Handelsblatt - 21.10.2019

(Brent) #1

Tobias Adrian


„Die Deutschen müssen ihr Sparverhalten ändern“


T


obias Adrian ist einer der
wichtigsten Deutschen beim
Internationalen Währungs-
fonds (IWF). Als Leiter der Finanz-
marktabteilung wacht der darüber,
dass im Finanzsystem keine neuen
Krisen entstehen. Während der Ban-
kensektor inzwischen stabiler ist, gibt
es eine Reihe neuer Probleme. Allen
voran: die niedrige Inflation.

Herr Adrian, als die Finanzkrise 2009
ausbrach, waren Sie als Mitarbeiter
der US-Notenbank mitten im Gesche-
hen. Sehen Sie heute Parallelen?
Lassen Sie mich mit den Unterschie-
den starten. Das Finanzsystem ist heu-
te sicherer als vor zehn Jahren. Ban-
ken verfügen über mehr Kapital, mehr
Liquidität, das regulatorische Rah-
menwerk ist deutlich besser. Das heißt
aber nicht, dass es nicht mehr zu Fi-
nanzmarkt-Schocks kommen kann.
Die dauerhaften Niedrigzinsen ma-
chen Anlegern das Leben schwer. Des-
halb beobachten wir mit Sorge, dass
Unternehmen hochverschuldet sind,
dass Pensionsfonds, Vermögensver-
walter und zum Teil auch Versicherer
sehr risikoreiche Geschäfte eingehen.

Ist ein Unterschied nicht auch, dass
die Staatengemeinschaft anders als
2009 mit einem US-Präsidenten
Trump kaum eine geschlossene Ant-
wort auf eine Krise finden würde?
Ich glaube, in einer Krise raufen sich
die Länder zusammen. Wir haben das
im jetzigen Abschwung auch schon ge-
sehen. Wenn auch nicht koordiniert,
haben viele Länder das Richtige getan.
Als die Wirtschaft sich Ende 2018 ab-
schwächte, haben die Notenbanken in
sehr vielen Ländern parallel die Zügel
gelockert. Dies hat das globale Wachs-
tum um 0,5 Prozentpunkte erhöht.

Deutschland ist besonders stark von
der Abkühlung der Weltwirtschaft
betroffen. Kommt das deutsche Ex-
portmodell gerade an seine Grenzen?
Deutschland leidet unter zwei Proble-
men. Den globalen Handelsverspan-
nungen und einer Schwäche in der
Automobilindustrie. Beides ist in mei-
nen Augen temporär. Deshalb glaube
ich, Deutschland kann sein Geschäfts-
modell weiterverfolgen.

Die EZB wird in Deutschland für ihre
lockere Geldpolitik hart kritisiert, von
einer kalten Enteignung der Sparer
ist die Rede. Können Sie die Kritik
nachvollziehen?
Ja. Negative Zinsen haben Einfluss auf
Menschen. Psychologisch ist es
schwer zu verstehen, dass jemandem
auf dem eigenen Konto etwas wegge-
nommen wird. Oder dass jemand we-
niger rausbekommt, wenn er sein
Geld in eine sichere Anlage investiert
hat. Das empfinden viele Menschen
als nicht fair. Allerdings hängen diese
Probleme auch damit zusammen,
dass die Niedrigzinsen auf die Profita-
bilität der Banken drücken und der Fi-
nanzsektor mit einigen Problemen zu
kämpfen hat.

Gerade die deutschen Banken klagen,
sie hätten durch Niedrigzinsen in

Europa einen Wettbewerbsnachteil.
Ich glaube eher, der deutsche Banken-
sektor hat strukturelle Probleme, die
über kurz oder lang angegangen wer-
den müssen.

Wie sollte man sich auf eine anhal-
tende Niedrigzinsphase vorbereiten?
Der deutsche Sparer muss sein Spar-
verhalten ändern. Er muss neu darü-
ber nachdenken, wie er sein Geld fürs
Alter anlegen will. Er ist ja bekannt da-
für, sehr konservativ zu sein und sein

Geld etwa in Staatsanleihen zu inves-
tieren. Aber wenn die keine Renditen
mehr abwerfen, macht es von einem
Anlegerstandpunkt aus mehr Sinn, in
Unternehmensanleihen, Aktien oder
Immobilien zu investieren.

Ein großes Thema ist Facebooks
Digitalwährung Libra. Ist sie wirklich
so eine Gefahr, wie Scholz meint?
Es gibt Risiken, und es gibt Vorteile.
Die G7 und der IWF haben ein Papier
vorgelegt, zu dem das Bundesfinanz-

ministerium beigetragen hat. Die Vor-
teile solcher Digitalwährungen sind
niedrige Kosten sowie ein besserer und
einfacherer Zugang zum Zahlungsver-
kehr. Gefahren sind ein Kontrollverlust
der Geldpolitik, potenzielle Terroris-
musfinanzierung, Steuervermeidung
und Risiken für die Finanzstabilität.
Richtig reguliert und entwickelt gibt es
bei Digitalwährungen aber das Potenzi-
al, Vorteile aus ihren zu ziehen.

Die Fragen stellte Martin Greive.


Tobias Adrian Homepage


    


 






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Wirtschaft & Politik


MONTAG, 21. OKTOBER 2019, NR. 202


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