Der Spiegel - 26.10.2019

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Viele bezweifeln, dass der Mietendeckel
halten kann, was er verspricht, ein
Schwarzmarkt könnte entstehen, von dem
die profitieren, die jetzt in Berlin leben –
und unter dem Zuzügler leiden.
Die Senatsverwaltung für Stadtent -
wicklung und Wohnen hat ihren Sitz
mitten im alten Westberlin, nahe dem
Fehrbelliner Platz in einem Gebäude der
klassischen Nachkriegsmoderne. Im 14.
Stock arbeitet die Senatorin. Von ihrem
Schreibtisch blickt sie über die Stadt.
Lompscher zeigt sich unprätentiös, prag-
matisch, ihr Smartphone liegt außer Reich-
weite.
Lompscher ist, daraus macht sie keinen
Hehl, von der DDR geprägt; aufgewachsen
in einem Land, das Privateigentum an
Grund und Boden fast abgeschafft hatte
und Wohnraum zuteilte. Als sie in Weimar
Architektur und Bauwesen studierte, war
das Land bereits ein Sanierungsfall. Als
sie nach dem Studium bei der DDR-Bau-
akademie zu arbeiten begann, stand der
SED-Staat schon vor dem Abriss.
Die Aufbruchstimmung, die Program-
me für den Neubau Zehntausender Woh-
nungen waren passé. Auch die großen
städtebaulichen Entwürfe etwa für die
Ostberliner Mitte mit Fernsehturm und
Palast der Republik lagen lange zurück.
Die 26-jährige Stadtplanerin konnte nur
noch den Mangel ver walten.
»Mir braucht keiner et-
was über staatlich gelenkte
Zwangswirtschaft zu er-
zählen«, sagt sie. An man-
ches erinnert sie sich aller-
dings gern zurück. Etwa
dass in der Ostberliner
Mitte Tausende neue Woh-
nungen entstanden waren,
während in der Westberli-
ner City vor allem Büros,
Einkaufszeilen und Kauf-
häuser hochgezogen wur-
den. Stadtentwicklung, da-
von ist sie überzeugt, sei
eine langfristige und nach-
haltige Arbeit, »bei der
man oft erst Jahrzehnte
später sieht, ob man die
richtigen Weichen gestellt
hat«.
Nach dem Mauerfall
musste die zerrissene Stadt
gekittet werden und zu-
sammenwachsen, es sollte
schnell gehen. Heute, sagt
sie, komme es darauf an,
Berlin für die Be wohner
zu retten. »Der öffentliche
Raum muss wieder das
Verbindende werden. Er
ist der Raum, der Stadt
ausmacht, wo sich Men-
schen begegnen.« Seit


1990 sei er zu sehr »durchkommerzia -
lisiert worden«.
Nach der Jahrtausendwende deckten
sich internationale Finanzinvestoren auf
dem Wohnungsmarkt ein. Der Senat half
unter Beteiligung der Linken dabei, indem
er große kommunale Bestände verscher-
belte. »Das war Gift für die soziale Funk-
tion der Stadt«, sagt Lompscher.
Dass der Mietendeckel kein Allheilmit-
tel ist, um die Wohnprobleme in den Griff
zu bekommen, weiß Lompscher. In der
Hauptstadt fehlen schon jetzt 130 000
Wohnungen, und immer noch wollen viele
Menschen nach Berlin ziehen. Die Stadt
muss bauen, 30 000 neue Wohnungen sol-
len bis 2025 entstehen, darauf hat sich die
Koalition vor drei Jahren geeinigt.
Bisher läuft es allerdings schleppend,
die notorisch überforderte Verwaltung der
Hauptstadt verhindert ein schnelleres Tem-
po. Gerade mal ein paar Tausend kommu-
nale Wohnungen sind derzeit in Planung
und Bau. Das ist ein klares Defizit, für das
die Stadtregierung verantwortlich ist.
Die politischen Gegner und auch man-
che Sozialdemokraten lasten es der Sena-
torin an. »Kräne müssten sich wie verrückt
drehen«, schimpfte dieser Tage der West-
berliner Alt-Sozi Heinz Buschkowsky im
Boulevardblatt »BZ«. Eine »Bauverhinde-
rungssenatorin« sei Lompscher. »Außer
Staatsdirigismus und mit Volldampf in die
DDR 2.0 kommt da nix.«
Lompscher hält das für
»Propaganda«. Kein einzi-
ges Gesetz stelle das Pri-
vateigentum an Immobi-
lien infrage. Die SPD und
auch ihre linken Partei-
freunde hätten außerdem
im vergangenen Jahrzehnt
den Bedarf nicht erkannt
und stattdessen »leider
wegen der damaligen
Haus haltsnotlage weiter
städtische Wohnungsbe-
stände verkauft«.
Mit dem Mietendeckel
hat sich die Senatorin ein
Projekt zu eigen gemacht,
von dem sie anfangs wenig
begeistert war. Eine bun-
desweite Regelung hielt sie
für aussichtsreicher als ei-
nen Berliner Alleingang.
Auch ihre Partei befand
sich auf einem ganz an -
deren Weg: Die Linke
unterstützte das Volks -
begehren zur Ver gesell -
schaftung von Wohnungs-
konzernen, die mehr als
3000 Wohnungen in Ber-
lin besitzen.
Die Kampagne war
durchaus populär. In Um-

fragen sprach sich zeitweise über die Hälfte
der Befragten für die Enteignung von Deut-
sche Wohnen und Co. aus. Die erste Hürde
für das Volksbegehren – 20 000 Unter-
schriften – nahmen die Aktivisten mit
Leichtigkeit. Ein Gutachten für den Senat
bescheinigte ihnen, dass ihr Vorhaben vom
Grundgesetz gedeckt sei.
Doch die Entschädigungskosten wären
immens: nach einer Rechnung der Berliner
Verwaltung mindestens 28,8 Milliarden
Euro. Der Regierende Bürgermeister Mi-
chael Müller (SPD) suchte einen Ausweg


  • und kam auf den Mietendeckel.
    Die von ihm beauftragte Bausenatorin
    Lompscher machte sich ans Werk. Ihr ers-
    tes Arbeitspapier sah noch erhebliche Ein-
    schränkungen für den Fall vor, dass Miet-
    in Eigentumswohnungen umgewandelt
    werden sollen. Das wurde gestrichen, län-
    gere Verhandlungen führten zum Gesetz-
    entwurf, über den Lompschers Chef
    Müller sagt: »Wir betreten damit Neuland,
    andere reden darüber, wir machen es.«
    Mit ersten Folgen: Bereits am Montag
    knickte der Aktienkurs der in Berlin stark
    engagierten Immobilienkonzerne Deut-
    sche Wohnen und Vonovia merklich ein.
    Haus und Grundeigentümerverbände
    warnten, dass unter dem Mietendeckel nur
    noch das Allernötigste saniert werde und
    der ohnehin schleppende Neubau ganz
    zum Erliegen komme. Am heftigsten aber
    reagierten Berliner Oppositionspolitiker.
    Der CDU-Abgeordnete Stephan Lenz
    witterte hinter dem Mietendeckel links -
    extremistisches Gedankengut mit dem
    Ziel, den privaten Wohnungsmarkt abzu-
    schaffen.
    Linke wie der Stadtsoziologe Andrej
    Holm, kurzzeitig Lompschers Staatssekre-
    tär, messen dem Mietendeckel durchaus
    strategischen Wert bei – allerdings nicht,
    um das Privateigentum abzuschaffen. Das
    Gesetz markiere eine »echte Wende in der
    Wohnungspolitik« und sei ein Signal über
    Berlin hinaus. In München werden bereits
    Unterschriften für ein Volksbegehren zum
    Mietendeckel gesammelt. Holm freut sich
    über ein Thema, »das zur politischen Mo-
    bilisierung taugt«.
    Auch andere in der Linkspartei hoffen,
    dass der Kampf für die Rechte der Mieter
    ihrer schwächelnden Partei Auftrieb gibt.
    Es ist ein Anliegen, auf das sich alle Flügel
    einigen können.
    Caren Lay, wohnungspolitische Spre-
    cherin der Linken im Bundestag, hat
    keinen Zweifel, dass ihre Partei Wohnen
    und Mieten »zum wichtigen Wahlkampf -
    thema« machen müsse. »Wir sollten die
    Linke als Partei der Mieter und Mieterin-
    nen etablieren.« Und dabei, sagt Lay, »hilft
    Katrin Lompschers Mietendeckel sehr«.
    Andreas Wassermann
    Mail: [email protected]


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Deutschland

Berliner Mietendeckel
Die Mieten werden rückwirkend
zum 18. Juni 2019 eingefroren*.
Profiteure
rund 1,5 Mio. Haushalte
Geltungsdauer
Vorerst 5 Jahre; ab 2022
sind Anpassungen von
1,3 % pro Jahr erlaubt.
Mietobergrenze
Auf Basis des Mietspiegels
von 2013; berücksichtigt
werden Ausstattung,
Baujahr und Lage.
Mietwucher
Liegt die Miete mehr als
20 % über der zulässigen
Mietobergrenze, kann bei
bestehenden Verträgen eine
Mietminderung beantragt werden.
Modernisierung
Maßnahmen dürfen nur in einer
Höhe von 1 Euro/m² umgelegt
werden; höhere Umlagen nur
auf Antrag.
Vermieterschutz
Bei wirtschaftlichen Härtefällen
auf Vermieterseite können Miet-
erhöhungen genehmigt werden.

Quelle: stadtentwicklung.berlin.de

* Für Wohnungen, die vor 2014 gebaut wurden.
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