Der Spiegel - 26.10.2019

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Der Menschheit steht ein
wirklich übles Jahr bevor:
2020 wird auf der ganzen
Welt das Erdöl ausgehen.
Spätestens nächstes Jahr
an Silvester ist der letzte
Tropfen verbrannt. Das haben
die klügsten Wissenschaftler und der
schnellste Computer ausgerechnet.
Müssen wir uns Sorgen machen?
Nun, im Jahr 1972 erlangte dieses Sze-
nario weltweit Ruhm. Der Club of
Rome legte seine Studie »Die Grenzen
des Wachstums« vor. Durch die »neu-
artigen Techniken der wissenschaft -
lichen Systemanalyse und Computer -
simulation« sei es erstmals gelungen,
»präzise Prognosen über die langfristi-
ge Entwicklung weltweiter Probleme
abzugeben«, hieß es im Klappentext.
»Die Grenzen des Wachstums« be -
stätigte die schlimmsten Befürchtun-
gen. Im Basisszenario, also ohne neue
Ressourcenfunde, wären bereits im
Jahr 1979 sämtliche bekannten Gold -
reserven erschöpft gewesen. Silber,
so die Vorhersage, werde 1983 zur Nei-
ge gehen, Erdöl 1990, Erdgas 1992.
Im bestmöglichen Szenario gingen
die Wissenschaftler von einer Verfünf-
fachung der damals bekannten Roh-
stoffreserven aus. Die Aussichten bes-

serten sich dadurch aber kaum. Gold:
erschöpft kurz vor der Jahrtausend-
wende. Silber: aufgebraucht 2012.
Und 2019/20 dann das Ende von Erd-
gas und Erdöl.
Wie ist es möglich, dass der Club
of Rome mit seiner Prognose so weit
danebenlag? Seine Fans, die in großer
Zahl die Prognosen überlebt haben,
sagen, die Studie habe die Mensch-
heit aufgeweckt und eine Verhaltens -
änderung bewirkt. Es sei eine »self-
destroying prophecy« gewesen, eine
sich selbst zerstörende Vorhersage.
Die Kritiker sagen, der Club of
Rome habe – wie alle Wachstums -
gegner – Erfindergeist und technischen
Fortschritt unterschätzt. Etwa beim
Silber, das für die Entwicklung von
analogen Fotos so wichtig war: Die
Digitalfotografie habe die Prognosen
über den Haufen geworfen.
Verhaltensänderung oder Fort-
schritt? Ich weiß nicht, welche These
stimmt. Doch bevor wir wegen der
Klimakrise nun für die nächsten
50 Jahre in Panik verfallen, würde
ich es mit einer Kombination aus bei-
dem versuchen.

An dieser Stelle schreiben Alexander Neubacher
und Markus Feldenkirchen im Wechsel.

8 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


Meinung


So gesehen

Das Recht der


Lauteren


Neue Richtlinien für deutsche
Universitäten

Nach der Debatte um die verhin-
derten Vorlesungen des ehemaligen
AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke
sowie das Auftrittsverbot des FDP-
Chefs Christian Lindner an der Uni
Hamburg erlässt die gemeinsame
Arbeitsgruppe des Verbunds der All-
gemeinen Studierendenausschüsse
und der Deutschen Hochschulrekto-
renkonferenz folgende Richtlinien:
Von Auftritten an Universitäten ist
künftig ausgeschlossen, wer politi-
sche Ansichten vertritt, vertreten hat

oder vertreten haben könnte, die
von der Mehrheit oder einem großen
Teil oder einem Bruchteil der Stu -
dierenden als abweichend von den
eigenen betrachtet werden könnten.
Redeverbot gilt insbesondere für
Personen, die im Rahmen eines poli-
tischen Mandats oder eines Partei-
amts Kontakt zu Personen hatten,
die auf studentischen Flugblättern
bereits als »Faschist« und /oder
»Diktator« identifiziert worden sind.
Von der Lehre ausgeschlossen sind
ferner alle Personen, die sich in
Wort oder Schrift zustimmend über
Kapitalismus, Grenzkontrollen,
Verbrennungsmotoren und /oder
Fleischkonsum geäußert haben.
Kontroverse inhaltliche Stellung -
nahmen sind umgehend zu stoppen.
Es gilt das Recht der Lauteren.
Da eine Kontamination mit
Fremdmeinungen trotzdem nicht
auszuschließen ist, werden sich die
Studierenden ab dem nächsten
Semester in schalldichten Einzel -
kabinen selbst und mit selbst erstell-
tem Lehrmaterial unterrichten.
Eine Debatte über diese Maßnahmen
findet nicht statt. Sie sind indis -
kutabel. Stefan Kuzmany

Alexander NeubacherDie Gegendarstellung

Apokalypse 2020

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