Der Spiegel - 26.10.2019

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D


er Einfluss einer Berliner Sena-
torin endet gewöhnlich an der
Stadtgrenze, aber Katrin Lomp-
scher bewegt gerade Menschen
in ganz Deutschland. Sie hat ein Gesetz
vorgelegt, das weit über die Hauptstadt
hinaus eine Signalwirkung entfaltet, es
wird gerühmt, gefürchtet und gehasst.
Denn der sogenannte Mietendeckel ist
ein Symbol für den Streit, der um das
urbane Zusammenleben in Deutschland
geführt wird. In einer Zeit, in der eine
jüngere Generation sich massiv vor den
zerstörerischen Wirkungen des globalen
Kapitalismus sorgt, sind Konzepte, die
vielleicht wenigstens den privaten Wohn-
raum schützen könnten, sehr gefragt.
Seit fast drei Jahren ist Lompscher Se-
natorin für Stadtentwicklung und Wohnen.
Die Berliner Mietpreise sind weiter gestie-
gen, die Auseinandersetzungen um die
Wohnkosten haben sich verschärft wie nir-
gendwo sonst in Deutschland.
Der Mietendeckel soll für die rot-rot-
grüne Stadtregierung jetzt zum Befreiungs-
schlag werden. Lompscher spricht von


einem »politischen Experiment«. Tatsäch-
lich handelt es sich um einen Großversuch
mit Hunderttausenden Wohnungen und
Millionen Menschen, wie ihn Deutschland
noch nicht erlebt hat. Vorausgesetzt, der
Mietendeckel tritt Anfang 2020 wie ge-
plant in Kraft und wird nicht juristisch aus-
gehebelt, etwa durch eine Klage vor dem
Bundesverfassungsgericht.
»Wir müssen das Mietpreisniveau wie-
der in eine Balance bringen, die es verlo-
ren hat«, sagt Lompscher. Sie betrachtet
die Stadt als sozialen Raum, den Men-
schen aller Einkommensklassen miteinan-
der teilen. Es klingt ein bisschen utopisch.
Lompscher, 57, kannten außerhalb Ber-
lins bislang nur wenige. Wer ist die Di-
plom-Ingenieurin für Städtebau, die den
Mietendeckel zu einem Erfolgsmodell
machen will? Was treibt sie an?
Die gebürtige Ostberlinerin gehört der
Partei Die Linke an und war früher in der
SED. Von der Opposition im Abgeordne-
tenhaus, von Wohnungskonzernen, Haus-
und Grundeigentümern, aber auch vom
Koalitionspartner SPD wird sie nicht zu-

letzt deshalb scharf beobachtet. Manche
fürchten, dass sie eine Zwangsbewirtschaf-
tung des Wohnraums einführen wolle, ähn-
lich wie in der DDR.
So weit gehen die vom Senat beschlos-
senen Maßnahmen nicht, aber sie greifen
tief in den Wohnungsmarkt ein. Nachdem
die Berliner Mieten in den vergangenen
zehn Jahren um durchschnittlich 82 Pro-
zent gestiegen sind, sollen die Preise ver-
mieteter Wohnungen, die vor 2014 gebaut
wurden, jetzt fünf Jahre lang eingefroren
werden. Bei Neuvermietung wird die Mie-
te künftig auf maximal 9,80 Euro kalt je
Quadratmeter begrenzt. Weitere Vorha-
ben gehören dazu (siehe Grafik).
Doch weder Lompscher noch ihren
Gegnern geht es lediglich um das Für und
Wider einer Mietregulierung. Dahinter
stehen gesellschaftspolitische Fragen, wie
sie auch schon die Debatten um kommu-
nale Rückkäufe von Wasser- und Strom-
werken bestimmt haben. Wem gehört die
Stadt? Stehen die Bürger an erster Stelle?
Wie offen ist die Stadt für Zuzügler, Tou-
risten und internationale Investoren?

46 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Deckel drauf


WohnenBerlins oberste Stadtentwicklerin Katrin Lompscher will mit der Mietenregulierung die
Stadt als Raum für alle retten, auf Kosten vieler Eigentümer. Was treibt die Linkenpolitikerin an?

GORDON WELTERS / DER SPIEGEL
Senatorin Lompscher: »Gift für die soziale Funktion der Stadt«
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