Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1

W


enn Christine Lagarde, die
langjährige Chefin des Inter-
nationalen Währungsfonds,
am 1. November zur Euro -
päischen Zentralbank wechselt, könnte
man darin auch einen Abstieg sehen: we-
niger Mitgliedsländer, weniger Themen,
weniger Glamour. Zudem muss sie von
Washington nach Frankfurt am Main zie-
hen. Warum tut sie sich das an?
Wenn sie dann vor einem sitzt, schnur-
gerade, in einem der unzähligen Büros des
IWF, mit ihrem strahlenden Lächeln, ihrer
makellosen Frisur und ewigen Urlaubs-
bräune, würde man die Frage am liebsten
herunterschlucken, so kleinkariert, wie sie
auf einmal klingt.
»Zunächst einmal«, sagt Christine La-
garde, und ihre Nachsicht wirkt kein biss-
chen bemüht: »Ich wurde gefragt, ob ich
das machen will. Und manche Einladun-
gen lehnt man eben nicht ab.«
Sie schaut einen vergnügt an.
Sie wolle jetzt Deutsch lernen, sagt sie.
Sie habe schon einen Lehrer verpflich-
tet. Sie habe eine Wohnung in der Nähe
des Botanischen Gartens gemietet. Sie be-
sitze auch schon ein Kochbuch mit Frank-
furter Spezialitäten. Und sie weiß, was
Frankfurter Grüne Soße ist.
Manchmal, sagt Christine Lagarde,
wenn sie auf Partys gehe, werde sie danach
gefragt: Warum warst du auf dieser Party?
Und sie sage dann immer: »Na, weil ich
eingeladen wurde natürlich.«
Hat sie tatsächlich Party gesagt?
Es gibt kaum etwas, das Christine La-
garde nicht schönreden kann. Die gelernte
Juristin ist eine Virtuosin des positiven
Denkens, und vielleicht ist es genau das,
was Europas zerstrittene Geldpolitiker,
überwiegend Männer, jetzt brauchen.
Vor sechs Wochen hatte der scheidende
EZB-Chef Mario Draghi ein umfang -
reiches Programm durchgesetzt, um seine
ohnehin lockere Geldpolitik weiter
zu lockern. Es war ein Sieg, der in Wahr-
heit eine Niederlage war. Mehr als ein
Drittel der Ratsmitglieder stellten sich ge-
gen seinen Plan, nicht nur der stets kriti-
sche Bundesbankchef Jens Weidmann,
sondern auch die zuständigen Fachgre-
mien sowie die französischen EZB-Vertre-
ter, die bislang als treue Draghi-Verbün-
dete galten.


Seitdem herrscht Krieg in den gläsernen
Türmen der Europäischen Zentralbank.
Die Kritiker werfen dem EZB-Chef vor, die
Währungsbehörde mit einem schlecht be-
gründeten Alleingang auf Jahre festgelegt
zu haben. Draghis Leute dagegen schimp-
fen auf die Bundesbank, der sie ideologi-
sche Verbohrtheit und D-Mark-Nostalgie
vorwerfen. In der Berliner Regierung wie-
derum spotten sie über Dra ghis »Atlas-Syn-
drom«: Der EZB-Chef glaube offenbar, nur
er könne die Welt retten.
In seiner Behörde ist die Lage verfahren,
von »Chaostagen« schrieben die Zeitun-
gen. Ehemalige Zentralbanker meldeten
sich mit schriftlichen Stellungnahmen pro
oder kontra Draghi zu Wort. Die deutsche
EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger
gab entnervt ihr Amt auf. Und »Bild«, das
Blatt mit dem sicheren Gespür für den
schlechten Geschmack, schmähte Europas

Zentralbankchef als »Graf Dra ghila«, der
den deutschen Sparern »die Konten leer-
saugt«.
So tief gespalten war Europas Wäh-
rungszentrale noch nie, und so ist es kein
Wunder, dass die künftige Chefin in diesen
Tagen ebenfalls unterschiedliche Signale
sendet. Einerseits beteuert sie, am bishe-
rigen Kurs festhalten zu wollen. Anderer-
seits kündigt sie zahlreiche Veränderungen
an, die für die Frankfurter Währungszen-
trale eine Art Kulturrevolution bedeuten
könnten: Lagarde will die Kommunikation
nach innen wie nach außen verbessern.
Sie plant, das Themenspektrum der Bank
um Frauenförderung und Klimapolitik zu
erweitern. Und sie stellt eine grundlegende
Überprüfung aller geldpolitischen Instru-
mente in Aussicht, bei der es keine Tabus
geben soll. »Mario Draghi hatte seinen
eigenen Stil«, sagt sie, »ich werde meinen
Stil haben.«
Bleibt die Frage: Sucht sie tatsächlich
nach einem neuen Konsens in der
europäischen Geldpolitik? Oder will sie

Draghis umstrittenen Kurs nur besser ver-
kaufen?
Als sie 2011 die erste Chefin des Inter-
nationalen Währungsfonds wurde, sorgte
wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt
ein vergleichsweise harmloses Foto für
Irritationen, das sie beim Yoga in ihrer Wa-
shingtoner Wohnung im Stadtteil George-
town zeigt. Man sieht sie vor einer decken-
hohen Fensterfront stehen, im beigefarbe-
nen Strickpulli und in Jeans, die sie sonst
eher selten trägt, links neben ihr, auf einem
Beistelltisch, steht ein Strauß gelber Rosen.
Lagarde streckt die Hände zur Decke, Ta-
dasana, die sogenannte Berghaltung, die
sie da übt, in einer Variante mit nach oben
gestreckten Armen. In der französischen
Illustrierten »Paris Match«, für die das
Foto entstand, war danach zu lesen, sie
mache täglich 20 Minuten Yoga, um zu
entspannen, und sie habe eine »Zen-Ein-
stellung«.
Das war nicht unbedingt die Art von
Humor, die im IWF üblich war, eine Insti-
tution, die für wissenschaftliche Exzellenz
steht. Hier arbeiten, dem Selbstverständ-
nis nach, die besten Ökonomen der Welt.
Unnahbarkeit ist in diesen Kreisen nicht
unbedingt ein Schimpfwort. Lagardes Aus-
flug in die bunten Blätter war deshalb vie-
len eher suspekt. Machte sich der IWF auf
einmal gemein mit dem Boulevard?
»Ich bin ein bisschen antizyklisch«, hatte
Lagarde damals geantwortet, wenn sie auf
ihren neuen Stil angesprochen wurde.
»Eine Gegenfigur: eine Rechtsanwältin in
einer Welt von Ökonomen, eine Französin
in Amerika. Das Ergebnis ist, dass die Leu-
te dazu neigen, einen zu unterschätzen.«
Acht Jahre lang war sie Geschäftsfüh-
rende Direktorin des IWF, durchaus mit
Erfolg, davor zunächst fünf Jahre die erste
Chefin der internationalen Kanzlei Baker
& McKenzie, dann zwei Jahre französi-
sche Handelsministerin, für einen Monat
Agrarministerin und vier Jahre Finanz -
ministerin, und noch immer gibt es Stim-
men, die daran zweifeln, dass sie ihrer
neuen Aufgabe gewachsen ist. »Es ist be-
merkenswert, dass eine Juristin Chefin
der Notenbank werden kann, während
niemand auf die Idee käme, dass eine
Ökonomin ein oberstes Gericht leiten
könnte«, befand die Wirtschaftsweise Isa-
bel Schnabel, die demnächst Nachfolgerin

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019 71


Wirtschaft

Eleganz und Härte


WährungsunionChristine Lagarde will der Europäischen Zentralbank eine Kulturrevolution


verordnen: bessere Kommunikation, mehr Themen, eine Überprüfung
aller Instrumente. Die Frage ist nur: Wird sie auch die Geldpolitik ändern?

Lagarde spielt sich
nicht in den Vorder-
grund. Sie lässt lieber
andere gut aussehen.
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