Der Spiegel - 26.10.2019

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Erhard Eppler, 92
Er war kein Mann, der zur Macht strebte. Seine Dissertation
von 1952 trägt den Titel »Der Aufbegehrende und der Ver-
zweifelnde als Heldenfigur der elisabethanischen Tragödie«
und behandelt damit ein Rollenfach, das der Sozialdemo-
krat Erhard Eppler für sein politisches Leben wählte – das
des Aufbegehrenden. Er mahnte schon Anfang der Siebzi-
gerjahre, sich mehr um die Entwicklung Afrikas zu küm-
mern, und er warnte vor der Zerstörung der Natur. Nach-
haltigkeit war ein zentraler Begriff bei ihm. Seine Jugend
war vom Nationalsozialismus geprägt. Mit 16 wurde er
Mitglied der NSDAP; später war er im Krieg. Nach dieser
Erfahrung sollten moralische Erwägungen und gute Argu-
mente sein Leben leiten. Damit gehörte er im Nachkriegs-
deutschland keineswegs zur Mehrheit; wegen seines enga-
gierten Protestantismus wurde er von Herbert Wehner als
»Pietcong« verspottet. Eppler widerlegt mit seinen Schrif-
ten die These, die Siebziger- und Achtzigerjahre seien von
Wachstumseuphorie geprägt gewesen und mit Ausnahme
der Grünen habe niemand gesehen, welches Unheil durch
Umweltzerstörung und die politische Misere im globalen
Süden droht. Die SPD sollte das Gedenken an ihn zum
Anlass nehmen, darüber zu reflektieren, welche themati-
schen und politischen Potenziale sie vernachlässigt hat.
Erhard Eppler starb am 19. Oktober in Schwäbisch Hall. NM

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 133


Nachrufe


Ingo Maurer, 87
Es war eine einfache Idee,
die seinen Ruhm begründe-
te. In einem venezianischen
Hotelzimmer baumelte Mit-
te der Sechzigerjahre eine
schlichte 15-Watt-Birne von
der Decke, verbreitete fun-
zeliges Licht und brachte
ihn auf den Gedanken, dass
es die Glühbirne als Lampe
geben müsste: Ingo Maurer
vergrößerte die klassische
Form, ließ sie von Glasblä-
sern auf Murano in schöne-
rem Material nacharbeiten
und fügte eine grafisch stili-
sierte Metallfassung an. Ent-
standen war die Leuchte
Bulb, die bereits 1969 in
die Designsammlung des
Museum of Modern Art in
New York aufgenommen
wurde. Maurer wurde 1932
auf der Bodenseeinsel Rei-
chenau als Sohn eines
Fischers geboren, der zwei
Erfindungen hinterließ, die
das Leben in der Region
vereinfachten. Eine frühe
Prägung, die vielleicht Mau-
rers Begeisterung für die
schlichte Glühbirne erklärt.
Sie steht eindeutig im Mit-
telpunkt seines vielfältigen,
preisgekrönten Werks, das
auch zahlreiche Lichtinstal-
lationen im öffentlichen
Raum beinhaltet. Maurer
hätte sie am liebsten zum
Weltkulturerbe erklären las-
sen – das klappte bekannt-
lich nicht. »Der glühende
Wolframdraht war das letz-
te Feuer, das wir hatten«,
sagte er. »Licht hat ja mal
mit Feuer angefangen.«
Ingo Maurer starb am


  1. Oktober in München.CLV


Theodor Michael, 94
Für Menschen wie ihn war
es gefährlich im »Dritten
Reich«: Die Nazis ermor -
deten etliche Schwarze in
Konzentrationslagern, Hun-
derte wurden sterilisiert.
Theodor Michael überlebte.
Er war einer der wenigen
bekannten afrodeutschen
Zeitzeugen der Hitler-Dik-
tatur; für die Community ist
er von überragender Bedeu-
tung. 1925 als Sohn einer
Deutschen aus der Nähe
von Posen und eines Kame-
runer Aristokraten in Berlin
geboren, schlug er sich
durch: als Page und Portier,
als vermeintlicher Exot bei

Völkerschauen und in Pro-
pagandafilmen. Er bekam
einen Fremdenpass, wurde
aus dem Gymnasium ent -
lassen, musste als Zwangs -
arbeiter in einem Rüstungs-
betrieb Eisenteile zusam-
menschrauben. Nach dem
Krieg habe ihn die Heimat
»wie einen alten Kaugum-
mi« ausgespuckt, schrieb er
in seiner Autobiografie.
Das »schwierige Mutter-
land« zeigte ihm dann doch
noch, dass es ihn wollte.
Der Bundesnachrichten-
dienst warb ihn 1971 wegen
seiner Afrika-Expertise
an. Michael, den die Nazis
zum Staatenlosen gemacht
hatten, ging als Regierungs-
direktor in den Ruhestand.
2018 wurde ihm das Bun-
desverdienstkreuz ver -
liehen, für sein Engagement
als Zeitzeuge, das er noch
mit über 90 Jahren prak -
tizierte. Theodor Michael
starb am 19. Oktober in
Köln. JPZ

Monika Schoeller, 80
Ein Gedicht, das Ilse Aichinger einmal für sie schrieb, endet
mit den Worten: »Hingabe, Verhülltheit, Tat.« Monika
Schoeller, Verlegerin, Mäzenin, Anteilseignerin des Holtz-
brinck-Konzerns, war im deutschen Geistesleben eine
besondere, großzügige und dabei so dezente Frau, dass die
Öffentlichkeit sie kaum kannte. Wenn man sie traf, erlebte
man einen Menschen, der Fragen stellt, selbst wenn er eine
Aussage macht. Offen war sie und ungemein stolz auf die
Autorinnen und Autoren ihres Verlags. Die als Monika von
Holtzbrinck 1939 in Stuttgart Geborene war 22, als sie ihren
Vater bei den Verhandlungen mit Gottfried Bermann Fischer
zur Übernahme des S. Fischer Verlags begleitete. Sie war 34,
als ihr kranker Vater sie fragte: »Willst du dir nicht einmal
Fischer ansehen?« Das tat sie und leitete den Verlag viele
Jahre lang, zuletzt als Vorsitzende der Geschäftsführung.
Monika Schoeller starb am 17. Oktober in Filderstadt. VW

SEPP SPIEGL

H. R. SCHULZ / IMAGO IMAGES

MALTE OSSOWSKI / SVEN SIMON
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