Der Spiegel - 26.10.2019

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wollten feiern. Die meisten waren am
Kraftwerk von der Polizei in Gewahrsam
genommen worden, ein paar hatten vor
dem Haftrichter ihre Identität preisgege-
ben. Sie vermuteten: Wer seinen Namen
nennt, landet wohl nicht in Untersuchungs-
haft. Die Stimmung bei dem Treffen war
gut, die Aktivisten tranken Sekt.
Solche Gruppen bilden sich oft in diesen
Tagen, von Einsatz zu Einsatz verändert
sich ihre Zusammensetzung. Manche ope-
rieren mit plakativen Namen und Slogans:
Im September drangen Aktivisten unter
dem Motto »Free the soil« auf das Gelände
eines Chemiewerks in Brunsbüttel ein, das
Ammoniak für Düngemittel herstellt. Das
Bündnis »Sand im Getriebe« versperrte
die Zugänge zur Automobilmesse IAA in
Frankfurt am Main. Im August stoppte die
»Aktion Autofrei« einen Zug mit 200 Neu-
wagen, der gerade das VW-Werk in Wolfs-
burg verlassen hatte. Im Kieler Hafen hin-
derten im Juni knapp 50 Aktivisten ein
Kreuzfahrtschiff am Auslaufen, ihr Name:
»TurboKlimaKampfGruppe«.
Manche der Aktionen erinnern an die
Guerillataktiken, mit denen Greenpeace
schon vor Jahrzehnten gegen Großkonzer-
ne vorging. Was für die Aktivisten früher
der Walfänger war, ist heute der SUV-Fah-
rer oder der RWE-Manager.
Es sind keine Massenproteste, sondern
gut vorbereitete Operationen kleiner Grup-


pen. Man kennt sich, vertraut einander,
achtet darauf, nur in verschlüsselten Mails
zu kommunizieren. Viele Aktivisten haben
sich bei Veranstaltungen kennengelernt,
die im Namen der Klimagerechtigkeit statt-
finden. Tausende besuchen deren Konfe-
renzen und Camps, auch Cornelia Wockel
sieht sich als Teil dieser Bewegung.

Die 22-Jährige stammt aus Niedersach-
sen, inzwischen lebt sie in Ilmenau, wo sie
Technische Physik studiert. Wockel tritt
als überzeugte Klimaaktivistin auf. Sie war
dabei, als das Kraftwerk in Weisweiler blo-
ckiert wurde, und steht nun deshalb vor
Gericht. Die Schadensersatzforderung von
RWE richtet sich auch gegen sie.
An jenem Morgen legte sich Wockel auf
das Kohleförderband, befestigte ihren
Arm mit einer Gipsfessel in einem Stahl-
rohr. Weil sie wusste, dass sie in dieser
Posi tion stundenlang verharren würde,
zog sie vorher eine Windel an. Mithilfe
eines Bügelschlosses fixierte sie ihren Hals
an einer Stange des Dreibeins, den Schlüs-
sel warf sie in den Kohlebunker.
Hätte ein RWE-Arbeiter das Förder-
band wieder in Gang gesetzt, hätte sie sich
womöglich selbst stranguliert.
Wockel ist eine zierliche Frau mit
schwarzem, kurzem Haar. »Ich habe das
Recht, eine Zukunft zu fordern«, sagt sie
bei einem Treffen. Je länger es »einen

Handlungsstillstand in der Regierung«
gebe, desto angemessener würden solche
Aktionen. »Und wir haben den Stillstand
seit Jahrzehnten, irgendwann muss man
zu anderen Mitteln greifen.«
Manchmal zittert ihre Stimme, sie deu-
tet bloß an, dass manche Menschen in ih-
rem Umfeld mit ihrem Leben als Aktivistin
hadern. Trotzdem steht Wockel zu dem,
was sie tut, es störe sie nicht, sagt sie, öf-
fentlich ihren richtigen Namen zu lesen.
Sie spricht von der Ungerechtigkeit, die
der Klimawandel mit sich bringe, vom
Kapitalismus, davon, dass man »nur mit
einem sozial-ökologischen Systemwandel«
Emissionen einsparen könne.
Wockel ist ein politischer Mensch. In
eine Partei eintreten möchte sie trotzdem
nicht, sagt sie. Es gebe keine Partei, die
ihre Interessen vertreten würde. »Selbst
die Grünen nicht.« Wockel macht lieber
Bildungarbeit an ihrer Uni, plant Veran-
staltungen zum Thema Feminismus. Sie
hat die »Fridays-for-Future«-Gruppe in Il-
menau mit aufgebaut, sie war beim G-20-
Gipfel in Hamburg und half dabei, das
Kreuzfahrtschiff in Kiel zu blockieren.
»Ich brauche kein Parlament, keine Par-
tei, um etwas zu verändern«, sagt sie. Für
Wockel ist »radikal« kein negatives Wort:
»Bei einer radikalen Klimakrise, die Mil-
lionen bedroht, ist eine gewisse Radikalität
auch angebracht.«

50 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019

Deutschland

MARINA ROSA WEIGL / DER SPIEGEL

FOTOS:
Klimaschützer Meyer, Wockel: »Ich brauche kein Parlament, keine Partei, um etwas zu verändern«
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