Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
Es ist schwierig, jemanden wie Cornelia
Wockel einzuordnen. Man kann sie mutig
nennen, ihren Einsatz bewundernswert
finden. Richtig ist aber auch, dass sie Ge-
setze bricht und die Grenzen des Erlaub-
ten weit überschreitet. Ihre Ideen und die
Aktionen, an denen sie teilnimmt, verlet-
zen die Regeln des Rechtsstaats, demokra-
tische Verfahren lehnt sie teilweise ab.

Im Bundesamt für Verfassungsschutz
verfolgt man die neuen Bündnisse mit Sor-
ge. »Zahlreiche linksextremistische Grup-
pierungen« versuchten, »Einfluss auf die
Klimaproteste zu nehmen«, teilt eine Spre-
cherin der Behörde mit. Auch die mode-
rate »Fridays-for-Future«-Bewegung sei
»für Linksextremisten aus dem gewalt -
orientierten wie dem dogmatischen Spek-
trum attraktiv«, es gebe »einzelne gegen-
seitige Solidaritätsbekundungen«.
Für den Strafprozess gegen die Kraft-
werksblockierer hat das Gericht in Esch -
weiler ein Sicherheitskonzept entwickelt,
es wird strenge Einlasskontrollen geben.
Zuletzt war es bei Verhandlungen gegen
Aktivisten aus dem Hambacher Forst bei
verschiedenen Gerichten zu Tumulten ge-
kommen. Unterstützer der Angeklagten
sollen einmal mit Dreck um sich geworfen
und Zeugen beleidigt haben.
Auch vor dem Prozess in Eschweiler ma-
chen die Aktivisten mobil. Es wurden Fly-
er und Plakate gedruckt, um auf die Klage
von RWE aufmerksam zu machen. Für
den ersten Prozesstag ist eine Kundgebung
vor dem Gericht geplant.
Sie wollten den Prozess »als Bühne«
nutzen, ihn »politisch führen«, sagen die
Angeklagten und ihre Anwälte. In Paragraf
34 des Strafgesetzbuchs glauben sie, eine
juristische Basis für ihr Handeln zu haben,
es geht darin um den »Rechtfertigenden
Notstand«. Die Blockade, so die Verteidi-
gungsstrategie, sei nötig gewesen, um eine
größere Gefahr, den Klimakollaps, abzu-
wenden. Als Sachverständigen wollen die
Angeklagten einen Kinderarzt laden las-
sen, der über Feinstaub spricht. Genauso
wie einen Familienvater aus Tansania: Der
könne berichten, wie der Klimawandel sei-
ne Heimat zerstöre.
Die einen versuchen, den Prozess zu
emotionalisieren, die anderen wollen ihn
versachlichen.
»Dringt jemand unbefugt in ein Privat-
haus ein und verursacht dort Schäden,
würde man auch fordern, dass das wieder-
gutgemacht wird«, teilt ein Sprecher von
RWE mit. Das Unternehmen erzeuge den
Strom mit Anlagen, »die auf der Grundla-
ge von demokratischen Entscheidungen
und staatlichen Genehmigungen errichtet
und betrieben« würden. Durch die Blocka-
de sei eine Leistung von mehr als 2000
Megawatt entfallen, RWE habe an der
Strombörse Ersatz beschaffen müssen,


was teuer gewesen sei. Dieses Geld will
der Konzern zurück.
Seit Ende 2014 kam es nach RWE-
Angaben zu mehr als 700 gewalttätigen
Angriffen auf Tagebaue, Kraftwerke und
Mitarbeiter. Meistens konnte RWE nur An-
zeigen gegen unbekannt stellen, gewöhn-
lich kam bei den Verfahren nichts heraus.
Dieses Mal könnte es anders sein. Die Kla-
ge gegen die sechs Aktivisten ist auch ein
Zeichen an die Belegschaft: Wir wehren
uns. Ein Zeichen an Mitarbeiter wie Detlef
Seitz, 57, und Michael Lehmann, 55.
Die beiden Männer blicken auf Bild-
schirme im Leitstand des Kraftwerks in
Weisweiler, einer Art Kommandobrücke
der Anlage. Seitz ist Obermaschinist, Leh-
mann Betriebsratsvorsitzender. Ihr Kraft-
werk verbraucht am Tag 58 000 Tonnen
Braunkohle. Es erzeugt 15,5 Milliarden
Kilo wattstunden Strom im Jahr, was unge -
fähr viermal dem jährlichen Verbrauch
von Düsseldorf entspricht.
»Wir bringen seit 60 Jahren den Saft ins
Land«, sagt Seitz, »damit Server laufen,
damit sich die Leute Handynachrichten
schicken können, damit sich die Republik
dreht.« Kollege Lehmann nickt. Und trotz-
dem sei es für viele Aktivisten »leider ein
Ritual geworden, RWE schlechtzuma-
chen«, sagt er. Die Männer schütteln den
Kopf, nach der Blockade seien die Sicher-
heitsvorkehrungen in ihrem Kraftwerk ver-
schärft worden, überall sehe man jetzt den
Wachdienst herumlaufen, die Belegschaft
komme sich manchmal vor wie im Sicher-
heitsbereich eines Flughafens.
RWE hat kürzlich angekündigt, bis
2040 klimaneutral zu werden, der Strom
soll künftig aus erneuerbaren Quellen statt
aus fossilen Brennstoffen kommen. »Es
verändert sich doch was über die Zeitschie-
ne«, sagt Lehmann, »nur eben nicht von
heute auf morgen.« Und die Aktivisten,
die sagen, dass es morgen schon zu spät
sei? »Wer immer gegen alles ist«, sagt Leh-
mann, »wird irgendwann dastehen und
gar nichts mehr haben.«
Meyer und Wockel sagen, die Blockade
in Weisweiler sei nicht ihre letzte Aktion
gewesen. Sie rechnen nicht damit, dafür
im Gefängnis zu landen. Wenn es im Straf-
verfahren zu Geldstrafen kommt, wollen
sie Spendenaufrufe starten. Sollte RWE
im Zivilprozess recht bekommen, könnten
in Zukunft ihre Einkünfte gepfändet wer-
den, und zwar für die nächsten 30 Jahre.
»Ich habe keine Angst vor 30 Jahren Schul-
den«, sagt Meyer, »sondern davor, wie die
Welt in 30 Jahren aussehen wird.«
Er lebe seit Langem von rund tausend
Euro im Monat, sagt Jonas Meyer, er liege
damit unterhalb der Pfändungsgrenze.
Mehr Geld brauche er nicht.
Lukas Eberle
Mail: [email protected]

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