Der Spiegel - 26.10.2019

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ichard Lutz bleiben keine drei Wo-
chen mehr. Bis zum 14. November
hat der Bahn-Chef Zeit, dann muss
er der Regierung zeigen, wie er die Pro-
bleme des Konzerns in den Griff bekom-
men will, von Verspätungen über Perso-
nalmangel bis zur ineffizienten Hierarchie
im Unternehmen.
Die Frist hat Bundesverkehrsminister
Andreas Scheuer (CSU) – nach dem Maut-
Debakel selbst unter Druck – in einem
Brief an Lutz gesetzt. In seinem Haus
wächst die Sorge, dass die Bahn nicht gut
genug organisiert ist, um das viele Geld
vernünftig einzusetzen, das ihr im Klima-
paket zugedacht ist.
20 Milliarden Euro zusätzlich bekommt
das Unternehmen laut den Beschlüssen
des Klimakabinetts vom vergangenen
Monat. Die Mehrwertsteuer auf Fernreise -
tickets soll sinken. Und Lutz verkündete
flugs, er werde neben den ohnehin geor-
derten 200 Fernverkehrszügen spontan
noch einmal 30 weitere kaufen.
Die Bahn, versicherte er, stehe »für
etwas Größeres in dieser Gesellschaft«.
Die Bundesregierung habe ihr eine zentra-
le Rolle im Klimaschutz zugewiesen. »Die-


ser Laden brennt für diese Aufgabe«, so
Lutz.
Doch kaum ist der Manager da ange-
kommen, wohin er seit Monaten will –
mehr Geld, mehr Bedeutung –, bricht in
der Vorstandsetage im Berliner Bahntower
ein offener Machtkampf aus, der für Lutz
brandgefährlich ist. Auf der einen Seite
stehen Lutz und der mächtige Infrastruk-
turvorstand Ronald Pofalla, ein Merkel-
Vertrauter. Auf der anderen steht Alexan-
der Doll, ein Newcomer in der Führungs-
riege, den die Altgedienten offenbar als
Konkurrenten empfinden.
Die Bilanz des 49-jährigen Investment-
bankers aus Frankfurt ist bislang gemischt.
Vor wenigen Wochen gelang es Doll, ge-
räuschlos eine riesige Finanzlücke im ak-
tuellen Haushalt der Bahn zu schließen:
Er besorgte auf den Finanzmärkten zwei
Milliarden Euro in Form einer sogenann-
ten Hybridanleihe. Damit hat Doll das Ei-
genkapital des Staatskonzerns gestärkt
und die Ratingzahlen aufpoliert – was der
Bahn wiederum erlaubt, künftig günstige-
re Kredite aufzunehmen.
Als Nächstes will Doll die britische Kon-
zerntochter Arriva über die Börse verkau-
fen. Mit dem Geld will er in den nächsten
Jahren absehbare Finanzlöcher stopfen.
Was ihn daran hindert, ist einzig das briti-
sche Parlament, das den Austritt Großbri-
tanniens aus der EU ständig verschiebt. In
der vergangenen Woche legte Doll den
Verkauf erst einmal auf Eis.
Zumal er schon beim geplanten Börsen-
gang den Ärger der Politik auf sich gezo-
gen hat. Es geht um Pensionsgarantien der
Bahn für die Mitarbeiter von Arriva. Mit
432 Millionen Euro schlagen diese zu Bu-
che. Doll konnte die Summe erst im Sep-
tember der Regierung melden, was dort
einige verärgert hat.

Und Doll hat ein weiteres Problem: den
hochdefizitären Güterverkehr, für den er
verantwortlich ist. Wegen der schwächeln-
den Konjunktur gehen die Frachtmengen
zurück, die Organisation ist verkrustet, die
Tarifverträge der Zugfahrer sind unflexi-
bel. Es fehlt an Lokomotiven. Seit Doll
den Bereich im April 2018 übernahm,
wachsen die Verluste weiter.
Seine Vorstandskollegen Lutz und Po-
falla sollen ihm deshalb nahegelegt haben,
das Finanzressort abzugeben, um sich aus-
schließlich um den Güterbereich kümmern
zu können. Doch der Ex-Banker schlug den
Vorschlag seiner Vorstandskollegen aus.
Doll konnte dieses Manöver nur als das
sehen, was es nach Meinung von Insidern
auch war: ein vergiftetes Angebot. Doll,
so das offenkundige Kalkül von Lutz und
Pofalla, solle sich im Güterverkehr ver-
schleißen. Seine weitere Karriere wäre auf
dem Abstellgleis gelandet.
Die Pläne für die Rochade im Vorstand
waren angeblich ziemlich weit gediehen.
Man habe bereits einen Ersatz für Doll als
Finanzchef ausgemacht, behaupten Einge-
weihte. Dabei soll es sich um Ingrid Hengs-
ter, Vorstandsfrau bei der staatseigenen
KfW, handeln. Die 58-jährige Österreiche-
rin hat schon bei Credit Suisse und der
Royal Bank of Scotland gearbeitet. Sie
wäre also fachlich geeignet, und sie ist eine
Frau – ein hilfreiches Argument, um die
Personalie in der Bundesregierung und
im Aufsichtsrat durchzubringen, in dem
viele Politikerinnen und Politiker sitzen.
Hengster, so könnte der Hintergedanke
von Lutz und Pofalla gewesen sein, hätte
sie auch von einem anderen Problem be-
freien können: der Berufung der derzeiti-
gen Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe
(BVG) Sigrid Nikutta als weitere Vor-
standskandidatin. Die wird von den bei-
den nicht sonderlich geschätzt, ganz an-
ders als bei den sozialdemokratischen Mit-
gliedern im Aufsichtsrat der Bahn, die sie
im Vorstand platzieren wollen.
Vorstandschef und Finanzchef liegen
seit dem Ereignis, zu dem die Bahn sich
nicht äußern will, im Clinch. Lutz hatte
Doll vergangenes Jahr zur Bahn geholt. Er
dürfte es als Illoyalität werten, dass der
Finanzer die Offerte abgelehnt hat. Ent-
scheidend ist nun, auf welche Seite sich
Aufsichtsrat und Regierung schlagen.
Verkehrsminister Scheuer kann sich das
Zerwürfnis im Vorstand mit Blick auf seine
wertvollen Klimamilliarden für die Bahn
nicht leisten. Die Frage ist nur noch: Fliegt
Lutz oder Doll – oder fliegen beide?
Dann könnten zwei Frauen vom Kampf
der Alphatiere profitieren: KfW-Bankerin
Ingrid Hengster darf sich wieder Hoffnun-
gen machen, zum Zuge zu kommen. Ge-
nauso wie BVG-Chefin Sigrid Nikutta.
Tim Bartz, Gerald Traufetter

76 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Wirtschaft

Vergiftetes


Angebot


VerkehrDie Bahn soll für die
Bundesregierung das Klima
retten und wird mit Milliarden
Euro überschüttet. Doch
der Vorstand ist tief zerstritten.

MARKUS HEINE / IMAGI IMAGES
Bahn-Chef Lutz, ICE-Zugführer, Verkehrsminister Scheuer: Frist bis zum 14. November
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