Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

kommen in kurzen Abständen, in soge-
nannten Drops, auf den Markt und wer-
den über den Webshop digital angeboten.
Verkauft wird, bis alles verkauft ist. Was
weg ist, ist weg. Einen Sale gibt es nicht.
Viele Streetwear- und Sneakermarken ar-
beiten mit ähnlichen Verknappungsstra-
tegien – nur dass es sich bei den Artikeln
von Fenty um in Europa gefertigte Luxus-
ware handelt. Im gehobenen Preisseg-
ment mit den entsprechenden Qualitäts-
merkmalen, die Stoffe sind gut, die Verar-
beitung ist hochwertig.
Parallel zum Drop eröffnet dann irgend-
wo auf der Welt ein Pop-up-Store und prä-
sentiert die neue Kollektion – was wiede -
rum auf Social-Media-Kanälen gezeigt
wird. Etwa im September am Rande der
Pariser Fashion Week. Im neuen Kauf-
haus Galeries Lafayette an den Champs-
Élysées wird die »Minikollektion« mit
dem Titel »Take Up Space« vorgeführt.
Die Kleidungsstücke sind vor allem In-
terpretationen des konservativen Nadel-
streifen-Looks: Wattierungen machen ihn
überlebensgroß, dazu trägt die Fenty-Frau
Stilettos und riesige, architektonisch an-
mutende Sonnenbrillen in bunten Farben.
Wer will, kann das Ganze als Kommentar
lesen, mit dem Frauen im Berufsleben
mehr Sichtbarkeit einfordern. Vielleicht
sind es aber auch Achtzigerjahre-Power-
Dressing-Zitate. Die Hemden und Jacken
werden durch breite Schultern und schma-
le Taillen gleichzeitig feminisiert und auf-
gerüstet. Dann gibt es noch knappe, figur-
betonte Kleider und Oberteile, die kaum
weniger machtbewusst wirken.
Der Star persönlich lässt sich an dem
Abend der Eröffnung nicht blicken.
Bemerkenswert sind allerdings die Men-
schen, die kommen. Leute im Look ir-
gendwo zwischen der Marvel-Heldin
Jessica Jones und dem Musiker Pharrell
Williams schieben sich an den auf der
Treppe in stallierten Mannequins vorbei.
Junge Afrofranzösinnen warten an den
Kabinen neben älteren Karrierefrauen,
Männer probieren Frauenjacken an, alle
wippen zu den Dance hall- und Hip-Hop-
Klängen des DJs.
LVMH ist eigentlich nicht mit Neugrün-
dungen groß geworden, sondern mit der
Modernisierung von Traditionsmarken.
Das waren oft Unternehmen mit einer star-
ken eigenen Identität wie Louis Vuitton,
Givenchy oder Dior. Louis Vuitton, einst
eine kleine Taschenmanufaktur, ist heute
eine globale Marke, die neben Lederwaren
auch Prêt-à-porter und sogar Schmuck im
Portfolio hat. Sie gilt als die wertvollste
Luxusmarke der Welt.
Givenchy war eines der einflussreichs-
ten Maisons der Nachkriegszeit, verlor
dann an Bedeutung und wurde Ende der
Neunzigerjahre von Alexander McQueen
übernommen und auf den Kopf gestellt.


Ähnlich die Geschichte von Dior, das zeit-
gleich von John Galliano revitalisiert wur-
de. LVMH ist also durchaus schon Wag-
nisse eingegangen.
»Woher Rihanna kommt, was sie be-
wegt und wie sie ihr Business führen will:
All das ist für uns ungewöhnlich«, sagt
Jean Baptiste Voisin. Der 52-jährige Chef-
stratege von LVMH ist Absolvent der
französischen Eliteschule École Polytech-
nique. Er hat für den Lebensmittelkon-
zern Danone gearbeitet und für die Un-
ternehmensberatung McKinsey. Auf die
Frage, wie er Rihanna persönlich ein-
schätzt, nimmt seine Stimme einen fast
beschwörenden Tonfall an: »Sie ist eine
der intelligentesten Personen, denen ich
je begegnet bin. Sie ist supersmart! Zu-
sätzlich hat sie eine hohe emotionale In-
telligenz und eine Entschlossenheit, die
nur wenige Personen auf diesem Planeten
besitzen. Sie kann gut zuhören und liebt
es, mit Menschen zusammenzuarbeiten.«
Wie kann jemand, der kein Modeschöp-
fer ist, ein Modehaus leiten? Sie sei eng in
den Entwurfsprozess eingebunden, sagt
Voisin.
30 Millionen Euro hat der Konzern in
Fenty gesteckt, ein überschaubarer Betrag
bei einem LVMH-Jahresumsatz von mehr
als 46,8 Milliarden Euro im vergangenen
Jahr. Rihanna ist CEO und Artistic Di-
rector des neuen Unter nehmens.

Robyn Rihanna Fentykommt aus Barba-
dos. Sie wuchs in schwierigen Verhältnis-
sen auf, ihre Mutter hielt die Familie zu-
sammen, der Vater war gewalttätig, als
Kind erwischte Rihanna ihn wohl auch
beim Crack-Rauchen. Mit 15 Jahren wur-
de sie von einem US-amerikanischen
Musikproduzenten bei einem Vorsingen
entdeckt. »In dem Moment, in dem sie
den Raum betrat, war es, als würden die
anderen Mädchen nicht existieren«, sagte
Evan Rogers über seine erste Begegnung
mit dem Teenager. Zwei Jahre später wur-
de sie von der ameri kanischen Plattenfir-
ma Def Jam unter Vertrag genommen.

Acht Alben hat Rihanna seitdem heraus-
gebracht, 14 Nummer-eins-Singles allein
in den USA, und mehr als 250 Millionen
Tonträger mit Hits wie »Umbrella«, »Dia-
monds« oder »Work« verkauft. Laut
Forbes ist sie derzeit der reichste weibliche
Popstar der Welt mit einem Vermögen von
600 Millionen Dollar. Dabei ist sie eine ei-
genartige Figur. Sie ist nicht im klassischen
Sinn schön. Sie hat nach den Maßstäben
der schwarzen Musik auch keine bemer-
kenswert virtuose Stimme, und sie kann
auch nicht ungewöhnlich gut tanzen. Sie
ist cool, hip und smart.
Rihanna gibt nur selten Interviews. Sie
kommuniziert fast ausschließlich durch
Songs und über Bilder. Gerade ist ihre
Autobiografie erschienen, ein opulenter
Bildband, 504 Seiten dick, 1050 Fotos,
kein Text. In gewisser Art ist sie der Gegen -
entwurf zu Beyoncé Knowles, dem ande-
ren großen Star der schwarzen Musik. Als
Knowles eingeladen wurde, in der Halb-
zeit des Super Bowl 2016 aufzutreten, der
größten Show des amerikanischen Enter-
tainmentjahres, stellte sie mit ihrem Spek-
takel das Spiel in den Schatten. Rihanna
bekam das Angebot für den Super-Bowl-
Auftritt 2019. Sie lehnte ab: »Wer würde
davon profitieren? Nicht meine Leute«,
sagte sie der »Vogue«.
Erste Schritte in der Modebranche
machte sie bei Armani Jeans und mit ih-
ren Kollektionen für die britische Beklei-
dungskette River Island. Unauffällige
Stücke, die sich aber gut verkauften. An-
schließend arbeitete sie mit dem deut-
schen Konzern Puma für eine Sportswear-
linie zusammen, die aber mittlerweile
eingestellt ist. Danach kam die Kosmetik -
firma Fenty Beauty, die erste Kooperation
mit LVMH. Daraufhin Savage X Fenty,
eine Unterwäschemarke – und nun Fen-
ty, das Modehaus.
Der spektakulärste Erfolg bislang ist
Fenty Beauty. 500 Millionen Euro soll die
Firma im vergangenen Jahr umgesetzt ha-
ben – was auch mit der Idee zu tun haben
dürfte, dass Fenty Beauty für die verschie-
denen Hauttöne 50 passende Make-up-
Schattierungen anbietet. Nun spricht man
in der Industrie vom »Fenty-Effekt«: An-
dere Marken sind nachgezogen und ha-
ben ebenfalls die Pigmente aus der Schub-
lade geholt und ihr Repertoire erweitert.
Dass Rihanna einen Werbefilm für ihr
Unterwäschelabel als Dokumentation bei
Amazon Prime verkauft, sagt eine Menge
über ihren Geschäftssinn. »Savage X Fenty
Show« ist ein lustig überdrehter Tanzfilm
der Superlative, irgendwo zwischen Bou-
doir, dem Crazy Horse Cabaret und Sta -
dionpop. »Fashion Musical« nennt Rihan-
na das Werk.
Doch die Art, wie hier unbekannte
Tänzerinnen neben welt berühmten Stars
auftreten – das umreißt ziemlich treffend

116 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Kultur

MANDOGA MEDIA / ALL4PRICES
Sängerin Rihanna 2012
»Die anderen Mädchen existierten nicht«
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