Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

ernst zu nehmen, die vielleicht nicht über-
all gleich ungeteilten Beifall finden. Und
wir müssen mehr miteinander reden.
SPIEGEL:Was hat Wissenschaftspolitik da-
mit zu tun? Was kann sie leisten, um den
gesellschaftlichen Diskurs zu prägen?
Karliczek:Zu einem guten Diskurs kann
die Wissenschaft einiges beitragen. Es
nützt jeder Diskussion, wenn sie auf
Grundlage der Fakten stattfindet. Wissen-
schaft ist eine Grundlage für unsere politi-
schen Entscheidungen. Da braucht es
Transparenz und eine Plattform, die den
Menschen einen Überblick über den Stand
der Wissenschaft gibt.
SPIEGEL:Haben Sie ein konkretes Beispiel
im Kopf, wo Orientierung fehlte?
Karliczek:Die Diskussion um den Fein-
staub etwa. Da hat sich eine Mindermei-
nung laut artikuliert. Die Mehrheits -
meinung war wochenlang nicht zu hören.
Wissenschaft muss sich stärker in den Dis-
kurs einmischen, darf ihn nicht meinungs-
starken Gruppen überlassen. Erst das Gut-
achten der Leopoldina hat hier für eine
Versachlichung gesorgt.
SPIEGEL:Aber in der Klimaforschung zum
Beispiel hält es der weit überwiegende Teil
der Wissenschaft für völlig unstrittig, dass
der Klimawandel menschengemacht ist.
Trotzdem lässt sich eine relevante Minder-
heit davon anscheinend nicht überzeugen.
Karliczek:Die Klimaforschung ist ein gu-
tes Beispiel. Die Entwicklung ist doch heu-
te so: Jede Richtung zitiert einen ihr ge-
nehmen Wissenschaftler und nutzt ihn zur
Legitimation ihrer Sichtweise, egal wie ab-
seitig sie ist. Könnten wir noch klarer ma-
chen, dass die Klimawandelleugner eine
verschwindend geringe Verankerung in
der Wissenschaft haben, würde vielen die
Einsicht leichter fallen, dass der Klima -
wandel Konsequenzen für unser Leben ha-
ben muss.
SPIEGEL:Wenn Sie Pech haben, sagt dann
eine übergroße Mehrheit der Wissenschaft-
ler: Das Klimapaket der Bundesregierung
ist nicht ausreichend.
Karliczek:Die Erkenntnisse der Wissen-
schaft sind die Grundlage für politisches
Handeln. Die Politik muss aber bei der
Umsetzung der Erkenntnisse die Bürgerin-
nen und Bürger davon überzeugen. Das
ist die Kunst in einer Demokratie: die Men-
schen zu überzeugen. Und konkret: zehn
Euro für die Tonne CO 2 mag umstritten
sein. Aber es geht doch ums Signal, um
die Botschaft in die Gesellschaft: CO 2 hat
künftig einen steigenden Preis. Das hat
eine große Signalwirkung.
SPIEGEL:In Kürze will die Bundesregie-
rung die Arbeit der Koalition evaluieren.
Haben Sie für sich selbst schon mal eine
Halbzeitbilanz gemacht?
Karliczek:Wir sind in dieser Wahlperiode
in Bildung und Forschung schon richtig
gut vorangekommen. Von den 66 Vor -


haben, die der Koalitionsvertrag für mei-
nen Bereich aufzählt, sind immerhin 65 in
der Umsetzung oder Bearbeitung. Damit
bin ich sehr zufrieden.
SPIEGEL:Gab es für Sie ein Highlight?
Karliczek:Die drei Wissenschaftspakte ra-
gen da sicher heraus. Viele haben gezwei-
felt, ob wir das hinbekommen – und gera-
de ich als damals noch relativ neue Bun-
desministerin, die die Verhandlungen
führen musste. Aber es ging: Bund und
Länder werden in den nächsten Jahren ver-
bindlich 160 Milliarden Euro in die Wis-
senschaft geben. So etwas hat es noch nie
gegeben, das gibt es auch sonst nirgendwo
auf der Welt.
SPIEGEL:Nicht alle sind so zufrieden mit
Ihnen als Bildungsministerin, wie Sie
selbst es sind. Sie haben schon manchmal
danebengelangt, zum Beispiel, als Sie in
der Debatte über die 5G-Mobilfunkfre-
quenzen sagten, die gehörten »nicht an
jede Milchkanne«. Was war da los?
Karliczek:Das war nur die eine Hälfte
meines Zitats, das war los. Ich hatte gesagt,
wir brauchen derzeit nicht 5G an jeder
Milchkanne, also in jedem Privathaushalt,
wir müssten erst einmal 4G flächen -
deckend ausbauen, um die Funklöcher zu
schließen. Dazu stehe ich auch.
SPIEGEL:Es wirkte aber, als ob Digital -
politik nicht so Ihr Feld wäre.
Karliczek:Also ich bitte Sie. Vielleicht ist
zu wenig bekannt, wie breit mein Haus
die Digitalisierung und die künstliche In-
telligenz gerade voranbringt. Die KI-Stra-
tegie habe ich zusammen mit meinen Kol-
legen Peter Altmaier und Hubertus Heil
auf den Weg gebracht. Wir erhöhen die
Mittel für die KI-Zentren. Vergessen Sie
den Digitalpakt für die Schulen nicht. Und
wir haben dafür gesorgt, dass Unterneh-
men auch ihre eigenen 5G-Netze – soge-
nannte Campus-Netze – aufbauen können.

SPIEGEL:Sie sind 2018 aus den hinteren
Reihen der Union urplötzlich in die erste
Reihe des Bundeskabinetts aufgestiegen,
wurden Bildungsministerin, obwohl Sie
nie Bildungspolitik gemacht hatten. Wie
hat sich das angefühlt?
Karliczek:Vielleicht musste ich mich ein
bisschen länger einarbeiten als andere, das
gebe ich gern zu. Nicht nur in die Materie,
auch die Strukturen in einem Ministerium
waren für mich neu. Aber jeder, der eine
neue Aufgabe übernimmt, sollte sich Ein-
arbeitungszeit nehmen. Am Anfang habe
ich mich in meinem Haus erst einmal er-
kundigt, was die Menschen in einzelnen
Abteilungen machen. Und ich brauchte
ein Team. Auch das dauert eine Weile,
wenn man nicht auf ein festes Netzwerk
zurückgreifen kann.
SPIEGEL:Eine Ihrer umstrittensten Ent-
scheidungen war, eine Fabrik für Batterie-
forschung in der Nähe Ihres Wahlkreises
anzusiedeln – und nicht zum Beispiel in
Ulm, was eine Idee in der Gründungskom-
mission war. Ihre Parteifreundin Susanne
Eisenmann, Kultusministerin in Baden-
Württemberg, hat deshalb kürzlich gar Ih-
ren Rücktritt ins Gespräch gebracht. Was
dachten Sie, als Sie das hörten?
Karliczek:Ich hatte vorher mit der zustän-
digen Kabinettskollegin von Frau Eisen-
mann gesprochen. Insofern fand ich den
Zwischenruf schon ungewöhnlich. Aber
sie ist Kultusministerin, und wir werden
noch viel zusammenarbeiten müssen.
SPIEGEL:Das klingt jetzt ein bisschen wie
eine Drohung.
Karliczek:Überhaupt nicht, ich freue
mich drauf.
SPIEGEL:Ist die Lehre aus der Batterie -
debatte, in Sachen Standortwahl bei künf-
tigen Projekten genauer hinzugucken?
Karliczek:Die Standortentscheidung für
Münster ist richtig. Natürlich müssen wir
Lehren aus dem schwierigen Prozess zie-
hen. Gerade bei dem Thema Batterie -
forschung kann es nur um Exzellenz gehen,
wenn wir im Wettbewerb mit China beste-
hen wollen. Davon hat sich mein Haus lei-
ten lassen. Die Forschungsfabrik wird dem-
entsprechend für die ganze deutsche Wirt-
schaft und Wissenschaft offen sein.
SPIEGEL:Würden Sie zur Halbzeit rück-
blickend sagen: Das habe ich am Anfang
alles komplett unterschätzt?
Karliczek:Wir reden immer so viel davon,
dass man auch einmal etwas wagen muss.
Ich bin sehr bewusst ins Risiko gegangen.
Heute würde ich sogar sagen, es ist es auch
ein großer Vorteil, als Seiteneinsteigerin
in ein Ministerium zu kommen. Man be-
wahrt sich den Blick von außen. Es gibt
natürlich mehr kritische Stimmen, wenn
man von außen kommt. Aber man kann
ja auch Kritiker überzeugen.
Interview: Melanie Amann, Veit Medick

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 35


STEFFEN ROTH / DER SPIEGEL
Bildungsministerin Karliczek
»Sehr bewusst ins Risiko gegangen«
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