Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

und Salat. Und Cola. Oder Limo. Oder
Spezi.
Kindheitsgeschichten. Ausflug, Spiel,
und dann in der Wirtschaft sich wünschen
dürfen, was es gibt: In einer Sechziger -
jahre-Kindheit waren das keine Selbstver-
ständlichkeiten, sondern Glücksmomente.
Die Erinnerung daran bleibt.
Ist es elitär, was die Hofbauers aus dem
Kohlhof gemacht haben?
Ist es populistisch, was die Stadt dage-
gen unternimmt?
Es ist ein seltsamer Streit, ohne Kennt-
nis der Vorgeschichte des Kohlhofs und
der Hofbauers fällt es schwer, ihn zu ver-
stehen.
Der Alte Kohlhof gehörte der
Stadt, war seit den 1830er-Jahren
Ausflugs lokal. Ein Wirtshaus, ein
Lieblingsort von vielen.
Trotzdem hat die Stadt das
Grundstück mit dem Alten Kohlhof
in den Neunzigerjahren, Privati -
sierung war Mode, an Privatleute
verkauft. Mit schlechtem Gewissen,
wie es scheint, daher der Grund-
bucheintrag: eine »beschränkte per-
sönliche Dienstbarkeit«, der zu -
folge dort bis zum Jahr 2022 »allen-
falls der Betrieb einer Gaststätte
mit Hotelbetrieb« zulässig sei.
Wenn der Blick über die Obst-
wiesen, das wellige Weideland
schweift, wenn man sich einen Bier-
garten dazudenkt und die Farben,
die Gerüche der Kindheit – ein
Sehnsuchtsort, man versteht das.
Solche Orte sind prägend, sie sollen
Heimat sein. Eckert war auch spä-
ter immer wieder dort, als Ausflüg-
ler mit dem Motorrad.
Grundversorgung, Daseinsvor-
sorge, so heißt das, worum sich
eine Kommune zu kümmern hat.
Schöner Gedanke eigentlich, wenn
eine Gemeinde einen Sehnsuchts-
ort als Kulturvorsorge begreift.
Nur: Man kann so ein Idyll würdi-
gen, kann es fördern, pflegen. Verordnen
kann man es nicht.
Sehnsuchtsort heißt ja nicht, dass der
Sehnsüchtige dauernd herkommt. Oft
reicht es, dass der Ort existiert. Dass man
ihn, wenn man wollte, besuchen könnte.
Dem Vorbesitzer des Alten Kohlhofs
reichte es nicht. Der Betrieb ging in die In-
solvenz.
Der Sehnsuchtsort Wirtshaus: Er hat
ein Problem. Vom »Wirtshaussterben«
spricht der Gaststättenverband Dehoga.
Zwischen 2011 und 2017 ist die Zahl der
Restaurants in Deutschland um rund
5000 gesunken, die der Imbissstuben um
4600 gestiegen.
Die Menschen essen im Vorübergehen.
Oder sie lassen liefern. Es blüht das Ge-
schäft derer, die Menschen davon abhalten,


essen zu gehen. Die Erwartung ist: Es gibt
alles, jederzeit und überall und schnell.
Jederzeit alles zu servieren, für den
schnellen Verzehr, das ist das Gegenteil von
dem, was ein guter Gasthof macht. Nicht
nur Essen, auch Kochen braucht Zeit.
Braucht Menschen, die es können. Die Kön-
ner muss man finden und bezahlen können.
Was den Wirtschaften fehlt, sind nicht nur
die Gäste, sondern auch das Personal.
Wer durchhält, hat möglicherweise
eine fleißige Großfamilie, die die Arbeits-
stunden nicht zählt. Oder er trickst. Es
gibt ja Halb- und Dreiviertelfertigproduk-
te, auf Messen wie der Hamburger Inter-
norga bekommt man sie zu sehen. Röst-

zwiebeln für die Fritteuse. Schnitzel zum
Toasten.
Genau so etwas wollten Hofbauers nicht,
als sie für einen ersten Versuch in der Gas-
tronomie im Jahr 2012 zwei verfallene Bau-
ernhöfe kauften, fünf Autominuten vom
Kohlhof entfernt: Gut Lingental.
Gastgeber sein, gute Küche servieren.
Etwas Schönes aufbauen, so wie es einem
selbst gefällt – es gibt viele Quereinsteiger
in der Gastronomie, die sich das so vor-
stellen. Die Hofbauers kauften, sanierten,
schufen in Lingental einen Ort nach ihrem
Geschmack, betrieben ein Feinschmecker-
lokal, eine Hochzeitsscheune, ein gutbür-
gerliches Biergartenlokal.
Und machten Erfahrung mit Gästen.
Das Problem lag nicht im Feinschme-
ckerbereich, dort verwirklichte sich schon

damals Robert Rädel, ein junger Koch mit
besten Referenzen.
Das Problem, erzählt Michael Hofbauer
bei Schweinewedel mit Apfel und Meer-
rettich, war eine bestimmte Art von Besu-
chern. Jene, die es schnell und billig woll-
ten – und viel, so erzählt es Hofbauer. Und
die in Massen kamen.
»Es gab Gerüchte«, hatte der Anwalt
Eckert in seiner Kanzlei erzählt, »erst woll-
te man’s gar nicht glauben. Aber dann kam
dieser Brief.«
Dieser Brief? »An die Gäste. Sie sollten
sich anständig benehmen.«
Es gab tatsächlich ein Schreiben an die
Gäste, die Hofbauers hatten es im Lokal aus-
gelegt. Sie würden die Öffnungszei-
ten in Lingental einschränken. Sie
hätten Probleme, Personal zu finden,
das Ver halten von Gästen sei daran
schuld. »Tausende von Besuchern
hinterließen täglich ihre Spuren nicht
nur in Form von Verschmutzung und
Beschädigung, sondern führten auch
Mitarbeiter unserer Betriebe an den
Rand ihrer Belastbarkeit«, heißt es
weiter. Es gebe Gäste, die Service-
kräfte »beschimpfen, beleidigen, mit-
unter be spucken«. Es gebe die »ver-
breitete Un sitte einer einseitigen An-
spruchshaltung« – bei gelegentlich
abgrundschlechtem Benehmen.
Der Shitstorm danach? Ein-
drucksvoll. »Kein Wunder«, meint
der Anwalt Eckert. »Das macht
man nicht: seine Gäste beleidigen.«
Es machte das Leben in Lingen-
tal jedenfalls nicht leichter, been-
den wollten die Hofbauers die Sa-
che jedoch nicht.
Der Alte Kohlhof sollte eine Er-
gänzung zu Lingental sein, so be-
schrieben sie es der Stadt. Dann
gab es Überschwemmungen in Lin-
gental, mehrmals, das Projekt Lin-
gental war vorbei.
Wo das Ausflugslokal auf dem
Kohlhof bleibe? Es gab Nachfragen
von der Stadt. Es sei »wirtschaftlicher
Selbstmord«, etwas Derartiges im Kohlhof
zu betreiben, schrieb Hofbauers Anwalt
Michl zurück.
»Wir haben dann doch kalte Füße ge-
kriegt«, sagt Michael Hofbauer. Also orga-
nisierten sie für den 15. Januar 2017 etwas,
das die »Rhein-Neckar-Zeitung« anschlie-
ßend als Eröffnung beschrieb. Am Tag da-
nach kündigte der Heidelberger Oberbür-
germeister den Rückkauf an. Auf dem Kohl-
hof gebe es noch immer keine Gastronomie.
Essen muss der Mensch, wie jedes Tier.
Aber wenn er es will, kann die Pflicht zur
Kür werden, das ist sein Privileg.
Die Kür kann in Prahlerei münden, wie
beim goldenen Steak des Franck Ribéry.
Die Gourmetküche hat auch diese Vari -
ante, wenn sie auf einer Anhäufung von

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Gesellschaft

Sternekoch Rädel: Einlegen, beizen, fermentieren
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