Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

W


as, wenn der Klügste im Raum
nicht ein Mitarbeiter ist, sondern
der Raum selbst?
Noch kündet von dieser neuen Epoche
nur ein Glaskubus, der in den Himmel
über Berlin ragt, direkt am Hauptbahnhof,
nahe Spree und Regierungsviertel. Es ist
ein verspiegelter elfgeschossiger Bau, wie
aus einem Science-Fiction-Film.
Der Zauberwürfel mit der Kantenlänge
von 42,5 Metern nennt sich »Cube Ber-
lin«. Seine Fertigstellung ist für Ende des
Jahres geplant. Das Haus soll, so verspre-
chen es seine Erbauer, mehr sein als eine
schicke Hauptstadtimmobilie: ein »Smart
Building«, das von den Menschen, die
in ihm leben und arbeiten, lernt. Hinter
der Fassade bündelt ein intelligentes
System verschiedene Technologien; mehr
als 7500 Sensoren überwachen das Ge-
bäude.
Matthias Schmidt, beim Bauherrn CA
Immo für die Projektentwicklung in
Deutschland zuständig, führt über die Bau-
stelle. Er trägt zum Anzug einen Bauhelm
und muss immer wieder über Kabelsträn-
ge und Bauwerkzeuge balancieren. Eigent-
lich sollte das Gebäude schon Mitte des
Jahres fertig sein, doch die komplexe Form
erschwerte die Arbeiten: Es galt, eine Fas-
sade aus 1816 Glasscheiben in 774 verschie-
denen Formaten korrekt anzubringen. Zu-
dem stellte sich heraus, dass Überhänge
es unmöglich machten, die Glashülle zu
reinigen; nun gibt es für Fensterputzer spe-
zielle Stege.
Das Haus, so die Idee, soll seine Mieter
umschmeicheln, ihnen das Leben maximal
erleichtern. Das fängt schon am Eingang
an: Sensoren öffnen die Türen, wenn sie
die Zugangsberechtigung des Ankommen-
den in seinem Handy erkennen.
Das gesamte Gebäude erschließt sich
über die Smartphones der Nutzer:
Schreib tisch oder Konferenzraum lässt
sich von unterwegs buchen, ein Parkplatz
in der Tiefgarage finden, die Temperatur
hochfahren oder das Licht dimmen.
Eine Navi-App geleitet im Haus zum
Arbeitsplatz. Plötzlich fährt eine Jalousie
herunter: Schmidt hat sie per Handy be-
dient.
Derlei Schnickschnack gibt es schon lan-
ge, doch beim Zusammenspiel hakt es oft.
Wie bringt man Tausende von Sensoren
und zig Subsysteme dazu, wie ein Orches-
ter zu harmonieren?


Einfach war das wohl nicht. »Einige An-
bieter wollten uns ihre Schnittstellen nicht
offenlegen«, erzählt Schmidt, dabei brau-
che man zur Vernetzung den Zugangscode
jeder beteiligten Komponente. Ein Team
auf dem Campus der RWTH Aachen si-
mulierte die Funktionen des Gebäudes,
fast wie in einem digitalen Puppenhaus,
aber gelegentlich hakte es dann doch noch.
Inzwischen seien die Probleme aber ge-
löst, sagt Schmidt, nun stehen im Keller
die Server, mit dem Internet vernetzt über
gleich zwei konkurrierende Anbieter, si-
cher ist sicher. Diese Schaltzentrale nennt
sich etwas theatralisch »Brain«.
Dort sollen alle Informationen zusam-
menlaufen, die für den reibungslosen
Betrieb auf rund 17 000 Quadratmetern
vermietbarer Nutzfläche notwendig sind.
So auch das sogenannte Hotdesking: Wel-
cher Mitarbeiter hat wann genau Zugang
zu einem der flexibel buchbaren Schreibti-
sche? Wo braucht es mehr Frischluft, damit
die Konferenzteilnehmer nicht müde wer-
den? Wo droht immer wieder Gedränge,
erkennbar an »Heat Maps«, die zeigen, wo
sich gleichzeitig viele Nutzer aufhalten?
Auch die Fahrstühle ahnen schon bei An-
näherung der Nutzer, welche Etage ange-
fahren werden soll. Dann kno-
belt das Haushirn blitzschnell
aus, wie es die effizienteste Fahr-
tenabfolge choreografiert.
Die Effizienzgewinne könn-
ten erheblich sein, schwärmt
Schmidt. Idealerweise stimmt
sein Haus die Arbeitsplatzverga-
be perfekt auf den Bedarf ab, mi-
nimiert den Leerstand, wenn
Mitarbeiter unterwegs sind. Es
nutzt den Platz mit mathemati-
scher Präzision.
So könnte eine Firma mit
100 Mitarbeitern in Zukunft
mit vielleicht 70 Plätzen aus-
kommen, weil selten alle gleich-
zeitig im Büro sind. Und bei
Sommerhitze würde das Haus-
hirn bevorzugt Arbeitsplätze an
der schattigen Nordseite vergeben. Die
Nutzer des Schlauhauses trainieren dabei
mit jedem Arbeitstag, mit jedem Gang zur
Kaffeemaschine, mit jedem Atemzug
die Algorithmen des künstlichen neuro-
nalen Netzes. Nach und nach soll das
»Brain« jeden Wunsch quasi automatisch
erfüllen.

Aber was, wenn der Quader außer Kon-
trolle gerät, weil Hacker oder eine künst-
liche Intelligenz mit sadistischem Eifer die
Bewohner foppen, Lichter löschen, Türen
verriegeln, Aufzüge stoppen? Um derlei
zu verhindern, sagt Schmidt, lasse man
das Haus von sogenannten Penetrations-
testern überprüfen, professionellen Ha-
ckern, die versuchen, Sicherheitslücken
aufzuspüren und bis hinter die elektroni-
sche Firewall vorzudringen.
Wer zweifelt, ob Mitarbeiter wirklich
profitieren von dem schlauen Haus, den
führt Schmidt in den obersten Stock. Von
dort aus schraubt sich eine elegante Wen-
deltreppe durch drei Etagen hinunter. Da-
rüber lockt die Dachterrasse, mit weitem
Blick über die Stadt, die Spree, und von
oben herab aufs Kanzleramt.
Die Dachterrasse sei inspiriert von einem
»fliegenden Teppich«, schwärmen die Ar-
chitekten, das Büro 3XN aus Kopenhagen.
Ursprünglich sollte ihr Gebäude, damals
noch »Kubus« genannt, die Zentrale der
Deutschen Bahn beherbergen, doch das
wurde 2008 verworfen.
Ist dieses Gebäude nun also die Zu-
kunft?
Klar ist: Die Flexibilisierung der Ar-
beitswelt ist ein lang anhaltender Prozess,
spätestens seit Großraumbüros und Cubi-
cles vor mehr als 70 Jahren die traditio-
nellen Kontorstuben abzulösen begannen.
Diese Tendenz wird durch die Digitali -
sierung weiter verschärft. Start-ups ziehen
in Gebäude ein und wieder aus, Konzerne
schlucken andere oder werden geschluckt,
viele Firmen scheuen es, ihr Kapital in
Immobilien zu binden. »Smart Houses
können dazu beitragen, die Ri-
siken zu minimieren«, sagt Eri-
ka Meins, Leiterin einer For-
schungsgruppe zum Thema an
der ETH Zürich.
Ausgerechnet die Immobi-
lienbranche, einst Inbegriff der
analogen Welt aus Stein und
Mörtel, versuche heute, sich
durch eine Vielzahl an Service-
angeboten zu einer umfassen-
den Plattform weiterzuent -
wickeln, sagt Julian Kawohl,
Professor für Strategisches
Management an der Hochschu-
le für Technik und Wirtschaft in
Berlin: »Space as a Service«
nennt er das. Große US-ameri-
kanische Büroflächenanbieter
vermittelten nicht nur Schreib-
tische, sondern auch Angebote im Bereich
Wohnen, Freizeit, Essen oder Sport. Das
Büro mutiert zur fürsorglichen Verwöhn-
maschine.
Doch was, wenn die Hausmeister-KI
ihre Nutzer ausspioniert? »Das digitale
Büro oder Gebäude kann schnell zu einer
Überwachungsanstalt werden, in der

108


Technik

Häuschen Schlau


NetzweltDer »Cube« in Berlin soll ein durchdigitalisiertes Gebäude
werden, das mithilfe künstlicher Intelligenz die Wünsche seiner
Nutzer erkennt. Kritiker halten den Bau für futuristischen Quatsch.

Smart
Buildings
Weltweiter Umsatz
mit intelligenter
Gebäudetechnik,
in Milliarden Dollar

Prognose
2024

Schätzung
2019

60,7

Quelle: 105,8
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and
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