Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
treiben soll, hat sich Tesla darangemacht,
die nötige Infrastruktur kurzerhand selbst
aufzubauen.
Es ist die Methode Musk: Als er Toyota
die gigantische Fabrik in Fremont abkauf-
te, hielten ihn viele für verrückt. Als er an-
kündigte, einen neuen Autokonzern auf-
bauen zu wollen, fand man das in Wolfs-
burg, München, Stuttgart und Ingolstadt
eher zum Lachen. Heute lacht keiner mehr.
Die Tesla-Fabrik leuchtet wie ein steri-
ler Krankenhaussaal. Ins Weiß der Stahl-

gerüste sind die Mitarbeiter wie Spielzeug
hineingestellt, sie tragen schwarze Hosen
und schwarze Shirts, als betrauerten sie
schon ihre kommende Abschaffung. Denn
Musks Traum ist die hoch automatisierte
Fabrik. »Building the machine, that makes
the machine«, lautet ein Ziel: Maschinen
sollen bald Maschinen bauen. Aber noch
braucht er Menschen. 9000 Leute arbeiten
in Fremont, sie warten und programmie-
ren rund 1100 Roboter, die das Model 3
fertigen.

Die etablierten Autokonzerne sahen in
Musk lange, zu lange, einen Wichtigtuer,
der mit seinen Milliardeninvestitionen in
Ladestationen, Auto- und Batteriefabriken
massenhaft Geld verbrannte. Sie haben
sich getäuscht. Zwar schreibt Tesla immer
wieder Verluste, diese Woche verkündete
Musk überraschend einen Quartalsgewinn.
Die Barreserven schwanken, das Unter-
nehmen operiert gelegentlich an der Gren-
ze zum finanziellen Kollaps. Große Pro-
bleme hatte Musk mit der Massenproduk-
tion, die VW und Daimler so souverän be-
herrschen. Und trotzdem: Die Qualität der
Tesla-Produkte war für alle ein Schock.
Konzerne wie VW besorgten sich Teslas
neues Mittelklasseauto Model 3, bevor es
auf den Markt kam, und zerlegten es in sei-
ne Einzelteile. Das Ergebnis der Anatomie-
sitzung war erschütternd: Der kleine US-
Rivale war ihnen in wichtigen Bereichen
um Jahre voraus. Teslas Autos haben effi-
zientere Batterien, vor allem sind sie besser
vernetzt. Der Anspruch der Amerikaner,
Autos in rollende Computer zu verwan-
deln, war mehr als eine Sprechblase.
Die Tesla-Ingenieure gehen anders an ihr
Produkt heran. Sie glauben, dass Autos wie
Smartphones ständig mit Updates verbes-
sert werden können. Sie entwickelten das
sogenannte Over-the-air-Update, das es
Kunden ermöglicht, ihr Auto technisch zu
überholen, ohne eine Werkstatt zu besu-
chen. So konnten sie etwa den Bremsweg
der Wagen verkürzen, indem sie den Algo-
rithmus des Antiblockiersystems per Inter-
net-Update neu ausrichteten. Model-3-Be-
sitzer konnten außerdem eine – bereits ver-
baute – Sitzheizung auf den Rücksitzen frei-
schalten. Es ist ein faszinierender neuer Kos-
mos, der vor allem technikaffinen Kunden
Spaß macht, auch wenn nicht jede Neuheit
gleich von Beginn an fehlerfrei funktioniert.
Die Teslas sind mit Zentralrechnern aus-
gestattet, die ungefähr so leistungsstark sei-
en wie 150 PCs zusammengenommen, sagt
ein Insider. Ganze Personalstäbe beschäfti-
gen sich in Musks Firma nur mit der Frage,
was ein Auto mit einer derartigen Masse
an Rechenleistung anfangen kann.
Heraus kam etwa »Smart Summon«,
eine Funktion, mit der Autobesitzer ihr
Auto per Smartphone »rufen«, also auto-
nom ausparken und vorfahren lassen kön-
nen, was zunächst für Pannen sorgte. Oder
der »Sentry Mode«, ein Überwachungsmo-
dus, in dem das Auto die Umgebung rings-
um filmt und Alarm auslöst, sobald ihm
eine verdächtige Person zu nahe kommt.
Wen ein Tesla verdächtig findet? Man kann
es sich auf YouTube ansehen. Dort haben
Tesla-Fahrer Videos hochgeladen, die in
diesem Wachmodus entstanden sind. Sie
zeigen Menschen, die heimlich Autos zer-
kratzen oder zu klauen versuchen.
Trotz der Erfolge ist nicht ausgemacht,
dass Tesla überlebt. Musk hat es aber

15

Ungewohnte Konkurrenten
Marktkapitalisierung in Mrd. Dollar


Alphabet/Google
USA

873


Tesla
USA
46
Uber
USA
56

Didi
China
62 *

Grab
Südkorea
14 *
BMW
Deutschland
50

Lyft
USA
QFahrdienstleister und 13
Entwickler autonomer
Fahrzeuge

Volkswagen
Deutschland
96

Daimler
Deutschland
60

Stand: 24. Oktober;
*Martkbewertung


BACKGRID USA / BESTIMAGE


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