Der Spiegel - 26.10.2019

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B


evor es überhaupt losgeht mit der
Biografie, schmeißt der Biograf
Rüdi ger Safranski im Vorwort erst
einmal die Ungläubigen raus: »Eine An-
näherung an Hölderlin wird wohl kaum
gelingen, wenn man unempfindlich bleibt
für ›göttliches Feuer‹, wie immer man sich
seine Bedeutung zurechtlegen mag.«
Ja, aber was ist mit den für göttliche
Feuer Unempfindlichen, die Hölderlins
Texte trotzdem lieben und mehr über ihn
erfahren wollen? Hölderlins Texte sind
uns Heutigen in der Sprache, im Gestus
fern. Da wäre doch die Aufgabe, sie den
Unerleuchteten näherzubringen, beson-
ders groß und wichtig.
Safranski ist es oft gelun-
gen, die großen Gestalten der
deutschen Kulturgeschichte
lebendig werden zu lassen. Er
hat das Leben von E. T. A.
Hoffmann beschrieben, das
von Arthur Schopenhauer,
Friedrich von Schiller, Martin
Heidegger. Er ist ein Mann,
der in der Vergangenheit lebt
und sie lebendig machen
kann. Und der in der Gegen-
wart, wenn er gerade kein
Feuer empfindet, »die Poli-
tik« dafür anklagt, Deutsch -
land mit Flüchtlingen »zu flu-
ten«. Aus seiner Heimat, dem
idyl lischen Rentnerparadies
Badenweiler, verbat er sich im
Gespräch mit demSPIEGEL
außerdem »das inflationäre
Geschwätz von Fremden-
feindlichkeit und Islamopho-
bie« (Ausgabe 12/2018).
Vielleicht musste es also
scheitern, wenn dieser deut-
sche Sorgengreis sich nun des
Dichters Hölderlin annimmt.
Was wiederum mit Politik
wenig, dafür viel mit Sprache
zu tun hat. Die Gedichte des
am 20. März 1770 in Lauffen
am Neckar geborenen Dich-
ters sind uns heute bei aller
Schönheit so rätselhaft, dass es


Rüdiger Safranski: »Hölderlin. Komm!
ins Offene, Freund!«. Hanser; 336 Sei-
ten; 28 Euro.


einer sanften, klaren Annäherung bedurft
hätte, um ihn in unsere Zeit zu retten.
Nicht so viel Nebel, nicht dieser heilige
Ernst, den Safranski bemüht, nicht so viel
Göttlichkeit.
Hölderlin selbst hat in einem Brief an
seine Mutter die beste Regieanweisung zur
Lektüre seiner Texte mitgegeben. Er hatte
ihr sein Gedicht »An die Parzen« geschickt.
Seine Mutter, die stets wollte, dass der
Sohn Pfarrer wird, hasste seine Dichterei.
Doch Hölderlin wollte, dass sie dies trotz-
dem las, und erklärte: »Überhaupt, liebste
Mutter! muß ich Sie bitten, nicht alles für
strengen Ernst zu nehmen, was Sie von mir
lesen.« »An die Parzen« – das ist seine poe-
tische Bitte an die Schicksalsgöttinnen, ihm
das eine perfekte Gedicht zu ermöglichen,
danach sei er, der Dichter, bereit für den
Tod: »Willkommen dann, o Stille der Schat-
tenwelt! / Zufrieden bin ich, wenn auch
mein Saitenspiel / Mich nicht hinab geleitet;
einmal / Lebt’ ich, wie Götter, und mehr
bedarf’s nicht.«
Der Brief an die Mutter könnte ja auch
so gemeint sein: Achte wie die Götter mehr
auf das Leben als auf die Stille der Schat-
tenwelt. Die Wahrheit ist vor allem dort

versteckt: in der Helligkeit des dichteri-
schen Glücks. Der Gott ist er, Hölderlin,
wenn ihm das Schreiben gelingt.
Für solche Töne hat Safranski keinen
Sinn. Er schreibt alles ordentlich und par-
teiisch auf, was es zu Hölderlin zu wissen
gibt. Er befreit den Dichter des Textes »Der
Tod fürs Vaterland« auch von aller nationa-
listischen Heldenschuld, indem er zu Recht
darauf hinweist, dass Hölderlin hier ein idea-
les demokratisches Vaterland, das noch ent-
stehen müsse, im Sinn hatte. Dass er sich
die Marseillaise zum Vorbild nahm. Trotz-
dem bleiben die Zeilen: »Umsonst zu ster-
ben, lieb’ ich nicht, doch / Lieb’ ich, zu fallen
am Opferhügel.« Dass dieses Gedicht den
deutschen Wehrmachtssoldaten im Osten
ins Feld nachgeschickt wurde, sollte nieman-
den wundern. Um so etwas zu verhindern,
hätte Hölderlin die Sache mit der Demokra-
tie und der Freiheit und der französischen
Revolution einfach noch etwas deutlicher
hineindichten müssen. So bleibt es offen.
»Komm! ins Offene, Freund!« Mit diesem
schönsten Hölderlin-Zitat hat Safranski sei-
ne Biografie untertitelt. Ihm selbst fehlt diese
Offenheit beim Schreiben leider. Vor lauter
Göttern und Heiligkeit.
Ja, Hölderlin wollte ins Of-
fene, ins Neue. Gastfreundlich,
mit neuen Menschen redend,
statt sich in sich selbst zu ver-
senken. Es steht in dem groß -
artigen, den Geist öffnenden
Gedicht, aus dem Safranski sei-
ne Titelzeile lieh: »Wo den
Gästen das Haus baut der ver-
ständige Wirt; / Daß sie kosten
und schau’n das Schönste, die
Fülle des Landes, / Daß, wie
das Herz es wünscht, offen,
dem Geiste gemäß / Mahl und
Tanz und Gesang und Stutt-
garts Freude gekrönt sei, / Des-
halb wollen wir heut wün-
schend den Hügel hinauf. /
Mög ein Besseres noch das
menschenfreundliche Mailicht
/ Drüber sprechen, von selbst
bildsamen Gästen erklärt.«
Safranski, so viel Hölderlin
lesend, erblickt um sich nur
noch Dunkelheit. Menschen
als Flut. »Götternacht«. »Die
Götternacht, von der Hölder-
lin sprach, die gibt es wirklich
heutzutage, hierzu lande.«
Dabei hat Hölderlin das
Göttliche einfach in sich
selbst und den Menschen um
sich herum gesucht. Und
manchmal auch gefunden.
Aber suchen muss man schon.
Dann kann es sein, dass man
ins Offene kommt. Freunde.
Volker Weidermann

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 119


Kultur

Vernebelt


LiteraturDer Kulturgeschichts -
erklärer Rüdiger Safranski
scheitert mit seiner Biografie
über Friedrich Hölderlin –
er nimmt ihn einfach zu ernst.

HERITAGE IMAGES / ULLSTEIN BILD
Dichter Hölderlin, Porträt von 1792
Gastfreundlich, mit neuen Menschen redend
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