Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

N


ach langen Verhandlungen haben
Bund und Länder sich auf eine Neu-
ordnung der Grundsteuer geeinigt,
und der Bundestag hat die Reform
nun beschlossen. Die Debatte hat-

te sich auf zwei Konzepte konzentriert: eine flä-


chenbasierte und eine wertbasierte Steuer. Letzt-


lich hat man sich auf eine wertbasierte Bemes-


sungsgrundlage geeinigt.


Den Steuerzahlern soll aber eine aufwendige


Einzelbewertung der Immobilien erspart wer-


den. Außerdem können Bundesländer sich dafür


entscheiden, von der bundeseinheitlichen Be-


messungsgrundlage abzuweichen. Diese Lösung


ist ein guter Kompromiss. Trotzdem kann die Re-


form nicht überzeugen. Die neue Grundsteu-


er ist unnötig kompliziert und torpediert zentra-


le Anliegen einer wertbasierten Steuer.


Verfehlt ist dagegen die Kritik, die Öffnung für


unterschiedliche Grundsteuern in den einzelnen


Bundesländern würde Schaden anrichten. Im


Gegenteil liegt hier die Chance, die Mängel der


Reform zu beheben. Warum ist die neue Grund-


steuer unnötig kompliziert? Komplexität bei der


Besteuerung kann akzeptabel sein, wenn da-


durch mehr Einzelfallgerechtigkeit erreicht wird.


Das ist hier jedoch nicht der Fall. Für jedes Ge-


bäude wird für die verbleibende Nutzungsdau-


er ein Wert bestimmt. Während dieser Zeit geht


man davon aus, dass der Bodenwert Teil der Mie-


te ist. Für die Zeit danach zählt nur noch der ab-


gezinste Bodenwert. Je länger die Nutzungsdauer


des Gebäudes, desto stärker wird abgezinst, und


desto weniger beeinflusst der Bodenwert die Hö-


he der Grundsteuer. Für den Bodenwert zieht


man Bodenrichtwerte heran. Deren Eignung ist
umstritten, aber sie sind einfach verfügbar.
Das Problem liegt nun in der Bestimmung des
Gebäudewerts während der Nutzungsdauer. Die
Berechnung ist trotz Pauschalierung kompliziert.
Es wird nach Grundstücksarten, Baujahr- und
Wohnflächengruppen sowie Gemeindetypen un-
terschieden. Die erstaunlichste Eigenschaft des
Verfahrens liegt nun darin, dass es keine Rolle
spielt, ob ein Gebäude sich in einer zentralen
oder bevorzugten Wohnlage befindet oder am
Stadtrand. Den Befürwortern der wertbasierten
Grundsteuer ging es aber gerade darum, dass in-
nerhalb von Gemeinden teure Immobilien belas-
tet und weniger wertvolle Immobilien in schlech-
teren Lagen entlastet werden. Das erreicht die
neue Grundsteuer kaum. Die Bodenrichtwer-
te wirken in diese Richtung, aber sie spielen we-
gen der langen Nutzungsdauer von Gebäu-
den nur eine untergeordnete Rolle.
Die These, eine auf Immobilienwerten basie-
rende Grundsteuer sei gerechter als eine Flä-
chensteuer, ist ohnehin umstritten. Die Grund-
steuer ist eine Objektsteuer, bei der die wirt-
schaftliche Leistungsfähigkeit der Nutzer der
Immobilie keine Rolle spielt. Es besteht allen-
falls ein statistischer Zusammenhang zwischen
dem Wert von Immobilien pro Quadratmeter
und dem durchschnittlichen Einkommen des
Nutzers. Ob das reicht, um den erheblichen Auf-
wand der Immobilienbewertung zu rechtferti-
gen, ist umstritten. Aber mit Sicherheit nicht zu
rechtfertigen ist ein pauschaliertes, jedoch noch
immer aufwendiges Bewertungsverfahren, das
den wichtigsten Grund für Wertunterschiede –

zentrale oder periphere Lagen innerhalb ei-
ner Stadt – weitgehend ausblendet.
Die geplante Grundsteuerbewertung führt zu
einer Art Pseudogerechtigkeit bei der Lastenver-
teilung, die mit einer Belastung nach tatsächli-
chen Wertverhältnissen kaum etwas zu tun
hat. Überzeugender wäre es, als Bemessungs-
grundlage eine direkte Kombination aus Boden-
richtwerten und Gebäudeflächen zu wählen, wie
es zuletzt der Wissenschaftliche Beirat beim Bun-
desfinanzministerium vorgeschlagen hat. Der
entscheidende Faktor für Wertunterschiede zwi-
schen Immobilien wäre berücksichtigt, und die
Steuer wäre deutlich einfacher.
Nicht überzeugend ist hingegen die oft geäu-
ßerte Kritik an der Öffnungsklausel für die Bun-
desländer. Der Vorwurf, es drohe ein uner-
wünschter Steuerwettbewerb, trägt schon des-
halb nicht, weil der Hebesatz der Grundsteuer
ohnehin dezentral, auf der Ebene der Gemein-
den festgelegt wird. Die Öffnungsklausel hat
aber einen großen Vorteil. Einige Bundesländer
werden sich für eine Flächensteuer oder die
Kombination aus Bodenrichtwerten und Gebäu-
deflächen als Bemessungsgrundlage entschei-
den. In der Praxis kann sich zeigen, welches Mo-
dell besser funktioniert. Alle Bundesländer ha-
ben die Chance, die Probleme der jetzt im Gesetz
verankerten Immobilienbewertung zu umgehen,
indem sie eine andere Bemessungsgrundlage
wählen. Die Möglichkeit, aus unterschiedlichen
Lösungen zu lernen, ist ein Vorteil des Föderalis-
mus, der viel zu selten genutzt wird.

Reform mit


Mängeln


Die Neuordnung der Grundsteuer ist unnötig


kompliziert, befindet Clemens Fuest.


Der Autor ist Präsident des Ifo-Instituts.


dpa [M]

Der Vorwurf,


es drohe


ein uner -


wünschter


Steuerwett-


bewerb,


trägt schon


deshalb nicht,


weil der


Hebesatz der


Grundsteuer


ohnehin


dezentral


festgelegt wird.



 
  



  
 

 


 


Gastkommentar
MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202

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