Der Spiegel - 26.10.2019

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schaftsministers, wo man ihm erklärte,
dass die Lage zu komplex geworden sei.
»Zu komplex«, schmunzelt Galvão am
Abend in Rio de Janeiro. »Die Wahrheit
ist, sie halten mich für einen Linken.«
Im Grunde, sagt er, hätte er die Zweifel
Bolsonaros leicht ausräumen können. Er
hätte ihn auf einen Helikopterflug mitneh-
men können, wie er es mit anderen Politi-
kern getan hat, die den Daten nicht trau-
ten. Aber das interessierte niemanden.
Die Demontage des Umweltschutzes, sagt
Galvão, habe schon in den Wochen begon-
nen, als Bolsonaro noch den Zuschnitt seiner
Ministerien plante. Ursprünglich hatte er
vor, das Umweltministerium ganz abzuschaf-
fen. Als er merkte, dass der Widerstand zu
groß wurde, rückte er davon ab. Dafür löste
er das Referat für Klimawandel auf.
Zum Umweltminister ernannte Bolso-
naro einen jungen Anwalt namens Ricardo
Salles, der geschliffen formulieren kann.
Salles war zuvor Umweltsekretär des Bun-
desstaats São Paulo, wo er wegen Amts-
missbrauch verurteilt wurde. Um Bergbau-
unternehmen mit Lizenzen auszustatten,
hatte er auf offiziellen Raumplänen die
Grenzen eines Naturschutzgebiets heim-
lich enger gezogen.


Salles, meint Galvão, habe die Axt ans
Ministerium gelegt, vor allem an die Na-
turschutzbehörde Ibama. Bislang lief es
dort so: Ertappten deren Kontrolleure ei-
nen Holzfäller auf frischer Tat, zerstörten
sie seine Geräte und verhängten Bußgelder.
Salles dagegen setzte die Bußgelder weit-
gehend aus und feuerte 21 von 27 Regio-
nalbüroleitern. Auf den meisten Posten sit-
zen nun Militärs, die wie Bolsonaro glau-
ben, dass der Amazonas ein Gebiet sei, das
wirtschaftlich entwickelt werden müsse.
Ist es Zufall, dass die Goldgräber, die
früher an der Pforte abgewiesen wurden,
nun bei Salles im Büro sitzen und Ersatz
für ihre zerstörten Kettensägen fordern?
Oder ist der Wahnsinn längst Realität?
Diesen Eindruck kann man gewinnen,
wenn man mit Ricardo Vélez die Säube-
rungen rekapituliert, die er im Bildungs-
ministerium angeordnet hat. Die ersten
hundert Tage leitete Vélez das Haus, das
für Bolsonaro strategisch zentral ist. Er
war eine der Schlüsselfiguren in den An-
fangstagen des großen Umbaus.
Vélez, ein distinguierter Herr im Anzug,
der an verschiedenen Universitäten Theo-
logie und Philosophie gelehrt hat, sitzt in
einem Bibliothekszimmer des Klubs der

brasilianischen Luftwaffe. Gleich im Janu-
ar, sagt er, habe er Profile aller Mitarbeiter
erstellen lassen. Vélez schätzt, dass die Re-
cherchen bei rund 40 Prozent zu einem
ideologischen Verdacht geführt hätten.
Diese Leute setzte er vor die Tür, da-
runter sämtliche Referatsleiter im Minis-
terium. »1500, vielleicht 1600 Linke«
habe er kaltgestellt, sagt Vélez beiläufig.
Wie Salles im Umweltministerium füllte
auch Vélez im Bildungsressort viele Lü-
cken mit Militärs. Sein persönlicher Bera-
ter war ein Offizier der Luftwaffe. Aus der
gleichen Umgebung kam ein Mann, der
über die Vergabe von Studienstipendien
entscheidet, die künftig keine »Prämien
für Ideologietreue« mehr sein sollten.
Insgesamt sind es mehr als hundert
hochrangige Militärs, die sich geräuschlos
in den oberen Etagen der Hierarchie ein-
ordnen. Sieben von ihnen sitzen als Minis-
ter in Bolsonaros Kabinett. Es sind Befehls-
empfänger, die Aufträge erledigen und
keine unbequemen Fragen stellen.
So sieht er aus, der neue Staat.
Das Kommando über die Indigenen-
Schutzbehörde führt ein bekennender
Indigenenfeind. Um Landreformen küm-
mern sich Großgrundbesitzer. Die staat -

98 DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019


FERNANDO BIZERRA JR / EPA-EFE / REX
Studentenprotest in São Paulo gegen die Regierung: »Die Dinge änderst du nur durch einen Bürgerkrieg«
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