Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

Michael Marthaler


Wette auf den großen


Durchbruch


V


or einigen Wochen ist verse-
hentlich ein Papier an die Öf-
fentlichkeit gelangt, das die
Wissenschaftswelt elektrisiert. Ein
Team von Google beschreibt darin
den Aufbau eines Quantencompu-
ters, der eine komplexe mathemati-
sche Aufgabe in drei Minuten und 20
Sekunden erledigen kann, für die ein
klassischer Supercomputer 10 000
Jahre benötigen würde. Es ist ein
Durchbruch für die exklusive Szene.
Bis die Technologie kommerziell
zum Einsatz kommen kann, werden
noch etliche Jahre vergehen. Ein
deutsches Start-up rüstet sich aber
bereits dafür: HQS Quantum Simulati-
ons entwickelt Softwares, mit denen

Forscher Quantencomputer simulie-
ren und eines Tages nutzen können.
Zum Beispiel, um neue Materialien
für die Chemie- und Pharmaindustrie
zu entwickeln. Denn in diesen Bran-
chen sehen Experten viel Potenzial.
Mit einer Finanzierungsrunde will
HQS die Arbeit längerfristig absichern:
Das Unternehmen erhält 2,3 Millio-
nen Euro von High-Tech Gründer-
fonds, UVC Partners und BTOV Part-
ners. „Wir nutzen das Geld haupt-
sächlich fürs Personal“, so Chef und
Mitgründer Michael Marthaler. Bis En-
de nächsten Jahres soll die Beleg-
schaft von derzeit 15 auf 30 Personen
anwachsen. Gesucht werden Quan-
tenphysiker und -chemiker, außer-
dem Softwareentwickler.
Das HQS-Team habe hervorragende
technologische und unternehmeri-
sche Fähigkeiten und sei daher gut
positioniert, um Quantencomputer
für Industriekunden verfügbar zu ma-
chen, erklärte Benjamin Erhart, Part-
ner bei UVC Partners. Auch wenn das

dauert, wie Marthaler betont: „Wir
sind froh, dass unsere Entwicklung
von drei Investoren unterstützt wird,
die die Geduld haben, die in einem
komplexen Feld wie Quantencompu-
ter nötig ist.“
Quantencomputer sind Rechenma-
schinen für Spezialanwendungen: Sie
nutzen die Gesetze der Quantenme-
chanik, um Daten zu verarbeiten. Es
ist zum Beispiel möglich, das Verhal-
ten von Materialien und Molekülen
präzise vorherzusagen. So lautet zu-
mindest die Annahme: Bislang arbei-
ten Forscher noch daran, die komple-
xen Apparaturen mit der nötigen Re-
chenleistung stabil zum Laufen zu
bekommen.
Als Marthaler, 39, im Jahr 2001 sein
Studium am Karlsruher Institut für
Technologie (KIT) begann, war diese
Möglichkeit noch weit entfernt. Das
änderte sich jedoch über die Jahre, in
denen er promovierte und anschlie-
ßend eine Forschungsgruppe leitete.
„Es gab in den letzten Jahren einige
Durchbrüche, die zeigten, dass ein
Quantencomputer wirklich gebaut
werden könnte“, rekapituliert Mar-
thaler. „Seitdem habe ich mir intensiv
Gedanken gemacht, was man mit so
einem Rechner tun würde.“
2018 wurde aus den Planspielen
Realität: Marthaler gründete gemein-
sam mit Jan Reiner, Iris Schwenk und
Sebastian Zanker die Firma – die drei
hatten bei ihm promoviert und mit
ihm anschließend am KIT zusam-
mengearbeitet. Nun entwickeln sie
gemeinsam Algorithmen, die die Ent-
wicklungszyklen von neuen Materia-
lien und Chemikalien deutlich ver-
kürzen sollen.
In ersten Projekten hat HQS mit
Bosch und BASF gearbeitet. Nun will
HQS mit Merck in einem dreijährigen
Projekt eine kommerzielle Lösung
entwickeln. Quantencomputer seien
„unmittelbar relevant“, sagt Philipp
Harbach, der beim Darmstädter Kon-
zern in der Digitalsparte die compu-
terbasierte „in silico“-Forschung lei-
tet. „Wir wollen nicht nur die Mach-
barkeit zeigen, sondern die Idee auch
zur Anwendung bringen.“ Sollte das
gelingen, könnte die Partnerschaft
ausgebaut werden – Merck hat die
Option auf eine Vertriebslizenz.
Christof Kerkmann

Tim Houter


Großer Traum, kleines Geld


T


im Houter ist ein Optimist:
Schon 2020 will der 27-jährige
Niederländer mit dem Bau ei-
ner drei Kilometer langen Teststrecke
für einen Hyperloop beginnen. Hy-
perloop, das ist eine Idee für eine
Magnetschwebebahn in einer fast
luftleeren Röhre, die ohne Luftwider-
stand 700 bis 1 000 Stundenkilome-
ter erreicht. Mehrere Start-ups arbei-
ten in den USA und Europa an der
Realisierung. Houter kommt der Visi-
on mit seinem Unternehmen Hardt
nun etwas näher: Er verkündet eine
neue Finanzierungsrunde, angeführt

vom niederländischen Risikoinvestor
Kees Koolen. Neben weiteren Geldge-
bern aus Benelux ist auch der deut-
sche Investor Frank Thelen dabei.
„Über solche Partnerschaften wol-
len wir schnell vorankommen“, sagt
Houter. Er hofft auf breite Unterstüt-
zung für seine Strecke, die die welt-
weit vierte längere Teströhre wäre.
Bei seiner ersten, 30 Meter kurzen
Röhre waren bereits Tata Steel und
der Baukonzern Bam dabei. Mit der
Deutschen Bahn untersucht Houter
das kommerzielle Potenzial für Gü-
ter- und Personenstrecken. Bei seiner
Teststrecke setzt Houter darauf, ei-
nen Landkreis in den Niederlanden
oder Deutschland zu finden, der sich
vom Hyperloop einen Kick für die lo-
kale Wirtschaft erhofft.
Tatsächlich schmücken sich bereits
einige traditionsreiche Unternehmen

mit den imagefördernden Hyper-
loop-Partnerschaften. Der Hambur-
ger Hafenbetreiber HHLA etwa will
einen Testbahnhof für Frachtcontai-
ner aufbauen – für sieben Millionen
Euro. Partner dabei ist der Hardt-
Konkurrent Hyperloop TT, der noch
in diesem Jahr eine mehrere Hundert
Meter lange Teststrecke in Toulouse
eröffnen möchte.
Mit zehn Millionen Euro, die er seit
Gründung 2017 aus einem Studenten-
projekt an der Uni Delft eingesam-
melt hat, muss der Maschinenbau-In-
genieur Houter mit weniger Geld aus-
kommen als etwa der Konkurrent
Hyperloop One. Trotzdem ist Inves-
tor Thelen optimistisch: „Jemand
muss den Mut haben, so ein Projekt
in Europa anzuschieben. Denn wir
sehen heute schon, dass es funktio-
niert.“ S. Matthes, C. Kapalschinski

Reinhold Schlensok


Führungswechsel


in den Dalli-Werken


Der Waschmittel-Hersteller Dalli,
der auch die Marke „Tandil“ für Al-
di produziert, stellt sich neu auf:
Reinhold Schlensok, 57, ist Spre-
cher der Geschäftsführung der Dal-
li-Werke am Stammsitz in Stolberg;
zudem tritt Jean-Charles Philippon,
46, in die Geschäftsführung ein.
Schlensok kommt vom Molkereiun-
ternehmen Meggle, wo er seit 2017
als Vorstandschef amtierte. Zuvor
führte er die Geschäfte der Teekan-
ne-Gruppe. Philippon wechselt vom
britischen Konkurrenten McBride
zu Dalli. Das Familienunternehmen
produziert Waschpulver, Körper-
pflege- und Haushaltsprodukte vor
allem für Discounter und Drogerie-
märkte und ist nach eigenen Anga-
ben Europas größter Konsumgüter-
hersteller in diesem Segment. cgn

Tim Houter:
Er kooperiert mit der
Deutschen Bahn.

HQS ist gut


positioniert,


um Quanten -


computer


für Industrie -


kunden


verfügbar zu


machen.


Benjamin Erhart
UVC Partners

Åsa Lautenberg


Neuer HR-Vorstand


für Viessmann


Die Viessmann Gruppe bekommt
zum 1. November einen neuen
Chief People Officer (CPO). Åsa Lau-
tenberg, 50, übernimmt nicht nur
den gesamten Personalbereich, son-
dern sie wird als erster CPO auch
Mitglied des Climate Solutions Exe-
cutive Boards. Der führende Anbie-
ter integrierter Klimalösungen mit
12 000 Mitarbeitern steckt mitten in
der digitalen Transformation. Lau-
tenberg soll laut Co-CEO Max Viess-
mann entscheidend dazu beitragen,
dass das Familienunternehmen Ta-
lente für sich gewinnt, fördert und
an sich bindet. Die Schwedin bringt
internationale Führungserfahrung
bei Samson, Lufthansa und LSG Sky
Chefs mit. HB

Daniel Kretinsky


Einstieg bei Pro


Sieben Sat 1


Der tschechische Milliardär Daniel
Kretinsky hat mit seinem slowaki-
schen Partner Patrik Tkac 4,07 Pro-
zent am Medienkonzern Pro Sieben
Sat 1 gekauft. Das Paket hat einen
Börsenwert von mehr als 120 Millio-
nen Euro. Ihrer Holding Czech Me-
dia Invest gehören bereits mehrere
Radiosender in Tschechien und der
Slowakei sowie 49 Prozent an der
Pariser Tageszeitung „Le Monde“.
Pro Sieben erklärte: „Wir begrüßen
jeden Investor und betrachten das
als Bestätigung unserer Strategie.“
Kretinsky und Tkac waren in
Deutschland bekannt geworden, als
sie vergeblich versucht hatten, den
Handelskonzern Metro zu überneh-
men. Dort halten die beiden noch

Delft Hyperloop 17,5 Prozent. rtr


HQS


Teekanne

Mit einer Finanzierungsrunde


will der Unternehmer die


Arbeit an Software für


Quantencomputer


intensivieren. Große


Konzerne sind interessiert.


Der Niederländer will den


Hyperloop bauen. Mit


Partnern soll das mit recht


wenig Geld gelingen. Jetzt


investiert auch Frank Thelen.


HQS-Führungs -
quartett: Michael
Marthaler, Jan Reiner,
Iris Schwenk, Sebas -
tian Zanker (v.l.).

Familienunternehmen des Tages


MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


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