Der Spiegel - 26.10.2019

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eigentlich vorhabe. Auch US-Verteidigungs-
minister Mark Esper sagte am Donnerstag
in Brüssel, er habe »den deutschen Vor-
schlag nicht gelesen oder im Detail stu-
diert«. Dass die Europäer wohl einen Si-
cherheitskorridor in Syrien einführen wol-
len, finde er gut. Aber die USA würden sich
definitiv nicht beteiligen. »Wir beabsichti-
gen nicht, Bodentruppen oder irgendetwas
anderes zu dieser Operation beizutragen.«
Die Verwirrung setzt sich bei den euro-
päischen Verbündeten fort. Im Élysée-
Palast war man geradezu alarmiert über
Kramp-Karrenbauers Nordsyrien-Vorstoß.
»Was soll das sein?«, erkundigte man sich
per SMS bei deutschen Vertrauten – und:
»Müssen wir das ernst nehmen?«
Antworten ließen auf sich warten, da
auch in Berlin ja niemand wusste, was
»das« denn war. »Man hätte es nicht ge-
glaubt, aber selbst in Deutschland regiert
das Chaos«, so die hämische Reaktion aus
Pariser Regierungskreisen. Zwar ist auch
Frankreichs Präsident ein Meister des
politischen Überraschungsangriffs. Doch
ist im Élysée schwer vorstellbar, dass eine
Ministerin diesen Part übernimmt.
Im Umfeld von Emmanuel Macron ist
Kramp-Karrenbauer ohnehin nicht gut be-
leumundet. Ihre Reaktion auf Macrons Ap-
pell für mehr Europa empfand der Élysée
als Affront: »Europa richtig machen«, hat-
te Kramp-Karrenbauer ihre Antwort zum
Ärger der Franzosen überschrieben.
So belässt man es bei der diplomatischen
Floskel: »Über Syrien bleibt man natürlich
gemeinsam im Gespräch.« Bisher ist Berlin
den Franzosen auch nicht als aktiver mili -
tärischer Partner bekannt. Ein geflügeltes
Wort zur deutschen Außenpolitik lautet:
»Die Deutschen verteidigen den Frieden bis
zum letzten französischen Soldaten.«


Auch im Nato-Hauptquartier hält man
es hinter vorgehaltener Hand für ausge-
schlossen, dass die Allianz eine Rolle in
der »Mission AKK« spielen könne. Nato-
Operationen erfordern Konsens, und dass
Trump zustimmt oder gar Erdoğan, dessen
Offensive die Schutzzone überhaupt nötig
machte, ist ausgeschlossen.
Nein, es gebe keine Anfrage für eine
Nato-Mission in Nordsyrien, sagt General-
sekretär Jens Stoltenberg vor dem Start
des Verteidigungsministertreffens in Brüs-
sel am Donnerstag. Der Vorschlag müsse
»im Detail diskutiert werden«. Kramp-Kar-
renbauers erhoffte Partner sagen also ent-
weder ab, spielen auf Zeit oder fühlen sich
nicht angesprochen.
Trotzdem geriet der Nato-Termin für
Kramp-Karrenbauer nicht zur Blamage.
Der eine oder andere Amtskollege ließ
Sympathie für den Vorschlag erkennen.
Die »Internationalisierung der Konflikt -
lösung« sei sinnvoll, sagen mehrere. Auch
Stoltenberg will die Deutsche nicht beschä-
digen, er braucht sie: Kramp-Karrenbauer
hat versprochen, sich für höhere Verteidi-
gungsausgaben starkzumachen. So kann
die Ministerin ihr Gesicht wahren.
Am Donnerstag votierte zudem das EU-
Parlament mit großer Mehrheit für eine Re-
solution, die eine syrische Schutzzone unter
Aufsicht der Uno fordert. Doch genau hier
zeigt sich, wie unrealistisch Kramp-Karren-
bauers Pläne sind: Ein Uno-Mandat würde
voraussetzen, dass Wladimir Putin im
Sicherheitsrat zustimmt – der Mann, der
Syrien seit Jahren bombardiert und für viele
zivile Todes opfer verantwortlich ist. Eine
Schutzzone ohne Moskau kann es nicht ge-
ben. Aber eine Schutzzone nach russischem
Plan wäre keine. Gerade haben Putin und
Erdoğan das nordsyrische Gebiet unter sich

aufgeteilt – vor diesem Hintergrund
erscheint Kramp-Karren bauers Idee
vielen Militärstrategen und Außen-
politikern reichlich naiv.
Vor allem stützt Putin Syriens
Machthaber Baschar al-Assad.
Kramp-Karrenbauers Idee umzu-
setzen hieße, sich mit dem Diktator
zu arrangieren und mit der Türkei,
der die Bundesregierung doch seit
deren Einmarsch in Syrien einen
Bruch des Völkerrechts vorwirft.
Sind das die Verbündeten, mit de-
nen sich Kramp-Karrenbauer auf
die bisher gefährlichste Mission der
Bundeswehr begeben will?
Alles spricht also dafür, dass ihr
Vorschlag nie Realität werden wird,
vielleicht auch nie werden sollte.
Kramp-Karrenbauer dürfte das wis-
sen, was den Vorstoß zynisch und
kalkuliert erscheinen lässt. Denn
selbst wenn nie ein deutscher Sol-
dat einen Stiefel auf nordsyrisches
Gebiet setzen sollte, muss das für
Kramp-Karrenbauer innenpolitisch keine
Niederlage sein.
Ihre kurze Zeit als CDU-Chefin war von
Pannen gezeichnet, und nach hundert Ta-
gen im Ministeramt wirkt sie blass. Dieses
Manöver ist der waghalsige Versuch einer
Profilierung, eines Befreiungsschlags, nach-
dem kleinere Initiativen wie kostenlose
Bahnfahrten für Soldaten ihre schlechten
Umfragewerte nicht beflügeln konnten.
Der Vorstoß der Ministerin zielt auf ein
spezielles Publikum: auf die CDU-Basis,
die sie zur Kanzlerin küren soll. Auf die
Verteidigungs- und Außenpolitiker der
Fraktion, die nach mehr Bedeutung dürs-
ten. Und auf die Truppe.
In Kramp-Karrenbauers Offizierscorps
kommt es gut an, dass eine Verteidigungs-
ministerin zur Abwechslung nicht nur mit
»tiefer Sorge« auf eine internationale Krise
reagiert, sondern die Initiative ergreift.
»Endlich verstecken wir uns nicht hinter
den anderen«, sagt ein hoher General. In
seinen Kreisen hat die Chefin an Gewicht
und Zuspruch gewonnen.
Doch gleichzeitig ist die militärische
Führung irritiert, weil sie bewusst außen
vor gelassen wurde. Der oberste Soldat
der Bundeswehr, Generalinspekteur Eber-
hard Zorn, saß am Montagnachmittag im
Auto, als ihn Kramp-Karrenbauer am Te-
lefon über ihren Vorschlag unterrichtete.
Zwei Tage später informierte Zorn die In-
spekteure der Teilstreitkräfte über den
Stand der Dinge. Viel war es nicht, was er
den Generälen berichten konnte.
Der wichtigste Berater der Ministerin
ist in diesen Tagen kein erfahrener Militär,
sondern der Leiter ihres Leitungsstabs,
den sie aus der Parteizentrale mitbrachte.
»Einen so wichtigen Vorstoß nur mit Leu-
ten aus dem Konrad-Adenauer-Haus zu

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 31

ANGELIKA VON STOCKI / FACE TO FACE
CDU-Politikerinnen Kramp-Karrenbauer, Merkel: Ein entscheidendes Detail vorenthalten
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