Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
Die Verkaufszahlen für E-Autos bleiben
weit hinter den ursprünglichen Erwartun-
gen zurück, Krüger hat das Unternehmen
verlassen. Sein Nachfolger Oliver Zipse
zieht ein verhaltenes Fazit aus den bishe-
rigen Experimenten mit der E-Mobilität:
»Es dauert lange, um die dafür nötige tech-
nische Erfahrung zu sammeln«, sagt der
neue BMW-Chef, »diese Zeit werden auch
unsere Wettbewerber benötigen.«
Den Anspruch, BMW zum Mobilitäts-
dienstleister zu formen, hat Zipse mitt -
lerweile aufgegeben. Der Konzern be-
schränkt sich wieder darauf, eine gute Car-
Company zu sein.
Wie alle anderen Autokonzerne steht
auch BMW unter starkem Kostendruck.
Die Rendite hat sich im ersten Halbjahr
2019 im Vorjahresvergleich halbiert. Die
Ausgaben für Forschung und Entwicklung
stiegen zuletzt jährlich um etwa eine Milli-
arde Euro – unter anderem, um den immer
strengeren Abgasauflagen zu genügen.
In Regionen wie Russland, Afrika oder
Südamerika werden sich E-Autos noch lan-
ge nicht durchsetzen, glaubt
die BMW-Führung. In der
Diskussion um die E-Mobili-
tät sieht BMW-Chef Zipse
deshalb »viel Industriepopu-
lismus«. Der wichtigste Fak-
tor werde oft ausgeblendet:
»Allein der Kunde entschei-
det, welches Fahrzeug mit
welchem Antrieb er fahren
möchte.« Der BMW-Chef plä-
diert für einen Mix verschie-
dener Antriebsarten, in dem
Batteriefahrzeuge nur eine
von mehreren Optionen dar-
stellen, neben Wasserstoffau-
tos mit Brennstoffzelle etwa.
Was Zipse neudeutsch
»The Power of Choice«
nennt, die Hoheit über die
Auswahl, mag sich vernünf-
tig anhören, spricht indes
nicht für große Entschlossen-
heit. Dass sich ausgerechnet
BMW nicht klipp und klar
für eine Leittechnik, nämlich
E-Autos mit Batterie, ent-
scheiden will, klingt fast nach
Kapitulation. Schließlich wa-
ren die Bayern auf diesem
Spielfeld einmal Vorreiter.
Als erste deutsche Firma
brachte BMW Ende 2013 ein
Elektroauto heraus, das für
den Massenmarkt zu taugen
schien: Der Kleinwagen i
sollte zum Verkaufsschlager
in Europa sowie den vers-
mogten Metropolen Chinas
und der USA werden. Doch
finanziell gesehen blieb das
Prestige modell ein Desaster.

Das liegt an den teuren Materialien, die
BMW im i3 verbaut, an der Elektrobatterie
und der Kohlefaserkarosserie. Zudem über-
schätzte BMW die Nachfrage. Gerade mal
16 000 i3-Autos verkauften die Bayern im
ersten Jahr, 2019 will der Konzern rund
40 000 absetzen. In den Top Ten der welt-
weit meistverkauften Elektroautos taucht
der i3 gar nicht mehr auf.
Bei BMW kursiert nun die Lesart, der
Konzern sei einfach »zu früh dran« gewe-
sen mit der neuen Technik. Doch das
stimmt nur zum Teil. Denn kurz nach dem
Start des i3 bekam das Management of-
fenbar Angst vor der eigenen Courage.
Statt mit weiteren E-Modellen nachzu -
legen, entschied sich BMW für eine länge-
re Elektropause. Der hart erarbeitete Vor-
sprung schmolz dahin.
Nun will BMW erst ab 2021 die nächste
Generation von Elektroautos auf den
Markt bringen. Die meisten Wettbewerber
kommen deutlich früher. Aus dem Vorrei-
ter droht ein Nachzügler zu werden, und
so haben viele E-Pioniere von einst BMW
verlassen. Ulrich Kranz, frü-
her Leiter der BMW-Elektro -
offensive, entwickelt mittler-
weile E-Autos für das US-
Start-up Canoo. Carsten
Breitfeld, einst zuständig für
das Hybridauto i8, ist jetzt
Chef des amerikanisch-chine-
sischen Elektroautoherstel-
lers Faraday Future. Chris -
tian Senger, früher Leiter für
E-Produktkonzepte bei BMW,
sitzt heute im Volkswagen-
Markenvorstand.
Und es spricht einiges da-
für, dass BMW an diesem zö-
gerlichen Kurs festhält, trotz
neu angekündigter Elektro-
modelle. Vorstandschef Zip-
se hält nichts davon, unkal-
kulierbare Risiken einzuge-
hen, weder bei den E-Autos
noch bei Mobilitäts- und Sha-
ringdiensten. BMWs Kern-
kompetenz bestehe darin,
»die besten Fahrzeuge der
Welt« zu bauen. Das sei »die
wahre Herausforderung un-
serer Industrie«.
Zu den schnöderen Wahr-
heiten gehört freilich auch,
dass dem neuen BMW-Chef
für technische Großversuche
schlicht das Geld fehlt, denn
die Rendite soll keinesfalls
noch weiter abstürzen. Der
Vorstand verhandelt bereits
mit dem Betriebsrat über
mögliche Sparmaßnahmen:
Die Erfolgsbeteiligungen sol-
len sinken, teilweise auch die
Arbeitszeiten. Bei der Mo-

19

Titel

SPIEGEL: Und die Entwicklung wird in
diesem Tempo weitergehen?
Thrun: Ja, ich staune immer wieder,
wie viele Leute davon ausgehen, dass
der Fortschritt irgendwann langsamer
wird oder sogar stoppt. Es geht im
Gegenteil immer schneller voran.
Das fliegende Auto wird der nächste
Schritt sein.
SPIEGEL: Das klingt tatsächlich futuris-
tisch.
Thrun: Ich würde nicht darüber lächeln.
Wir sind jetzt hier in der Frankfurter In-
nenstadt, ich kann Sie in wenigen Minu-
ten zum Frankfurter Flughafen bringen
mit einem autonomen Flugtaxi.
SPIEGEL: Falls Sie es dürften, der Flug-
verkehr ist streng reguliert.
Thrun: Ich werde es dürfen können.
Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe
ich unten eine überfüllte Straße voller
Autos und Radfahrer. Wenn ich nach
oben schaue, ist alles frei. Oben kann
ich mich deutlich schneller bewegen
und verbrauche gleichzeitig weniger
Energie. Die Entwicklung wird dorthin
gehen, davon bin ich überzeugt.
SPIEGEL: Sie malen die mobile Zukunft
ziemlich rosa. Tatsächlich sind jedoch
Zweifel angebracht. Eine neue Studie
kommt zu dem Schluss, dass Robotaxis
nicht zu weniger, sondern bis zu 40 Pro-
zent mehr Verkehr in den Großstädten
führen.
Thrun: Man kann natürlich immer das
Negative suchen. Wenn wir vor hundert
Jahren hier gesessen hätten und ich
Henry Ford gewesen wäre, hätten Sie
mir wahrscheinlich gesagt: Was soll das
mit den stinkenden Kisten, ich liebe
mein Pferd, das bringt mich immer
sicher nach Hause, und ich kann es es-
sen, wenn es gestorben ist. Wir sollten
lieber die Chancen sehen, die jeder tech-
nologische Umbruch mit sich bringt.
SPIEGEL: Die typische Silicon-Valley-
Haltung: Der Fortschritt löst am Ende
alle Probleme. Nur die Deutschen ha-
ben das noch nicht begriffen.
Thrun: So pauschal stimmt das nicht.
Aber es ist schon seltsam. Die Deut-
schen leben in einem der ökonomisch
stärksten Länder der Welt und haben
trotzdem oft einen Minderwertigkeits-
komplex: Wir sind nicht gut genug, die
anderen überholen uns.
SPIEGEL: Im Digitalsektor stimmt das
ja auch. Gegenüber Amerikanern und
Chinesen liegen deutsche Unternehmen
abgeschlagen zurück.
Thrun: Sagen wir es so: Deutschland
muss generell offener werden für neue
Technologien und Entwicklungen, um
ganz, ganz vorn dabei zu sein. Ein biss-
chen weniger Pessimismus täte schon
gut. Interview: Thomas Schulz


Vom E-Auto
überrollt
Prognostizierter Verlust
von Arbeitsplätzen
in der deutschen
Autoindustrie bis 2030*

* bezogen auf 2017;
mit Produktivitätssteigerung
Quelle: Fraunhofer IAO, 2018

74 000


bis

80 000


80 000


bis

90 000


107 000


bis

125 000


25 % 40 % 80 %

Marktanteil E-Autos:
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