Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

A


ls der Kellner den Kaffee bringt,
liegt das Thesenpapier auf dem
Tisch. Es ist der 30. April 2017,
17 Uhr, und ein langes Mittag -
essen in einem Restaurant im New Yorker
Stadtteil Soho neigt sich dem Ende zu. An
der einen Seite des Tisches sitzen Robyn
Rihanna Fenty, einer der größten Popstars
der Welt, und ihr Manager. Auf der ande-
ren Seite Jean Baptiste Voisin, Chefstratege
des französischen Luxusmarkenkonzerns
Moët Hennessy Louis Vuitton, sowie eine
Projektleiterin. Die Vorbereitungen für die
Kosmetiklinie, die Rihanna und LVMH
zusammen auf den Markt bringen, laufen
schon. Genau wie die Planungen für ihre
Unterwäschefirma. Aber Rihanna möchte
noch mehr. Sie kennt die Kinder von Kon-
zernchef Bernard Arnault und erzählte
ihnen von ihrer Idee, zusätzlich eine eige-
ne Modelinie zu gründen. Der wiede rum
schickte Voisin nach New York. »Was Fen-
ty heute ist, entspricht zu 95 Prozent dem,
was wir damals besprochen und aufge-
schrieben haben«, sagt Voisin.
Es ist ein großes Experiment, das an die-
sem Tag seinen Anfang nimmt. Rihanna
und LVMH beschließen, gemeinsam ein
Modehaus zu gründen. Im Mai dieses Jah-
res wurde es eröffnet. Es heißt Fenty wie
die Sängerin, mit einem spiegelverkehrten
N im Logo, und es könnte die Modewelt
verändern. Ein Popstar wird Chefin und
Kreativdirektorin eines Pariser »Maison«.
Das gab es noch nie.
Die Maisons de Couture werden selten
gegründet. Die meisten sind historisch
gewachsen, genährt von den ästhetischen
Visionen von Ausnahmetalenten wie Coco
Chanel, Yves Saint Laurent oder Christian
Dior. Heute sind es globale Unternehmen.
Aber Geschichte kann auch eine Last sein.
Eine Neugründung wie Fenty bietet die
Möglichkeit, eine Firmenerzählung von
Anfang an selbst zu bestimmen.
Eine Entwurfsskizze von Rihanna ist
nicht bekannt. Sie muss auch nicht nähen
können. Für ihren musikalischen Erfolg
ist sie ja ebenfalls nicht allein verantwort-
lich. Was Rihanna hat, ist Stil, Haltung


und Glaub würdigkeit – und 76 Millionen
Follower auf Instagram.
Digitalisierung und Globalisierung ha-
ben die Modeindustrie in den vergange nen
Jahren auf den Kopf gestellt. Das Geschäfts-
modell und das Selbstverständnis der Bran-
che sind ungewiss geworden. Die Umsätze
stimmen zwar noch. Doch die Macht des
Einzelhandels schwindet. Immer mehr
Saisonkollektionen in immer kürzerer Zeit
führen dazu, dass Wintermäntel im Hoch-
sommer ausgeliefert werden und Strand-
kleider im Februar. Weil ständig neue Ware
kommt, muss die alte schneller in den Sale.
Dann ist da noch die verheerende Öko -
bilanz bei der Produktion von Kleidung.
Und damit ist noch nichts über die Hilf-
losigkeit gegenüber einer nachwachsen-
den Generation von Konsumenten gesagt,
die sich nicht mehr so leicht von einfachen
Verkaufsversprechen ködern lässt. Die In-
fluencer, die vor einigen Jahren wie Bot-
schafter aus der Zukunft auf den großen
Schauen auftauchten und den klassischen
Modejournalisten die Meinungs hoheit
streitig machten, waren nur der Anfang.
Trends zu setzen ist schwieriger als jemals
zuvor. Mit Karl Lagerfeld schließlich starb
im Frühjahr der letzte große Designer, der
der Modewelt mit seiner Persönlichkeit
und seinem Können einen Mittelpunkt ge-
geben hatte. Die wohlhabenden westeuro -
päischen Frauen, die jahrzehntelang das
Ideal der Mode bildeten, sind mit dem

Aufstieg der asiatischen Mittelschichten
und den neuen Reichen aus Osteuropa
nur noch eine Zielgruppe neben anderen.
Kurz: Das Durcheinander ist groß.
So ähnlich war es auch in der Musik -
industrie, als die CD-Verkäufe vor 20 Jah-
ren wegbrachen. Viele Stars begannen
damals, über andere Einnahmequellen
nachzudenken. Der Rapper Jay-Z etwa
gründete Rocawear, eine Streetwearfirma,
die mittlerweile 700 Millionen Dollar jähr-
lich umsetzt. Das Ex-Spice-Girl Victoria
Beckham gewann 2011 die British Fashion
Awards für die beste Designermarke. Ka-
nye West ist mit seiner Streetwearfirma
Yeezy und mit seinen Sneakers sogar noch
erfolgreicher denn als Rapper.
Der Ehrgeiz hinter Rihannas neuem
Label Fenty ist trotzdem ein anderer. Nicht
nur, weil LVMH der mächtigste Luxus -
güterkonzern der Welt ist – und davon aus-
zugehen ist, dass die Zusammenarbeit mit
Rihanna langfristig angelegt ist.
Rihanna bringt jetzt noch etwas anderes
mit: Diversity und Inklusion.
Die beiden Begriffe umreißen zentrale
Werte der Millennials und vor allem der
ihnen folgenden Generation Z: dass alle
Menschen besonders sind. Dass alle gut
sind, so wie sie sind. Dass alle schön sind.
Dass jede und jeder ein Recht darauf hat,
so sein zu dürfen, wie sie oder er eben ist.
Kein Popstar verkörpert das mit der
gleichen Lässigkeit und Selbstverständ-
lichkeit wie Rihanna. Sie ist Sexsymbol
und große Schwester, das Mädchen, das
auf böse Jungs steht, und eine Feministin.
Das ist der Kern aller Fenty-Unterneh-
mungen. Ob es das Modehaus ist, die Un-
terwäschelinie Savage X Fenty oder die
Kosmetik. Und wer alle umarmt und da-
bei jeder und jedem das Gefühl gibt, be-
sonders zu sein, kann eigentlich gar nicht
verlieren. Im Pop nicht. Aber auch dem
Erfolg einer Modemarke hat diese Cool-
ness noch nie geschadet.

Das Geschäftsmodell von Fentyist ein-
fach. Die Kollektionen sind überschau-
bar, um die 25 Teile sowie Accessoires. Sie

114 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Kultur

Die Macht von Stil, Sex


und 76 Millionen Followern


ZeitgeistDer milliardenschwere französische Luxusgüterkonzern LVMH
und der amerikanische Superstar Rihanna haben zusammen ein neues Modehaus

gegründet, Fenty. Es könnte die Fashion-Industrie verändern.


Rihannas Imperium
Kosmetik- und Modeunternehmen Fenty

Fenty Beauty
Kosmetik
seit 2017

Savage X Fenty
Unterwäsche
Kooperation seit 2018 mit
TechStyle Fashion Group,
USA

Fenty
Mode
seit 2019

Umsatz

500
Mio. Euro
2018

Kooperation mit dem LVMH-Konzern, Frankreich
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