Der Spiegel - 26.10.2019

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dann im September ein so wuchtiges Pro-
gramm verabschieden? Wieso hat sie nicht
einfach die Zinsen gesenkt, wie es die Bun-
desbank wollte? Sondern auch den erneu-
ten Kauf von Anleihen angekündigt, den
sie fortsetzen will, bis die Inflation wieder
bei zwei Prozent liegt, im Zweifel also auf
ewig? War das wirklich nötig?
Lane findet, ja, sagt aber: Die Lage kön-
ne sich ändern, wenn sich der Handelskon-
flikt entspannen und finanzstarke Länder
wie Deutschland die Konjunktur ankur-
belten. Dann würden »die geldpolitischen
Instrumente rascher wirken«. Woraus
folgt: Sie können auch schneller abgesetzt
werden. »Wenn sich die Fakten ändern«,
soll der britische Ökonom John Maynard
Keynes gesagt haben, Ȋndere ich meine
Meinung.«
Lanes künftige Chefin sieht das nicht viel
anders. Sie findet, dass »die Geldpolitik in
den vergangenen Jahren bereits viel geleis-
tet« habe. »Deshalb muss sie nun durch
Maßnahmen der Finanz- und Wirtschafts-
politik ergänzt werden.« Höhere Staatsaus-
gaben in einigen Ländern, mehr Reformen
in anderen und dazu die geldpolitischen
Maßnahmen der EZB: »Wir benötigen eine
stärkere Kombination dieser drei Politik fel -
der. Dadurch könnten wir die Wirksamkeit
unserer Maßnahmen beträchtlich steigern.«

Es war noch nie Lagardes Art, sich an
die engen Grenzen ihres jeweiligen Amtes
zu halten. In ihren acht Jahren beim IWF
weitete sie sukzessive das herkömmliche
Mandat aus, die strikte Ausrichtung auf
Schulden- und Zahlungsbilanzprobleme.
Lagarde öffnete den IWF für Themen, die

von dessen Ökonomen bis dahin eher be-
lächelt wurden, etwa die Erwerbsbeteili-
gung von Frauen.
Sie hat das als Chance begriffen, eine
Institution wie den IWF, die allseits als
übermächtige Schulden- und Sparpolizei
empfunden wurde, sympathischer werden
zu lassen, nahbarer, menschlicher. Es ist
ein Modell, das sie sich auch für die EZB
vorstellen kann, die gerade die Wut der
Sparer zu spüren bekommt.
»Ich betrachte es als eine meiner vor-
dringlichen Aufgaben, den Euro sowie die
Zentralbank und ihre Geldpolitik einer
breiteren Öffentlichkeit nahezubringen. Es

liegt mir sehr am Herzen, mehr Frauen in
der Finanzwelt zu sehen und ihnen Gehör
zu verschaffen. Und ich werde mich per-
sönlich darum kümmern, wie wir die EZB
zu einer starken Stimme im Kampf gegen
den Klimawandel machen können.«
Insbesondere der Kampf für mehr
Frauen erwerbsbeteiligung ist für Lagarde
ein persönliches Anliegen, nachdem ihr
zu Beginn ihrer Karriere in Frankreich er-
klärt worden war, sie könne als Frau nie-
mals Chefin einer Anwaltskanzlei werden.
Sie hat alles darangesetzt, der Welt das
Gegenteil zu beweisen.
»Wenn ich meinen künftigen Arbeits-
platz betrachte«, sagt Christine Lagarde,
»so wird er von einer Reihe von Gentle-
men bevölkert sein. Aber ich habe es noch
in jeder meiner Funktionen geschafft,
Wege zu finden, um Frauen zu unterstüt-
zen und zu ermutigen.«
Eine Revolutionärin ist Christine La -
garde dennoch nicht. Dafür gibt sie viel
zu gern die Grande Dame.
Als Lagarde 17 Jahre alt war, schrieb
sie einen Schulaufsatz mit dem Titel
»Noblesse Oblige«. Sie erzählte darin, wie
ihre Mutter ihr und ihren drei Brüdern er-
klärte: »Ihr seid jetzt alt genug, um zu ver-
stehen, was ich euch zu sagen habe. Ich
bin eine Aristokratin, eine Gräfin, was

Wirtschaft

Ihre Chemie bringt Umwelt und Mobilität


2013


2001 2014


Erster Arbeitstag: Die Brennstoff-
zelle bewährt sich im Alltagstest
in einem Kleintransporter.
In ihr wird mit Wasserstoff der
Strom für die Fahrt produziert.

Der Kohlenstoff, aus dem die
Leichtbauträume sind: Serienfähige
Fahrgastzellen aus carbonfaser-
verstärkten Kunststoffen verringern
FCU(CJT\GWIIGYKEJV5QJGNHGP
E-Mobile beim Energiesparen.

Grüne Welle: Erstmals wird ein
Auto mit Brennstoffzelle in Groß-
UGTKGJGTIGUVGNNV&KG<GNNGGT\GWIV
abgasfrei Strom für den Antrieb.

»Es liegt mir sehr
am Herzen, mehr
Frauen in der
Finanzwelt zu sehen.«
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