Der Spiegel - 26.10.2019

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Wildtiere

»Er darf sich nicht an


Menschen gewöhnen«


Der Biologe Andreas von
Lindeiner, 58, vom Natur-
schutzverband LBV in
Bayern über den ersten
Braunbären in Deutsch-
land seit 13 Jahren

SPIEGEL:In den deutschen Alpen ist ein
Bär vor eine Wildtierkamera getapst – der
erste Petz in Deutschland seit »Bruno« im
Jahr 2006. Sind wir wieder Bärenland?
Lindeiner:Offenbar, und wir begrüßen
das, weil es zeigt, dass auch große Beute-
greifer in unserer Kulturlandschaft über -
leben können. Übrigens hat der Bär Bay-
ern schon vor mindestens drei Wochen
erreicht; das wissen wir, weil seine Losung
gefunden wurde, im Balderschwanger Tal.
Nun wurde er im Landkreis Garmisch-
Partenkirchen gesichtet.
SPIEGEL:Was will der Bär in Bayern?
Lindeiner:Ein junges Bärenmännchen ist
in der Regel auf der Suche nach einer Part-
nerin. Die wird er in Deutschland nicht
finden. Deshalb ist es auch wahrschein-
lich, dass er sich mit Anbruch des Winters
wieder nach Süden zurückzieht.
SPIEGEL:Genug Nahrung findet er hier?
Lindeiner:Absolut. Bären ernähren sich
überwiegend vegetarisch. Wenn er Fleisch
frisst, dann vor allem Kleinsttiere oder
auch Wild, das durch Krankheit, Hunger
oder Kälte zu Tode gekommen ist.
SPIEGEL:Hirten, Imker und Jäger sind
dennoch besorgt.

Lindeiner:Und die Sorgen muss man
ernst nehmen. Aber anders als 2006 sind
wir jetzt gut vorbereitet. Im bayerischen
Bärenmanagementplan ist festgelegt,
wie mit Bären umzugehen ist, die sich
auffällig verhalten oder Schäden
anrichten.
SPIEGEL:Bruno wurde abgeschossen und
steht nun ausgestopft im Museum. Droht
dem Neuzugang ein ähnliches Schicksal?
Lindeiner:Hoffentlich nicht. Bislang
verhält er sich zum Glück vorbildlich und
lässt sich kaum blicken. Bruno dagegen
hat sich Gebäuden und Menschen genä-
hert. Deshalb war es zwar sehr bedauer-
lich, aber richtig, das Tier abzuschießen.
SPIEGEL:Wie lässt sich verhindern, dass
auch der neue Bär aufdringlich wird?
Lindeiner:Am wichtigsten ist es, das
Tier scheu zu halten. Der Bär darf sich
auf keinen Fall an Menschen gewöhnen.
Bruno hatte schon als Jungtier gelernt,
dass die Nähe von Menschen Futter ver-

spricht. Solche Bären können gefährlich
werden.
SPIEGEL: Was tue ich, wenn ich dem Tier
im Wald begegne?
Lindeiner:Abstand halten, nicht provo-
zieren, langsam zurückziehen. Wichtig ist
auch, auf sich aufmerksam zu machen,
damit der Bär nicht überrascht wird und
sich bedroht fühlt. Falls er doch angreift,
ist es ratsam, sich still auf den Boden zu
legen. Allerdings habe ich von einem sol-
chen Fall in den Alpen noch nie gehört.
SPIEGEL: Was, wenn der Bär Schafe tötet
oder Bienenstöcke zerstört?
Lindeiner:Schäfer und Imker können
ihre Tiere zum Beispiel durch mobile Elek-
trozäune schützen. Falls Nutztiere geris-
sen werden, gibt es Ausgleichszahlungen.
SPIEGEL: Könnte sich der Braunbär in
Bayern wieder dauerhaft ansiedeln?
Lindeiner:Lebensraum wäre auf jeden
Fall vorhanden. Allerdings müssten alle
mithelfen. Natürlich wird ein Bär immer
mal ein Nutztier reißen.
Damit lässt sich aber
umgehen – letztlich
ist das eine Frage des
Geldes.
SPIEGEL:Bleiben die
Bayern gelassen im
Umgang mit dem Petz?
Lindeiner:Wir wären
froh, wenn es diesmal
gelänge, sachlich zu
diskutieren, das Tier in
Ruhe zu beobachten
und dann hoffentlich
festzustellen: Holla, mit
so einem Bären kann
man ja umgehen! PHB

Ein nahezu magisches Gerät, dieser Quantencomputer – die
immense Rechenkraft, die er verheißt, beruht auf den spukhaften
Gesetzen der Quantenwelt. Sie zu nutzen ist ein alter Traum der
Forschung. Nun scheint er zügig wahr zu werden: Ein Quanten-
computer von Google löste binnen 200 Sekunden eine Auf gabe,
für die der schnellste Supercomputer herkömmlicher Bauweise
10 000 Jahre gebraucht hätte. Das berichten Forscher des Kon-
zerns in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins
»Nature«. Damit sei, so sagen sie, die lang erstrebte »Quanten-
überlegenheit« errungen: Erstmals habe die neue Technik die
alte deklassiert.
Der Konkurrent IBM freilich steht schon bereit, den Triumph
zu vergiften: 10 000 Jahre, das sei ein wenig übertrieben. In
einem eigenen Artikel behaupten IBM-Forscher, sie hätten die
gleiche Aufgabe mit einem konventionellen Rechner in zweiein-
halb Tagen schaffen können. Mit etwas Tüftelei bekomme man


das gewiss auch schneller hin. Wenn das stimmt, kann das rech-
nende Alteisen doch noch ganz gut mithalten.
Die Arbeit am Quantencomputer kam in den vergangenen
Jahren erstaunlich gut voran – ungeachtet der bangen Frage,
wofür die fabelhafte Maschine eines Tages gut sein soll. Sie eignet
sich nur für sehr spezielle Aufgaben. Manche Experten finden
deshalb das Wettrennen um die Quantenüberlegenheit unsinnig;
der neue Wunderrechner mache die herkömmliche Technik ja
keineswegs obsolet. Das heißt: falls er überhaupt in absehbarer
Zeit zum Einsatz kommt. Er bezieht seine Superkräfte aus den
Launen und Paradoxien der Quantenmechanik – aber eben das
macht ihn auch teuflisch schwer zu bändigen. Da steht die
Forschung, bei allen Fortschritten, noch ganz am Anfang. Fast
scheint es, als unterliege auch der Quantencomputer selbst
einem Paradox: Je schneller wir uns dem Zauberwerk nähern,
desto weiter weicht es zurück.Manfred Dworschak

Kommentar

Fabelhafte Maschine


Warum der Quantencomputer wohl noch lange Zeit kurz vor dem Durchbruch stehen wird

DPA
Braunbär bei Garmisch-Partenkirchen (Fotofallenaufnahme)
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