Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

Der Australier Clark, 59, zählt zu den be-
deutendsten Historikern und hat sich weit
über die Fachwelt hinaus durch Bestseller
über Preußen oder den Ausbruch des Ersten
Weltkriegs (»Die Schlafwandler«) einen Na-
men gemacht. Im Rechtsstreit mit dem Land
Brandenburg ver wenden die Hohenzollern
ein Gutachten, das der Cambridge-Profes-
sor vor acht Jahren für die ehemalige Herr-
scherfamilie angefertigt hat. Die Hohenzol-
lern fordern eine Millionenentschädigung,
was Brandenburg ablehnt, weil der einstige
Kronprinz Wilhelm, bis 1951 Chef des Hau-
ses, dem Nationalsozialismus »erheblichen
Vorschub« geleistet habe. Die Hohenzollern
bestreiten dies (SPIEGEL31/2019). Erstmals
spricht Clark nun über seine Gutachter -
tätigkeit.


SPIEGEL:Herr Professor Clark, dürfen Sie
mit uns über die Hohenzollern reden?
Clark:Ich spreche, mit wem ich möchte.
Wie kommen Sie auf die Frage?
SPIEGEL:Sie sind Gutachter der Hohen-
zollern. Diese wollten den Rechtsstreit mit
dem Land Brandenburg zunächst geheim
halten und haben sogar versucht, per Ge-
richtsbeschluss ein Stillschweigen der Be-
teiligten durchzusetzen.
Clark:Ich habe 2011 mein Gutachten ge-
schrieben, was danach geschah, habe ich
bis zur jüngsten Eskalation des Rechts-
streits nicht verfolgt.
SPIEGEL:War das nicht naiv?
Clark:Ich bin Historiker, nicht Jurist.
SPIEGEL:Wie kam es zu Ihrem Engage-
ment für die Hohenzollern?
Clark:Anwälte der Familie haben über
einen meiner Kollegen angefragt, ob ich
Interesse hätte, ein Gutachten zu schrei-
ben. Es ging um den ehemaligen Kronprin-
zen Wilhelm: Wie verhielt er sich vor und
während der Machtergreifung der Natio-
nalsozialisten und in der Phase danach, als
Hitler seine Macht konsolidierte? So etwas
ist für Historiker interessant.
SPIEGEL:Hier geht es nicht um Geschichts-
schreibung, sondern um viel Geld. Die
Sowjets haben die Hohenzollern in ihrer
Besatzungszone enteignet. Der Familie
steht eine Entschädigung zu – es sei denn,
sie hätte den Nazis »erheblichen Vor-
schub« geleistet, wie es im Gesetz heißt.
Clark:Diese Rechtslage ist – angesichts
der neueren Geschichte aus nachvollzieh-


baren Gründen – eine deutsche Besonder-
heit. Sie führt jedoch zu einer Vermengung
von historischem Urteil, politischer Moral
und Justiz. Wenn die Hohenzollern auf
ihren Besitz nicht verzichten wollen, sind
sie gezwungen, historisch zu argumen -
tieren.
SPIEGEL:Und Sie helfen dabei.
Clark:Das sehe ich nicht so. Ich habe den
Anwälten damals vorweg mitgeteilt, dass
ich ergebnisoffen arbeiten werde.
SPIEGEL:Ein Anwalt der Hohenzollern
hat kürzlich erklärt, man habe Sie auch
deshalb beauftragt, weil Ihnen als Austra-
lier ein unbefangener Blick auf unsere Ge-
schichte eher möglich sei.
Clark:Ich lasse mich auf eine solch billige
Weise nicht instrumentalisieren.
SPIEGEL:Können Sie das als Gutachter
überhaupt vermeiden?
Clark:Nach meiner Erinnerung ging es
eher um ein privates Gutachten, weniger
um ein Gutachten für die Öffentlichkeit. Ich
habe die Dimension der Auseinanderset-
zung allerdings vollkommen unterschätzt
und auch nicht damit gerechnet, dass da-
raus ein derart großer Rechtsstreit ent -
stehen würde.
SPIEGEL:Georg Friedrich Prinz von Preu-
ßen geht mit presserechtlichen Mitteln und
sogar einer Strafanzeige gegen Historiker
und Journalisten vor, die sich zu den Ho-
henzollern geäußert haben. Betroffen sind
Kollegen von Ihnen wie Stephan Mali-

nowski, Karina Urbach oder Winfried Süß,
aber auch Blätter wie die »Frankfurter All-
gemeine«, die »Berliner Zeitung« und die
»Zeit«.
Clark:Das ist wirklich ungeheuerlich. Ich
finde es schrecklich, dass juristische Mittel
gegen geschätzte Kollegen und seriöse
Journalisten eingesetzt werden. Eine offe-
ne historische Auseinandersetzung muss
immer möglich sein.
SPIEGEL:Manchmal formulieren wir His-
toriker und Journalisten vielleicht nicht in
allen Punkten präzise genug.
Clark:Ich will nicht ins Detail gehen, aber
die juristischen Angänge müssten meines
Erachtens sofort aufhören. Allerdings stört
mich auch die Polemik auf der anderen
Seite. Manche Kritiker der Hohenzollern
beschränken sich ja nicht darauf, die An-
sprüche als unberechtigt zurückzuweisen.
Sie bezeichnen die Familie vielmehr als
Sippe, Clan oder Bande. Da frage ich mich,
was die emotionalen Hintergründe einer
solchen Sprache sind.
SPIEGEL:Haben Sie eine Vermutung?
Clark:Es gibt in der deutschen Öffentlich-
keit anscheinend ein anti-adeliges Ressen-
timent.
SPIEGEL:Das Sie nicht teilen?
Clark:Ich hasse die Hohenzollern nicht,
und ich verehre sie nicht. Aber ich glaube
an so etwas wie das Urteil der Weltge-
schichte. Und dieses Urteil ist 1918 und
1945 zuungunsten der Hohenzollern aus-
gefallen, und die Familie muss mit diesem
Urteil leben. Das ist nicht leicht. Man sollte
verstehen, dass ihre Herkunft nicht nur
ein Privileg ist, sondern auch eine Last.
SPIEGEL:Wie sind Sie bei der Arbeit an
Ihrem Gutachten vorgegangen?
Clark:Ich hatte wenig Zeit und habe meine
Auftraggeber gebeten, Kopien aller einschlä -
gigen Akten aus dem Hausarchiv der Ho-
henzollern zu schicken. Da waren Unter -
lagen dabei, die den Kronprinzen sehr be-
lasteten. Ich hatte also nicht den Eindruck,
dass mir etwas vorenthalten wurde. Da war
zum Beispiel ein Brief von 1934 an den bri-
tischen Zeitungszaren Lord Rothermere, in
dem Wilhelm prahlte, wie sehr er Hitler
auf dem Weg zur Macht geholfen habe.
SPIEGEL:Dann hat er also den Nazis doch
erheblich Vorschub geleistet?
Clark:Das kommt darauf an, was Sie unter
»erheblichem Vorschub« verstehen. Der

56 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Deutschland

P. MATSAS / OPALE / LEEMAGE / LAIF

»Der Mann war eine Flasche«


ZeitgeschichteDer Historiker Christopher Clark hat sich mit einem Gutachten


auf die Seite der Hohenzollern gestellt. Jetzt aber distanziert er sich vom juristischen Feldzug,
den das Adelshaus im Streit um seine Millionenforderungen gegen viele Kritiker führt.

»Es gibt in der
deutschen Öffentlichkeit
anscheinend ein anti-
adeliges Ressentiment.«

Christopher Clark
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