Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
Milliarden. Um die Lasten zu teilen, haben
die Münchner im Juli eine Kooperations-
vereinbarung mit dem Erzkonkurrenten
Daimler unterschrieben.
Richtig reibungslos läuft das noch nicht,
das hat sich – bei einer anderen Koopera-
tion – schon nach kurzer Zeit gezeigt: beim
Carsharing-Joint Venture Now. Im Februar
hatten BMW und Daimler ihre Carsharing-
Marken Car2Go und Drive Now zusam-
mengeführt, im September schmiss die
Now-Chefin hin, offenbar weil die beiden
Mutterkonzerne nicht mehr Geld in die
Mobilitätsdienste stecken wollen.
Die Grundidee, eine Wagenflotte in den
großen Städten zu unterhalten, aus der
sich Kunden für wenig Geld und per
Handy-App auf die Schnelle ein Fahrzeug
mieten können, bleibt gut. Aber die Kos-
ten sind zu hoch, vor allem fürs Personal,
das die Autos wartet, reinigt, betankt. Man
hört förmlich Waymo-Chef Krafcik, der
sagt, die Lösung sei das fahrerlose Mobil.
Aber noch ist für Daimler und BMW das
Business defizitär, und wenn nicht Finanz-
investoren Geld zuschießen oder sie mit
VW eine größere Allianz bilden, könnte
es mit dem Experiment schnell ganz vor-
bei sein. Die Deutschen fänden dann in
Sachen Carsharing bald nicht mehr statt.

Aus Peking führt Richtung Südenknapp
ein Dutzend Autobahnen und Schnellstra-
ßen hinaus, nun wird eine weitere gebaut,
gut hundert Kilometer lang und acht Spu-
ren breit, von denen zwei ausschließlich
für selbstfahrende Autos vorgesehen sind.
Die Straße wird Peking mit Xiongan ver-
binden, einer Modellstadt, die eines Tages
ein paar Millionen Einwohner zählen und
die im Verkehr erstickende Hauptstadt
Chinas entlasten soll.
Bislang ist nur der innerste Kern der
»Xiongan New Area« errichtet, dort stehen
ein Rathaus, ein Standesamt, ein Hotel,
zwei Bürokomplexe und die örtliche Zen-
trale der Kommunistischen Partei. Doch
dieser Kern lässt bereits erahnen, wie die
Mobilität der Zukunft in China aussehen
wird und in welchen Dimensionen man
hier plant. Xiongan wird eine stille Stadt
sein. Nur Elektroautos dürfen verkehren,
Benziner und Diesel müssen draußen blei-
ben. Bislang gibt es zwei große Parkplätze,
auf denen jeder Stellplatz schon mit einer
Ladestation versehen ist. China, geplagt
von chronischer Luftverschmutzung, setzt
voll auf Elektromobilität.
Unternehmen wie BYD und CATL zäh-
len international zu den größten Batterie-
herstellern; ihre geplante Kapazität ist drei-
mal so groß wie die im Rest der Welt. In
Peking allein gibt es heute bereits um die
130 000 Anschlüsse zum Aufladen von
Elektromobilen, das sind mehr als in ganz
Deutschland. Chinas Regierung kann sich
auch andere Antriebsarten vorstellen, da-


runter Hybridmotoren oder die sogenann-
te Brennstoffzelle. Fest steht, dass der Ver-
brennungsmotor im größten Automarkt
der Welt keine Zukunft mehr hat.
Besitzer von Elektroautos werden in
China gefördert – nicht mehr so großzügig
wie in den vergangenen Jahren, als der
Staat bis zu einem Drittel des Kaufpreises
übernahm, aber nach wie vor deutlich
spürbar: So müssen E-Auto-Käufer nicht
die astronomischen Gebühren für Kenn-
zeichen bezahlen, wie das für die Halter
von Verbrennern üblich ist, und sie dürfen
– anders als Fahrer von Benziner und Die-
sel –  an allen Tagen fahren. Für konven-
tionelle Autos gilt in den großen Städten
jeweils an einem Wochentag ein Fahrver-
bot. Das neue Xiongan wird eine Stadt
ohne Autofahrer sein. Auf der Ringstraße
um das Zentrum drehen bereits kleine
blaue, fahrerlose Busse ihre Runden. Noch
ist jeweils ein Kontrolleur mit einem iPad
an Bord und achtet darauf, dass keines der
Fahrzeuge mit einer der gelben Kisten kol-
lidiert, die ebenfalls ganz autonom ihre
Runden drehen: Es sind mobile Getränke-
und Snackautomaten, die sofort stehen

bleiben, wenn ihre Sensoren einen Passan-
ten und potenziellen Kunden registrieren.
Der kann sich dann eine Erfrischung kau-
fen – und natürlich per Handy bezahlen.
Die selbstfahrenden Busse und Automa-
ten werden, ebenso wie die fahrerlosen
Straßenreiniger in Xiongan, mit einer Soft-
ware des Suchmaschinenbetreibers Baidu
gesteuert. Der Internetriese hat sich als
Erster auf fahrerlose Mobilität speziali-
siert. Inzwischen sind auch der Online-
händler Alibaba und der Social-Media-
Konzern Tencent eingestiegen. Zusammen
haben sie Milliarden in den Sektor inves-
tiert – in Fahrdienste wie Didi und E-Auto-
Start-ups wie Nio und Byton. Und in Soft-
wareingenieure, die Programme für selbst-
fahrende Autos schreiben. Und damit alle
Datenströme ungestört fließen, baut Hua-
wei mit Hochdruck am 5G-Netzwerk.
Fan Bonan, 23, die im Auftrag der Re-
gierung Besucher durch die Modellstadt

Xiongan führt, lebt ein paar Kilometer au-
ßerhalb und fährt einen weißen Golf. Den
muss sie jeden Morgen, wenn sie zur Ar-
beit kommt, auf einem Parkplatz weit au-
ßerhalb der Xiongan New Area abstellen,
wo eine Flotte von Elektrobussen wartet,
die sie und Hunderte andere Pendler ins
neue Zentrum bringt. China hat sich ein
Beinahemonopol in der Herstellung von
E-Bussen erarbeitet: Fast alle der 400 000
weltweit betriebenen Elektrobusse stam-
men aus chinesischer Produktion.
Auf die Frage, was sie sich nach dem Golf
als Nächstes kaufen werde, sagt Fan Bonan:
»Ich kaufe mir kein Auto mehr. Wer nach
Xiongan zieht, braucht so etwas nicht. Die
Stadt wird so gebaut, dass jeder Bewohner
in einem ›15-Minuten-Zirkel‹ lebt: ein Su-
permarkt, ein Bürgerzentrum, eine Polikli-
nik, ein Kino und eine Schule – das alles
muss binnen 15 Minuten zu Fuß erreichbar
sein.« Und zum Arbeitsplatz, wenn der wei-
ter als eine Viertelstunde entfernt sein sollte,
bringe sie ein fahrerloser Autobus.

Im Winter 2017ließ der BMW-Konzern
seine 22-stöckige Zentrale in besonderem

Licht erstrahlen. Scheinwerfer tauchten
die unteren Etagen in sattes Blau, auf den
oberen Etagen leuchteten weiße Pluszei-
chen. Das berühmte Hochhaus der Baye-
rischen Motoren Werke, auch Vierzylinder
genannt, verwandelte sich für einen
Abend in ein Bündel aus Batterien, gar-
niert mit dem leuchtenden Slogan »The Fu-
ture is electric«.
Mit der Lichtinstallation feierte sich
BMW damals für 100 000 weltweit ver-
kaufte Elektro- und Hybridmobile. Das
war zwar, gemessen an den rund 2,5 Mil-
lionen Autos, die die Bayern jedes Jahr ab-
setzen, eine kleine Zahl, aber im schwach
entwickelten Markt für E-Fahrzeuge reich-
te es für die Marktführerschaft in Deutsch-
land. »An der Elektromobilität«, sagte der
damalige BMW-Chef Harald Krüger,
»messe ich unseren Erfolg.« Keine zwei
Jahre später ist von diesem Selbstbewusst-
sein nicht mehr viel zu spüren.

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 17

Titel

SchlüsselindustrieDer deutsche Autobau in Zahlen


* inklusive Kraftwagenteile Quellen: Destatis, VDA

5,


Mio. Fahrzeuge
wurden hierzulande
2018 produziert. 1,

Mio. Beschäftigte
arbeiten in Deutschland
für die Autoindustrie.

4 %


Anteil an allen
50 % Erwerbstätigen:

Anteil am *
Exportüberschuss:

Davon gingen 78 % in den Export 880 000 direkt rund 870 000 indirekt
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