen
Vorwürfen ist neu.“

imago images / Sven Simon

F. Holtermann, C. Schnell
Frankfurt, München

W


irecard geht in
die Offensive: Der
Zahlungsdienst-
leister aus Asch-
heim bei Mün-
chen will Anfang dieser Woche nun
doch eine externe Überprüfung der
gravierenden Vorwürfe der briti-
schen Wirtschaftszeitung „Financial
Times“ (FT) in die Wege leiten. Das
hat das Handelsblatt aus zwei unab-
hängigen Quellen erfahren. Zuerst
hatte das „Manager Magazin“ über
das Vorhaben berichtet. Die FT hatte
in der vergangenen Woche in mehre-
ren kritischen Artikeln den Verdacht
der Bilanzfälschung aufgebracht.
Dem Vernehmen nach soll einer
der vier großen Wirtschaftsprüfungs-
gesellschaften den Auftrag zur Über-
prüfung der Vorwürfe erhalten. Da
Ernst & Young (EY) der langjährige
Konzernabschlussprüfer ist, dürfte
die Wahl auf PwC, KPMG oder Deloit-
te fallen. Für Wirecard ist die Beauf-
tragung einer externen Untersu-
chung ein Strategieschwenk: Noch
am vergangenen Mittwoch hatte eine
Sprecherin auf Handelsblatt-Anfrage
erklärt: „Wirecard sieht keine Veran-
lassung für die Beauftragung eines
Sonderprüfers.“ Den Forderungen,
den bisherigen Wirtschaftsprüfer EY
von der Verschwiegenheitspflicht zu
befreien, wollte die Konzernspitze
bislang nicht nachgeben.
Die „FT“ hatte in der vergangenen
Woche berichtet, dass 2016 rund die
Hälfte des Wirecard-Vorsteuerge-
winns über ein Partnerunternehmen
aus Dubai namens Al Alam erzielt
worden sei. Die Zeitung kontaktierte
34 Kunden, deren Geschäfte laut zu-
gespielten Dokumenten über die
Plattform des Partners abgewickelt
worden sein sollen. Fast die Hälfte
hatte den Namen Al Alam nie gehört,
andere waren bereits seit Jahren auf-
gelöst oder unauffindbar. Wirecard
hatte in der Folge erklärt, die 34 Na-
men bezeichneten „Kundencluster“
mit Hunderten Händlern, keine Ein-
zelunternehmen.
Wirecard soll der „FT“ zufolge den
Kontakt zu Al Alam vor allem über
seine Konzerntochter Card Systems

Middle East in Dubai gehalten haben.
Diese trug 2018 laut dem Handelsre-
gister-Einzelabschluss zu 58,2 Pro-
zent zum Wirecard-Jahresgewinn bei,
wie der Branchen-Newsletter „Fi-
nanz-Szene“ berichtet hatte. Einer ih-
rer wichtigsten Profitbringer hieß in
den Vorjahren laut „FT“ Al Alam.
Wirecard hatte sich angesichts der
gravierenden Vorwürfe bereits am
Freitag an einem ersten Befreiungs-
schlag versucht. Am Nachmittag hat-
te der Konzern angekündigt, schon
in den „nächsten Tagen“ ein Aktien-
rückkaufprogramm zu starten. „Der
Vorstand hat heute mit Zustimmung
des Aufsichtsrats beschlossen (...) ein
Aktienrückkaufprogramm aufzule-
gen“, so die Ad-hoc-Mitteilung. In ei-
nem Zeitraum von zwölf Monaten
sollen Aktien bis zu 200 Millionen
Euro zurückgekauft werden. Die
Hauptversammlung hatte eine ent-
sprechende Ermächtigung bereits im
Juni erteilt. Der Wirecard-Aktie – seit
Erscheinen des ersten „FT“-Artikels
am Dienstag bereits deutlich unter
Druck – half das nicht. Sie ging am
Freitag mit mehr als sechs Prozent
im Minus aus dem Handel.

Attacke auf die „FT“
Beobachter wie Volker Brühl, Ge-
schäftsführer des Center for Financi-
al Studies der Frankfurter Goethe-
Universität, bezeichneten die Börsen-
reaktion am Freitag als folgerichtig.
„Die Ankündigung des Aktienrück-
kaufs kommt überraschend“, erklär-
te Brühl. „Das Management möchte
damit vermutlich ein starkes Signal
an die Märkte senden, dass man an
eine nachhaltig positive Kursentwick-
lung glaubt. Andererseits sind die
Märkte irritiert, wie die unmittelbare
Kursreaktion zeigt.“ Der Finanzpro-
fessor bekräftigte seine Forderung,
eine externe Überprüfung der Vor-
würfe einzuleiten. „Die Situation ist
sehr ernst. Das Management sollte
hier proaktiv vorgehen. Ein Aktien-
rückkauf alleine ist in dieser Situation
nicht ausreichend.“
Ähnlich hatten sich in der vergan-
genen Woche bereits die Schutzverei-
nigung für Wertpapierbesitz und der
Corporate-Governance-Experte und
frühere DWS-Chef Christian Strenger
geäußert. Auch Großinvestoren wie

die Sparkassen-Fondstochter Deka-
Bank hatten deutliche Kritik am un-
zureichenden Agieren der Konzern-
spitze geäußert.
Diese hatte zunächst vor allem die
„FT“ attackiert. „Ich kann Ihnen mit
Sicherheit sagen, dass an diesen Vor-
würfen nichts dran ist“, erklärte Kon-
zernchef Markus Braun am Freitag
im Gespräch mit dem Handelsblatt.
„Nichts an diesen Vorwürfen ist neu,
wir sprechen hier von alten, längst
bekannten Themen. Die angeblichen
Unregelmäßigkeiten wurden bereits
im Rahmen der Überprüfung im
Frühjahr untersucht und widerlegt.“
Zu den Vorwürfen, Al Alam habe
Scheinkundenbeziehungen geführt,
sagte Braun: „Alle Geschäftsbezie-
hungen, die in unseren Abschlüssen
verbucht wurden, sind natürlich au-
thentisch.“ Wie es dazu kommen
konnte, dass „Kundencluster“ die Na-
men von Einzelunternehmen trugen,
wollte Braun nicht ausführen.
Dafür ging der Konzernchef hart
mit der „FT“ ins Gericht: „Um ehrlich
zu sein, es hat uns überrascht, dass
die ,FT‘ einen solchen Artikel noch
einmal freigibt. Wir haben aufgrund
des ernsten Verdachts, dass ,FT‘-Jour-
nalisten mit Shortsellern zusammen-
arbeiten, Anzeige gestellt, ebenso die
Finanzaufsicht Bafin. In meinen Au-
gen wird hier versucht, durch neue
Berichterstattung nachzulegen, um
vergangene, längst widerlegte Vor-
würfe wiederzubeleben.“
Braun gab sich trotz der großen
Marktverunsicherung überzeugt,
dass der Dax-Konzern keine weiteren
Berichtigungen an der Bilanz vorneh-
men muss. „Es gab bereits eine um-
fassende Überprüfung der Vorgänge.
Das Einzige, was bilanzwirksam pas-
siert ist, war eine Periodenfalschbu-
chung über 2,5 Millionen Euro. Sie
wurde berichtigt. Es gibt keinen Än-
derungs- und Abschreibungsbedarf.“
Wirecards langjähriger Wirtschafts-
prüfer EY habe erst am Mittwoch
noch einmal bestätigt, „dass alle ge-
setzlichen und fachlichen Auditanfor-
derungen vollständig erfüllt wurden
und erfüllt werden. Im Rahmen der
Konzernabschlussprüfung hat EY
ebenfalls die Berichterstattung der
beiden Tochtergesellschaften in Du-
bai für Konzernzwecke geprüft“, so

Zahlungsdienstleister


Wirecard


schaltet auf


Angriff


Der Dax-Konzern kämpft weiter gegen schwere


Vorwürfe der „Financial Times“. CEO Markus


Braun attackiert im Gespräch die Zeitung – und


will nun doch einen externen Prüfer beauftragen.


Die Vorwürfe


sind zu


gravierend, als


dass man hier


Aussage gegen


Aussage


stehen lassen


könnte.


Wirecard


muss die


Vorwürfe


inhaltlich


widerlegen.


anonymer Investor


Finanzen & Börsen
MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202

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