Der Spiegel - 26.10.2019

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Zu naiv für die Weltbühne


LeitartikelKramp-Karrenbauers Vorschlag für Nordsyrien führt in die Akzeptanz der Barbarei.


E


s gibt Worte im Falle Syriens, die sind zum Hohn
ihrer eigentlichen Bedeutung geworden. »Schutz -
zone« ist so ein Wort. Eine Schutzzone versprach
die türkische Regierung in Nordsyrien einzu -
richten, als sie vor zwei Wochen dort mit wahllosem Mör-
serbeschuss und Luftangriffen ihre Invasion begann
und 180 000 Menschen zur jähen Flucht zwang. Vorher
war es dort ruhig gewesen, durchaus sicher.
Gleich vier sichere Areale, als »Deeskalationszonen«
etikettiert, versprach die russische Führung 2017 für
Syriens Aufstandsgebiete. Drei von denen sind mittler -
weile zusammengeschossen wor-
den, Hunderttausende Menschen
in die vierte Zone geflohen, die
nun vor dem Sturm steht: Idlib.
Am Montag kündigte Bundes-
verteidigungsministerin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer an, in
Nordsyrien eine internationale
Schutzzone einrichten zu wollen,
gemeinsam mit Russland und der
Türkei. Gewiss definiert sie das
anders, als ihre beiden politischen
Partner in spe dies tun. Aber das
macht die Sache nicht besser.
Es sei doch mutig, hieß es in
Stimmen des Zuspruchs: AKK zei-
ge Initiative, Deutschland könne
nicht ewig abseitsstehen. Die
Kommentare klangen, als wäre es
das Wichtigste, endlich wieder auf
der Weltbühne mitzuspielen.
Doch welches Spiel? Nach wes-
sen Regeln?
Sich nach dem US-Abzug nun
jenen anzudienen, vor denen es
Zivilisten eigentlich zu schützen gälte, ist absurd. Russ-
lands Luftwaffe hat über Jahre Krankenhäuser oder Märk-
te in Syrien bombardiert, hat sich bemüht, die Chemiewaf-
fenangriffe Baschar al-Assads zu vertuschen und ihn um
jeden Preis an der Macht zu halten. Die türkische Regie-
rung hat den »Islamischen Staat« jahrelang gewähren las-
sen, bis an den Rand der Unterstützung.
Seit 2018 baten die USA und Frankreich immer drängen-
der, Deutschland möge sich an der Anti-IS-Mission in Nord-
ostsyrien mit Truppen beteiligen. Es hätte die Chance ge -
geben, ungefähr ein Drittel des Landes zur Ruhe kommen
zu lassen, unter amerikanischer Schirmherrschaft vor Luft-
angriffen zu schützen und wiederaufzubauen, was vom
Anti-IS-Kampf eingeäschert worden war.
Aber nicht einmal daran wollte sich die Bundesregierung
mit mehr als essenzieller Nothilfe beteiligen: Das kurdische
Gebiet sei nicht wirklich demokratisch regiert; die PKK,

das militante Mutterschiff der in Nordsyrien herrschenden
Partei, als Terrororganisation in Deutschland gelistet.
Alles korrekt, dennoch eine fatal verpasste Gelegenheit.
Die letzte. Denn der jähe amerikanische Ausstieg hat eine
blitzartige Kettenreaktion ausgelöst: Als Erstes marschierte
die Türkei ein. Die im Stich gelassenen Kurden unterwar-
fen sich unter russischer Vermittlung wieder dem Regime
von Assad in Damaskus, dessen Truppen nun von Süden
vorrücken.
Als Deutschland gerade begann, über AKKs Vorschlag
zu diskutieren, teilten Kremlchef Wladimir Putin und
der türkische Präsident Recep
Tayyip Erdoğan im Kurort
Sotschi Syrien unter sich auf.
Erdoğan bekommt seine Beute,
der »etablierte Status quo« der
türkischen Operation »Friedens-
quelle« wird beibehalten. Das
heißt: Die Bewohner der syri-
schen Städte Tall Abjad und Ras
al-Ain, die ohne jede Unterschei-
dung zwischen Kämpfern und
Zivilisten um ihr Leben rennen
mussten, sie werden wohl nicht
zurückkehren dürfen.
Stattdessen hat Erdoğan wie-
derholt angekündigt, bis zu zwei
Millionen in die Türkei geflüchte-
te Syrer in dieses Gebiet abschie-
ben zu wollen. Dabei kommen
diese aus ganz Syrien, aber nur
wenige aus jenem überwiegend
kurdischen Landstrich, wo sie
nun zwangsangesiedelt werden
sollen. Das nennt man ethnische
Säuberung. Nichts, woran sich die
Bundesregierung beteiligen sollte. Aber auch nichts, was die
Bundeswehr oder ein EU-Kon tingent verhindern könnte.
Wie sollten deutsche Soldaten türkische Truppen davon
abhalten, weitere Bewohner aus eroberten Dörfern zu ver-
treiben? Mit Waffengewalt?
Oder, grausiger noch: Was sollten sie mit den Türken
gemeinsam tun? Den Deportationen das Siegel deutscher
Beteiligung geben? Assads längst begonnene Rückkehr in
diesen Teil des Landes mit Ausbildungsmissionen für
Marodeure begleiten? Russland hätte für seine und Assads
Verbrechen gegen die Menschlichkeit liebend gern die
deutsche Zustimmung und finanzielle Aufmerksamkeit
in Milliardenhöhe.
Genau das ist es, was von diesem Vorschlag übrig blei-
ben wird nach seinem absehbaren Scheitern: ein Schritt hin
zur Akzeptanz der Barbarei. Das ist mehr als naiv. Es ist
ein fataler Fehler. Christoph Reuter

MONIKA SKOLIMOWSKA / DPA
Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer

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DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019
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