Der Spiegel - 26.10.2019

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Maschinen streiken nur, wenn es techni-
sche Probleme gibt.
Die Prognosen, wie schnell sich fahrer-
lose Autos im realen Verkehr tatsächlich
durchsetzen können, schwanken noch
stark, vielleicht ist es 2025 so weit, viel-
leicht aber auch erst 2050. Dass automati-
sierte Fahrzeuge nach und nach Autobah-
nen und Innenstädte erobern werden, be-
zweifelt indes kaum noch jemand. Und je
näher diese Zukunftsvision rückt, desto
stärker steigt der Druck auf Konzerne wie
VW, BMW oder Daimler, mit Hightechan-
bietern wie Waymo zusammenzuarbeiten.
Denn dass sie die nötigen Innovationen
aus eigener Kraft noch schnell stemmen
könnten, scheint kaum realistisch.
Daraus erwächst ihnen ein gefährliches
Dilemma. Ohne Kooperationen können
die Deutschen in der Welt der vernetzten
Autos womöglich nicht mehr vorn mitspie-
len. Lassen sie sich mit den Techspezialis-
ten ein, laufen sie jedoch Gefahr, in deren
Abhängigkeit zu geraten und am Ende
nicht mehr Koch, sondern Kellner zu sein,
nicht mehr Hersteller, sondern Zulieferer.
Um dem zu entgehen, ist man in deut-
schen Konzernzentralen schon auf die
Idee gekommen, Anteile an Waymo zu
kaufen, um sich Zugang zum Know-how
und Mitspracherechte zu sichern. Doch
die Versuche scheiterten schon im Ansatz,
allein weil ein Einstieg unbezahlbar ge -
wesen wäre: US-Analysten glauben, dass
Waymo aufgrund seiner guten Zukunfts-
chancen bis zu 250 Milliarden Dollar wert
ist. Das ist mehr als Daimler, Volkswagen
und BMW zusammen.
Ist das also tatsächlich der »iPhone-Mo-
ment« für die deutschen Autobauer, wie
amerikanische und britische Wirtschafts-
blätter nicht frei von Schadenfreude schrei-
ben – ein Wendepunkt, der die Zeit in ein
Davor und ein Danach teilt? Noch gibt es
nicht das eine Fahrzeug, das, wie einst Ste-
ve Jobs’ iPhone, die besten vorhandenen
Technologien gebündelt und in schöne, be-
gehrenswerte Form gebracht hätte, es gibt
ja noch nicht einmal Einigkeit über den
Antrieb der Zukunft. So geht die Suche
vorerst weiter, auch wenn der US-Riese
Tesla glaubt, den heiligen Gral schon ge-
funden zu haben.


Elon Musks Traumfabriksteht im kalifor-
nischen Fremont. Auf einer Fläche so groß
wie der Vatikan lässt der Tesla-Chef eine
Armee für sich schuften, die von Comic-
helden angeführt wird: Iceman, Thunder-
bird oder Cyclops wuchten Karosserien
durch die Luft, setzen Elektrobatterien ein
und heben täglich etwa tausend fertige
Fahrzeuge behutsam von der Produktions-
straße. Allein der Ausstoß des neuen Mas-
senfahrzeugs Model 3 hat sich dank der
Montageroboter seit Jahresbeginn 2018
mehr als verachtfacht.


Es sind knallrote Maschinen, die die
Form kräftiger Arme haben, im ausge-
streckten Zustand sind sie etwa doppelt
so groß wie ein Mensch, aber ihre Bewe-
gungen, ihre Kraft und ihre Präzision sind
denen jedes menschlichen Mitarbeiters
weit überlegen. Musk hat die größten von
ihnen nach Figuren aus der Science-Ficti-
on-Reihe »X-Men« benannt, ihre Namen
stehen auf Käfigen aus Plexiglas, in denen
sich die Roboter bewegen.
Wer die Halle in Fremont besuchen will,
sollte Besitzer eines Tesla sein. Journalisten
werden in Ausnahmefällen vorgelassen
und mit vielen Auflagen belegt, weder Fo-
tos noch Notizen sind erlaubt. Die Tour
geht mit einer elektrisch betriebenen Bim-
melbahn eine Stunde lang durch die Hallen
mit einer Nutzfläche von fast 50 Hektar.
Am Eingang prangt in silbernen Lettern
die selbst gegebene Mission der Firma,
ebenso sperrig wie wuchtig: »Accelerate
the world’s transition to sustainable ener-
gy« (Den Übergang der Welt zu nachhal-
tiger Energie beschleunigen). Jeder Mitar-
beiter, der die Schranken und den Sicher-
heitsbeamten am Eingang passiert, muss
an der Parole vorbei. Nach der Gründung
im Jahr 2003 entwickelte Musk nicht nur

einen Auto- und Technikkonzern, sondern
eine Marke mit quasireligiösem Charakter.
Kunden und Mitarbeitern gibt er das Ge-
fühl, an einer großen Sache mitzuwirken,
an der Rettung des Planeten direkt betei-
ligt zu sein.
Und wer nicht mitzieht, muss eben wei-
chen: Musks erklärtes Ziel ist es, allen Die-
sel- und Benzinmotoren den Garaus zu
machen. Und allen Autokonzernen, die
die Zeichen der Zeit nicht erkennen, gleich
mit. Der Verbrennungsmotor, prognosti-
zierte Musk kürzlich per Twitter, werde
bald genauso enden wie einst die Dampf-
maschine: im Museum.
In der Fabrikhalle von Fremont hat Tes-
la ein paar alte Benzinzapfsäulen aufge-
stellt und gleich daneben eine elektrische
Schnellladesäule, einen sogenannten Su-
percharger. Keine Frage, welche Geräte
aus der Vergangenheit stammen und wel-
chem die Zukunft gehört. Mehr als 14 000
Supercharger hat Tesla bereits über den
ganzen Globus verteilen lassen, eine küh-
ne Geste: Während in Deutschland Poli -
tiker und Automanager noch darüber dis-
kutieren, ob Elektroautos überhaupt das
Richtige sind und wer, falls ja, die zugehö-
rigen Ladestationen finanzieren und be-

14 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


SEAN GALLUP / GETTY IMAGES

Waymo-Chef Krafcik bei der Eröffnungsrede auf der IAA in Frankfurt am Main

Konzerne im Silicon Valley wollen


den Menschen als Fahrer ersetzen.

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