Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

E


s ist ein Nachmittag Ende Juli, Irfan
Peci hat die Schnauze voll. Von den
Flüchtlingen. Von der Politik. Von
den ganzen Sozialschmarotzern. Gerade
hat ihm seine Gesprächspartnerin auf
WhatsApp einen Artikel über einen Mi -
granten aus Eritrea geschickt, der wenige
Stunden zuvor einen achtjährigen Jungen
vor einen ICE gestoßen haben soll.
Jetzt, am 29. Juli um 17.28 Uhr, lässt Peci
seinem Hass freien Lauf: »Dreckiger Nig-
ger«, schreibt er. Wenige Minu-
ten später, als seine Chatpartne-
rin auf eine ähnliche Tat eines
Serben in Nordrhein-Westfalen
verweist, schickt er noch eine
Sprachnachricht hinterher. »Das
war kein Serbe. Das war ein
Dreckszigeuner! Auch so ein
dreckiger Hurensohn. Genauso
wie der andere Drecksnigger!
Nur so lauter scheiß dreckige
kleine verfickten Minderheiten,
die so einen Scheiß machen«,
schimpft der Mann mit serbi-
schen Wurzeln in sein Handy.
So weit, so widerlich.
Doch Irfan Peci, 30, ist ein
Vorbild – oder sollte es zumin-
dest sein. Der frühere Islamist
und Chef einer Qaida-Pro -
pagandaplattform, der dann
V-Mann für den Verfassungs-
schutz wurde, ist heute Buch -
autor und Medienliebling. Ein
selbst ernannter Fachmann für
so ziemlich alles, was irgendwie
mit Terrorismus, Prävention
und Deradikalisierung zu tun
hat. So sitzt Peci im Expertenrat
des Beauftragten gegen Antisemitismus in
Baden-Württemberg – einem honorigen
Gremium, das von der Landesregierung
ins Leben gerufen wurde.
Die Chatprotokolle Pecis von Juli und
August 2019, die dem SPIEGELvorliegen,
lassen den Vorzeigeaussteiger und Anti -
semitismusfachmann allerdings in einem
schlechten Licht erscheinen. Seine rassis-
tischen Äußerungen werfen die Frage auf,
ob der Ex-Salafist von einem Extrem ins
andere gefallen ist. Belegt ist, dass Peci
sich inzwischen auch in rechtspopulisti-
schen Kreisen bewegt. Zweifel an seiner
Eignung für staatlich geförderte Deradika-
lisierungs- und Präventionsarbeit scheinen
angebracht.


Der Erfolg Irfan Pecis als Experte be-
ruhte lange auf seinem Lebenslauf. Als
Sohn serbischer Flüchtlinge wuchs er in
Weiden in der Oberpfalz auf. Er ist Mus-
lim. Als Jugendlicher geriet er Mitte der
Nullerjahre in salafistische Kreise. In Wien
lernte er den österreichischen Islamisten
Mohamed Mahmoud kennen, der zu die-
sem Zeitpunkt im Internet für al-Qaida
trommelte: »Globale Islamische Medien-
front« hieß dessen Hetzseite.

Nach Mahmouds Festnahme 2007 über-
nahm Peci für einige Monate die Leitung
des Terroristenkanals. Dann musste auch
er ins Gefängnis. Seine Loyalitäten änder-
ten sich. Zwischen 2009 und 2010 spio-
nierte er als V-Mann des Verfassungsschut-
zes seine Glaubensbrüder aus. »Dutzende
Ausreisen« in den Dschihad habe er mit
den Behörden verhindert, sagte Peci jüngst
in einem Vortrag. Er neige zu Übertreibun-
gen, heißt es in Sicherheitskreisen.
Nach seiner Enttarnung als Spitzel
schrieb Peci mit zwei »Stern«-Journalisten
2015 ein Buch. Er wurde zu einem gefrag-
ten Gesprächspartner. Peci saß bei Markus
Lanz, das ZDF drehte eine 45-minütige
Dokumentation über ihn. Hinzu kamen

Vorträge, Interviews und Engagements in
staatlich geförderten Projekten wie dem
Verein »Neue Narrative«, der sich an Ju-
gendliche richtet und islamistische Propa-
ganda widerlegen will.
Die mediale Aufmerksamkeit weckte
Pecis Geschäftssinn. Mit der Angst lässt
sich offenbar Geld verdienen. Im Internet
bietet er ein »Antiterrortraining« an. Auf
seiner Seite finden sich Videokurse mit
den Titeln »Terroristen erkennen«, »Ver-
halten bei Terroranschlägen« oder »Die
sichersten und unsichersten Gebiete
Deutschlands«. Kostenpunkt: 59,90 Euro
pro Video. Der praktische Nutzen dieser
Filme dürfte sich in Grenzen halten.
Als umtriebiger Islamismuswarner
scheut Peci auch nicht den Kontakt zum
rechten Spektrum. Im Gegenteil. Auf
Facebook betreibt er – nach eigenen An-
gaben zusammen mit anderen – die Seite

»Meldestelle Islamismus«. Dort erscheinen
immer wieder islamophobe Beiträge. So
macht sich die Seite über angeblich Kamel -
urin trinkende Muslime lustig.
Über diese Facebook-Seite entsteht der
Kontakt zu der Frau, die Peci schließlich
in Bedrängnis bringen wird.
Jessica Burow* ist hager und blass. Un-
ter ihren Augen liegen dunkle Schatten.
Die 42-Jährige will die Sache mit Irfan Peci
erzählen. Sie ist aufgewühlt. Ihr gehe es
gerade nicht gut. »Seit meiner Jugend ten-
diere ich zu Extremen«, sagt sie. 2011 sei
eine Borderline-Persönlichkeitsstörung bei
ihr festgestellt worden. Betroffene leiden

* Name geändert.

54 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Deutschland

Neue Loyalitäten


IslamismusDer frühere Salafist Irfan Peci gilt als Vorzeigeaussteiger.
Doch nun tauchen Nachrichten auf, in denen er gegen
Flüchtlinge hetzt. Taugt er als Experte für Deradikalisierung?

VIENNAREPORT / IMAGO STOCK
Gastredner Peci bei FPÖ-Veranstaltung im September in Wien: »Irgendwelche Halbwilden aus Afrika«
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