Der Spiegel - 26.10.2019

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MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL

Der Augenzeuge

»Mit Kirche 35 Euro«


Heinz Angenendt, 77, arbeitet als Sargträger in
Mülheim an der Ruhr. Eigentlich müsste er
kürzertreten, doch vielen Bestattern fehlt Personal.
Solange es geht, möchte er weitermachen.
»Gute Kleidung und Sauberkeit sind am wichtigsten. Den
schwarzen Anzug muss jeder mitbringen, Mantel und Mütze
stellt der Chef. An den Särgen merkt man oft, dass gespart
wird: Furnier statt Massivholz, Fichte statt Mahagoni oder
Esche. Mir ist aber wichtig, dass die Qualität stimmt.
Ich war im Vorruhestand, als ich Sargträger wurde. Nur
Rad fahren ist ja keine Aufgabe. Also habe ich mich überre-
den lassen. Den Bestatter kannte ich aus meiner Zeit als
Schreiner. Wir Sargträger sind alle über 60. Viele waren
Handwerker. Nur fürs Geld macht das keiner – mit Kirche
gibt es 35 Euro pro Einsatz, ohne 25. Ich mag, dass man
unter Menschen kommt.
Ich weiß nicht, wie viele Bestattungen ich schon gemacht
habe. Hunderte waren es sicherlich. Wir treffen uns eine
Stunde vorher, helfen beim Aufbau. Während der Trauer -
feier warten wir oft draußen. Wenn dann die Glocken
läuten, kommen wir rein. Immer zu zweit. Kränze raus,
Tür auf. Oft gehen wir vor, die Großen vorn, die Kleinen
hinten. Der Pastor und die Trauernden folgen. Schön
langsam, ganz ruhig – wir wollen zeigen, dass wir es nicht
eilig haben. Aufmerksamkeit ist ganz wichtig. Bei Urnen
sind wir zu zweit, bei Sargbestattungen braucht es mindes-
tens vier Mann. Wir hatten aber auch schon acht. Die Särge
wiegen oft hundert Kilogramm oder mehr. Das Ablassen
am Grab ist der schwierigste Teil. Wir haben nur dicke
Hanfseile. Damit es gut aussieht, muss es gleichmäßig pas -
sieren. Am Ende machen wir den Diener: Mütze runter,
Kopf senken. Weg vom Grab.
In meinem Alter bestattet man auch Bekannte. Sterben
gehört dazu. Aber wenn ein Kind beerdigt wird, ist es immer
schlimm. Danach gehe ich in den Park. Man denkt dann an
das eigene Leben. Ich verstehe, dass jüngere Leute das ver-
drängen. Man braucht schon Lebenserfahrung. Aber der Job
gefällt mir, wir tun etwas Sinnvolles. Deshalb hoffe ich, dass
wieder neue Leute dazukommen. Vielleicht auch einmal
eine Frau? Bislang sind wir nur ältere Männer.
Die Arbeit als Sargträger hat mich rücksichtsvoller werden
lassen. Schöne Beerdigungen trösten einen.«
Aufgezeichnet von Jan Petter

Hai im Wald


Der deutsche Förster und
Autor Peter Wohlleben,55,
hat seine Meinung über
»Fridays for Future« geän-
dert. Lange lehnte er es ab,
mit der Bewegung zusam-
menzuarbeiten. Ihm habe
nicht gefallen, wie ihm von
Jüngeren »in den Hintern
getreten« wurde, sagte Wohl-
leben jüngst beim SPIEGEL-

Gespräch live auf der Frank-
furter Buchmesse. Doch
inzwischen sehe er die
Demonstrationen als »Weck-
ruf« und organisiere ge -
meinsame Projekte. Wohl -
leben setzt sich seit vielen
Jahren für nachhaltige
Waldwirtschaft ein. Außer-
dem versucht er, mit Schau-
ermärchen aufzuräumen.
Dazu zählt der schlechte Ruf
des Wildschweins, das zu
Unrecht als »Weißer Hai des
Waldes« verschrien sei.
Dank »Fridays for Future«
verspürt der Waldaktivist
eine optimistische Aufbruch-
stimmung. Damit sich
wirklich etwas verändere,
müssten die Generationen
nun zusammenarbeiten,
forderte er. RED

Wunschrolle


Für die Hollywood-PR-
Maschine ist es fast zu schön,
um wahr zu sein: Natalie
Portman, 38, war als Schü -
lerin ein Ass in Naturwissen-
schaften, schaffte es sogar
ins Halbfinale eines renom-
mierten Wettbewerbs – und
spielt jetzt eine Astronautin.
Als Titelheldin in »Lucy in
the Sky« muss sie sich zwar
weniger mit kniffligen For-
meln als mit abgründigen
Seelenzuständen herum-
schlagen. Aber die »New
York Times« kann berichten,
Portman habe als
Mädchen davon ge -
träumt, Astronautin
zu werden. Die Rolle
sei »ein bisschen
die Erfüllung eines
Wunsches«, sagt
die Oscarpreisträge-
rin dann auch. Aller-
dings ging es ihr
weniger darum, mal
in einen Raumanzug
zu schlüpfen. Sie in -
teressierte sich vor
allem für die psycho-
logische Komplexität
der Rolle. Der Film
basiert auf der wah-
ren Geschichte der
US-Astronautin Lisa
Nowak, die 2007
Schlagzeilen machte,

weil sie die neue Freundin
ihres Ex-Freundes attackier-
te. Es hieß damals, sie sei
mehr als Tausend Kilometer
gefahren und habe dabei
eine Windel getragen, um
Toilettengänge und damit
Zeit zu sparen. Die Windel
komme im Film nicht vor,
verriet Portman. Dass sie
darauf angesprochen werde,
sei wohl ein Phänomen un -
serer klickfixierten Kultur:
Für Journalisten sei es offen-
bar hilfreich, ihren Namen
und das Wort Windel in
einem Satz unterzubringen,
sagte die Schauspielerin. KS

MARCUS SIMAITIS / DER SPIEGEL


DAN MACMEDAN / CONTOUR / GETTY IMAGES
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