Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
SYRIEN IRAK

Damaskus

Idlib

Tall Abjad Ras al-Ain

TÜRKEI

50 km
Quelle:
syria.liveuamap.com
(Stand: 24. Oktober)

Russisch-türkische Einigung vom 22. Oktober
akzeptiert vorläufig jüngste türkische Einnahmen
fordert Abzug der kurdischen YPG-Miliz

Gebiete unter Kontrolle von
Assads Armee und Verbündeten
kurdischer YPG-Miliz
türkischem Militär und Verbündeten
Anti-Assad-Rebellengruppen

wortet, er erfuhr von dem Manö-
ver aus den Nachrichten.
Ähnlich erging es Vizekanzler
Olaf Scholz. Er hörte von den Plä-
nen der Ministerin auf dem Haupt-
stadtfest der Funke Mediengruppe
in der Berliner Friedrichstraße. Der
einzige Vorteil dieser sehr öffent -
lichen Umstände war, dass Scholz
der ebenfalls anwesenden Kanzle-
rin sein Befremden gleich persön-
lich übermitteln konnte.
SPD-Fraktionschef Mützenich,
langjähriger Außenpolitiker, wurde
von Kramp-Karrenbauers Ansage
auf dem Weg zu einer DGB-Feier
überrascht. Als sich die genervten
Sozialdemokraten später intern ver-
ständigten, war ihnen eine Sache
klar: Dieser Ball durfte nicht in ihrem
Spielfeld liegen, die SPD sich nicht
noch ein Unionsproblem aneignen.
Man vereinbarte, die Verteidi-
gungsministerin mit Detailfragen
zu bombardieren: Wo sollte die
Zone verlaufen? Mit welchen Mitteln soll-
te sich Deutschland beteiligen? Und mit
welchen internationalen Partnern über-
haupt? Sie sollte erst mal liefern.
Den Koalitionspartner im Dunkeln zu
lassen ist schwierig genug: Ohne die SPD
käme keine Bundestagsmehrheit für einen
Syrieneinsatz zustande. Aber die CDU-
Chefin sparte es sich sogar, den CSU-Amts-
kollegen Markus Söder diskret vorzuwar-
nen. Dabei ist ohne die Zustimmung der
Schwesterpartei ein außenpolitischer Para -
digmenwechsel gar nicht möglich.
Stattdessen erläuterte Kramp-Karren-
bauers engster Berater den Plan am Mon-
tag zwei Parteifreunden Söders, dem Par-
lamentarischen Verteidigungsstaatssekre-
tär Thomas Silberhorn und dem Vertei -
digungspolitiker Florian Hahn. Der infor-
mierte den CSU-Chef dann per SMS.
Söder war empört. Wie Landesgruppen-
chef Alexander Dobrindt hält er Kramp-
Karrenbauers Vorgehen für heikel, strate-
gisch wie inhaltlich: Die Idee, deutsche
Soldaten zwischen türkischen und syri-
schen Truppen sowie Terrormilizen zu sta-
tionieren, betrachten beide als wagemutig.
Es dauerte zwei Tage, bis Söder die Minis-
terin öffentlich unterstützte.
Etwas vorsichtiger ging Kramp-Karren-
bauer mit der Bundeskanzlerin um, die sie
mittelfristig beerben möchte. Angela Mer-
kel habe von den grundsätzlichen Über -
legungen der Verteidigungsministerin ge-
wusst, berichten Eingeweihte, und die
CDU-Frauen hätten über eine mögliche
Sicherheitszone in Nordsyrien gesprochen,
die ohnehin seit Jahren diskutiert wird.
Vor der Bundestagsfraktion unterstützte
Merkel den Plan denn auch.
Doch die Kanzlerin wirkte reserviert.
Offenbar hatte Kramp-Karrenbauer ihr ein


entscheidendes Detail vorenthalten: den
Zeitpunkt ihres Vorstoßes. Merkel sei da-
von ausgegangen, heißt es, dass ihre Mi-
nisterin eine so grundlegende Initiative um
des Koalitionsfriedens willen mit anderen
Ressorts abstimmen würde, dass also alle
noch mal reden würden. Der Teil muss
nun mühsam nachgeholt werden.
Dass »AKK« auch ihren Generalsekre-
tär Paul Ziemiak, den Unionsfraktionschef
Ralph Brinkhaus und die wichtigsten
Außenpolitiker der Union außen vor ließ,
ist ungeschickt, aber könnte in den Folgen
für sie noch zu verschmerzen sein. Doch
mit Söder und Merkel irritierte sie zwei
unschätzbar wichtige Verbündete: Söders

Rückhalt und Vertrauen braucht die CDU-
Chefin für eine Kanzlerkandidatur. Und
ohne Merkels aktive Hilfe lässt sich ihr
Vorstoß in der Koalition schwer umsetzen,
schon gar nicht auf internationaler Ebene.
Deshalb fragen sich viele in der Unions-
führung, ob die Parteichefin die Regeln
des Politikbetriebs noch nicht beherrscht.
Sie habe einem guten Anliegen durch
ungeschickte Kommunikation geschadet,
sagt ein hochrangiger CDU-Mann.
Nachträglich bemüht sich die Ministerin
um Schadensbegrenzung und mehr Aus-
tausch mit ihren Fachpolitikern. Viele De-
tails konnte sie aber noch nicht nennen.
Die müsse man erst mit den internationa-
len Partnern klären, soll die Ministerin in
Ausschusssitzungen verkündet haben.
Doch die Partner zögern. Geradezu irri -
tiert zeigen sich die Amerikaner über
Kramp-Karrenbauers Projekt. Schließlich
waren US-Unterhändler in diesem Jahr
mehrmals nach Berlin gereist, um die Bun-
desregierung zu bitten, sich an einer von
den USA angeführten Schutzzone zu
beteiligen. Jedes Mal gab es eine brüske
Absage: Nein, man werde definitiv keine
Bodentruppen nach Syrien schicken. Seit-
her galt Berlin in Washington endgültig als
unwilliger Verbündeter, der wegen des
friedensverliebten Koalitionspartners SPD
militärisch nicht handlungsfähig sei.
Nun, da die Amerikaner sich aus Nord-
syrien zurückziehen, hat Washington auch
kein Interesse mehr an Kramp-Karren -
bauers Offensive. »Wir waren nicht infor-
miert, jetzt Verwunderung bis hoch in die
Chefetage«, kommentierte ein hochrangi-
ger Regierungsmann am Dienstag per SMS.
Aus Berlin sei am Sonntag eine E-Mail ans
Pentagon gegangen, habe er gehört, doch
niemand wisse, was die deutsche Ministerin

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REUTERS
Syrische und türkische Kämpfer in Nordsyrien: Schutzzone in Scheiben?
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