Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

E


in Michelin-Stern. Wie ärgerlich.
Ein Stern für ein Lokal, das es nach
Ansicht vieler in Heidelberg gar
nicht geben sollte. Andere Städte
feiern das Lokal, den Koch, den neuen
Stern. Heidelberg nicht. Im Gegenteil.
Eine Reise zu diesem Stern bringt eine
seltsame Geschichte an den Tag: über Ko-
chen, Kunst, Moral und Kommunalpolitik.
Es ist die Geschichte eines Lokals namens
»Oben« und die einer Stadt, die vor Ge-
richt darum kämpft, es dem Betreiber ab-
zunehmen, trotz des Sterns. Oder sogar:
wegen des Sterns.
Die Juristen sind am Werk, das Verfah-
ren läuft.
Blühender Lavendel, malmende
Ziegen hinter einem hölzernen Wei-
dezaun. Ein Gebäudeensemble mit
viel Naturstein, Holzverschalung,
hie und da etwas Kunst. Vor gut
vier Jahren hat Familie Hofbauer
den Alten Kohlhof, fünf Kilometer
süd östlich der Altstadt, gekauft und
renoviert. Sehr dezent, ohne Leucht-
schrift und Wirtshausschild. Ein
Lokal für 20 Gäste, mehr nicht.
13 Gänge, für 120 Euro pro Person
plus Getränke, gegessen wird, was
auf den Tisch kommt.
Ein warmer Abend, an einem ro-
hen Holztisch im Garten ist Michael
Hofbauer beschäftigt mit den ersten
Häppchen des Menüs, sein Anwalt
ist auch da. Man redet über Küche
und Kunst, das Arrangement auf
dem Teller lädt dazu ein. Das Weiße
von der Melone, mit dem irgend -
etwas angestellt worden ist, dazu
Chilischärfe, säuerlich-süße Him-
beere, so formschön auf den Tel -
ler geschmeichelt, dass man sich
wünscht, die Kreation wäre von
Dauer, aber das ist sie ja nicht.
In der Küche tätig ist Robert
Rädel, der Sternekoch, gebürtig aus
Dresden, 37 Jahre alt, ein ruhiger
Typ, bärtig, schmal.
Immer wieder Gesprächsthema am
Tisch ist Michael Eckert, FDP-Kom-
munalpolitiker und Rechtsanwalt. Er
ist nicht der Rechtsvertreter der Stadt
im Kohlhof-Prozess, aber einer der Mei-
nungsführer im Gemeinderat. Bei einem Be-
such in seiner Kanzlei in der Heidelberger
Altstadt, vor dem Besuch im Kohlhof, hat
er sozusagen die Klage mit auf den Weg ge-
geben, die Einwände gegen das, was Familie
Hofbauer mit dem Kohlhof macht.
Er verwies auf das Grundbuch, in dem
»wie wir meinen, eindeutig« geregelt sei,
was auf dem Kohlhof zu geschehen habe:
Gastronomie. Eine Gaststätte mit Hotel-
betrieb. Gebe es die nicht, dann falle der
Kohlhof per Rückkauf an die Stadt zurück,
in deren Eigentum das Anwesen früher
war.


Die Hofbauers wollten aber nur woh-
nen. Das Sternerestaurant? Sei spät und
widerwillig eingerichtet worden. »Wenn
wir den Rückkauf zurückziehen würden«,
so Eckert, »würden Sie sehen, wie zwei
Tage später der Gastraum zum Wohnzim-
mer wird.« Darum geht es in diesen Tagen.
Darum kreist der Prozess.
Verhandelt wird auf den ersten Blick
über Bürokratisches, über eine Eintragung
im Grundbuch.
Verhandelt wird aber auch über die
Frage, ob »gutes Essen böse sein kann«,
so formulierte es der Esskritiker der
»FAZ«. Über einen Kulturkampf auf dem
Teller und über die Frage, ob die Kom -

munal politik mitreden soll, was auf dem
Teller liegt.
Bekommt die Stadt den Kohlhof zurück?
Oder dürfen die Hofbauers samt Rädel und
dem Stern auf dem Kohlhof bleiben?
Ja, sagte das Heidelberger Landgericht
in einem Urteil vom 5. Juni 2019: Die Hof-
bauers seien im Recht. Aber die Stadt gibt
nicht auf. »Wir müssen Berufung ein -
legen«, sagte Eckert gleich nach dem Ur-
teil, der Gemeinderat sah es auch so, und
so geschah es.
Also gibt es an diesem Spätsommertag
Blutkrapfen mit Wiesenkräuteressig auf Be-
währung. Die Stadt will lieber Schnitzel.

Michael Hofbauer ist es, der meistens
für die Familie spricht, obwohl seine Frau
Sabine als Eigentümerin eingetragen ist und
sein Sohn Florian das Restaurant betreibt.
Michael Hofbauer ist Geschäftsmann
und Kunsthistoriker, ein entspannt wirken-
der 57-jähriger Herr mit Brille, glattem
Kopf, Freizeithemd, der sich nicht scheut,
seine Meinung zu sagen, gern auch wenn
sie der Meinung anderer widerspricht. An-
gewandte Kunst: Da kommt er her. Er
habe lange hauptberuflich gezeichnet, so
erzählt er – für den Großen Brockhaus,
für Bio logielehrbücher, Naturtafeln, dann
arbeitete er etliche Jahre für die Philate-
lie- Abteilung der Post. Die Geschäfte lie-
fen gut. Er belohnte sich dafür,
indem er sich einem zunächst brot -
losen Interesse verschrieb: Kunst -
geschichte. 16. Jahr hundert. Cranach
und seine Zeit.
Hofbauer hat ein digitales Werks-
verzeichnis von Lucas Cranach dem
Älteren angelegt, hat verschollene
Exemplare aufgespürt und andere
mutmaßlich als Fälschung identifi-
ziert. Manchmal reibt sich seine Ein-
schätzung mit der von anderen,
aber auf jeden Fall genießt er in der
Kunstwelt Respekt.
Es macht ihm Spaß, unübliche
Gedanken zu verfolgen. Ist das ei-
gentlich Kunst, was im Kohlhof auf
dem Teller liegt?
»Wenn nicht nur das Endergebnis
zählt, sondern auch die Genese, die
Gedanken dahinter«, sagt Hofbauer
grübelnd, »dann schon ...«
Es spricht Sinne an.
Es ist flüchtig. Vergänglich.
Aber das ist Konzeptkunst auch.
Und auch die Sinfonie verklingt ja,
wenn sie gespielt worden ist.
Die Gänge der Menüs mit den
Pausen dazwischen, sind sie nicht
wie Akte im Theater?
Auch Eckert sprach von Genuss, in
seiner Kanzlei. Von Bauch und Herz.
Eckert sagte, dass er durchaus et-
was übrig habe für gutes Essen, »das
sieht man ja«. Und dass Robert Rädel
gut koche, er kenne ihn persönlich.
Aber?
Eckert sprach von seiner Kindheit, er
ist Jahrgang 1956, wie so viele Heidelber-
ger habe er den Alten Kohlhof von früher
Jugend an gekannt. Hinter dem Weiler
liegt ein Rodelhang, und ganz früher, als
es noch Schnee gab, konnte man dort auch
Ski fahren.
Im Sommer, sagt Eckert, »wurde ich
von meinen Eltern auf Wanderungen in
dem Gebiet herumgescheucht«. Aber
hinterher gab es zu essen und zu trinken,
im Kohlhof. Was, weiß er nicht mehr
genau, aber es wird wohl »SchniPoSa«
gewesen sein, Schnitzel mit Pommes

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 63

»Oben«-Patron Hofbauer: Kunst auf dem Teller?

Lokalpolitiker Eckert: Mit Motorrad zum Schnitzel
Free download pdf