Der Spiegel - 26.10.2019

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die Beschäftigten beschattet, ausgelesen
und bewertet werden«, warnt Oliver
Suchy, Büroexperte beim Deutschen
Gewerkschaftsbund: »Mit den Möglich-
keiten künstlicher Intelligenz können
Performance und Verhalten von Beschäf-
tigten sogar voraus gesagt werden. Und
das kann im Zweifel mit Entlassungen
enden.«
Matthias Schmidt kennt diese Befürch-
tungen. »Jeder Nutzer entscheidet selbst,
ob er seine Daten dem System zur Verfü-
gung stellen möchte oder nicht«, sagt er:
»Durch einen Klick in der App kann der
Nutzer seine Daten anonymisieren und
sich unsichtbar machen.« Der Cube sei
voll konform mit der europäischen Daten-
schutzgrundverordnung.
Bisweilen kommt es sogar zu einer Art
Duell zwischen einem smarten Haus und
seinen Nutzern. Das musste der Architekt
Matthias Sauerbruch leidvoll erfahren.
Sensorgesteuert und ziemlich klug war das
Bürohaus, das sein Team 2005 für das Um-
weltbundesamt in Dessau gebaut hatte.
Doch die Realität widersetzte sich hart -
näckig seiner Energiesparvision, der Ver-
brauch lag anfangs fast doppelt so hoch
wie erhofft.
Der Bau verhielt sich geradezu trotzig.
Wenn jemand kurz lüftete, fuhr er gleich
die Heizung herunter; bald stellten generv-
te Mitarbeiter Elektroheizlüfter auf. Als


Sauerbruch später ein anderes Verwal-
tungsgebäude errichtete, diesmal in Ham-
burg, setzte er auf Lowtech und Eigen -
verantwortung der Nutzer.
Eike Roswag-Klinge, einem preisge-
krönten Architekten von der TU Berlin,
dient der Cube sogar »als Negativbeispiel
für meine Studenten, wie man heute nicht
mehr bauen sollte« – allerdings nicht we-
gen der intelligenten Steuerung. Er stört
sich an der Bauweise: Komplett verglaste
Betongebäude, schimpft er, seien »Relikte
der fossilen Konsumgesellschaft, in der
Ressourcenverschwendung keine Rolle
spielte«. Derartige Bauten eigneten sich
nicht, wenn die Temperaturen durch den
Klimawandel steigen: »Wenn ich so ein
Glashaus baue, heizt sich das im Sommer
stark auf und muss aufwendig gekühlt
werden.«
Nein, das Haus bleibe durch eine Be-
schichtung namens Diamond 66 halbwegs
kühl, versichern die dänischen Architek-
ten, und werde zudem durch vorbeistrei-
chende Quellluft und die Umwandlung
von Sonnenstrahlung energiesparend tem-
periert (»Solar Cooling«).
Roswag-Klinge sieht in derlei Methoden
eher ein technisches Trostpflaster. Fast so,
als würde man für eine ökologische Mo-
dernisierung eine Dampflok mit Solar -
zellen bekleben. Und Beton sei in der Her-
stellung ein wahrer Energiefresser.

Nicht alles, was futuristisch wirkt, ist
auch zukunftsfähig.
Roswag-Klinge selbst rät, wenn es sinn-
voll ist, durchaus zu Stahl und Beton.
Aber wo immer es geht, setzt er auf nach-
haltige Baustoffe wie Lehm oder Holz,
die von sich aus Temperatur und Luft-
feuchtigkeit konstant halten – ohne die
aufwendige Steuerungstechnik der »Ro-
boterhäuser«, wie er sie nennt.
Für die Schöpfer des Cube ist das elfstö-
ckige Glitzerlabor nur der Auftakt. Sie wol-
len die Erkenntnisse des »Brain« verwen-
den, um auch andere Immobilien digital
aufzurüsten. In Frankfurt am Main bauen
sie gerade ein Hochhaus, One genannt, das
wesentliche Digitalisierungsfunktionen
aus dem Cube erhalten wird.
Eigentlich ist diese Strategie ja banal
und gut erprobt: die Trennung von Hard-
und Software. Wenn sie aufgeht, könn-
ten sogar Altbauten in eine Version des
Cube verwandelt werden – mit intelli-
genten Systemen hinter Fassaden aus
Ziegeln, Lehm oder Holz.
Hilmar Schmundt

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 109

Sensoren in der
Decke stellen fest,
ob ein Raum belegt ist.

Die Steuerungssoftware analysiert
mit künstlicher Intelligenz das
Verhalten der Nutzer.

elektronische,
berührungslose
Zugangskontrolle

Warenlieferungen
werden in »Smart
Lockers« abgelegt.

Essen-
bestellung
über die
Haus-App

Raumbuchung
über eine
Haus-App

Inhouse-Navigation, die
ohne GPS über lokale
Bluetooth-Sender funktioniert

Sonnenschutz, Temperatur und
Licht lassen sich zentral
steuern oder über eine App.

Intelligentes
Gebäude
Ausgewählte Technologien
in »Smart Buildings«

Intelligentes
Gebäude
Ausgewählte Technologien
in »Smart Buildings«

CA IMMO / 3XN

Video
Wie schlau ist
der »Cube«?
spiegel.de/sp442019haus
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